
„Du bist nicht du, wenn du hungrig bist“ – ein Werbeslogan, den die meisten von uns sofort mit einem bekannten Schokoriegel verbinden. Mittlerweile ist er so in unseren Sprachgebrauch eingeflossen, dass wir ihn oft beiläufig hören und vielleicht sogar schmunzeln. Doch hast du je darüber nachgedacht, wie viel Wahrheit tatsächlich in diesen Worten steckt?
Stell dir vor: Dein Magen knurrt. Nicht das harmlose Grummeln, das man mit einem schnellen Snack stillen kann, sondern ein Hunger, der dich langsam aufzehrt. Dein Blick schweift umher, aber alles, was du siehst, erinnert dich an Essen – und an dessen Fehlen. Wie weit würdest du gehen, um diesen Hunger zu stillen? Würdest du teilen? Würdest du nehmen? Würdest du kämpfen?
Hunger verändert uns – körperlich, geistig, emotional. Es ist kein Zufall, dass unser Körper in einen Ausnahmezustand gerät, wenn die Nahrung ausbleibt. Plötzliche Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und ein lähmendes Gefühl der Schwäche sind nur der Anfang. Dein Gehirn, angewiesen auf Glukose, sträubt sich gegen jeden klaren Gedanken. Selbst die einfachsten Entscheidungen werden zu einer Herausforderung. Ohne ausreichende Nährstoffe kann der Körper nicht genügend Energie für alltägliche Aufgaben bereitstellen, was zu Müdigkeit und Erschöpfung führt. Aus dem Hunger wird nicht nur ein Mangel an Nahrung, sondern ein Mangel an Kontrolle.
Aber das ist nicht alles. Hunger kann Menschen nicht nur gereizt, sondern auch gefährlich machen. Studien zeigen, dass niedrige Blutzuckerwerte Aggressionen fördern können. Plötzlich wirkt jedes Hindernis wie ein persönlicher Angriff, jede Diskussion wie ein Kampf. Und wenn Hunger chronisch wird, hinterlässt er tiefe Spuren: Angst, Depression, und ein allgegenwärtiges Gefühl von Machtlosigkeit.
Doch was passiert, wenn nicht nur du, sondern Millionen Menschen hungern? Wenn Hunger nicht nur das Problem eines Einzelnen ist, sondern ganzer Gesellschaften? Henry Kissinger brachte es treffend auf den Punkt: „Wer die Nahrungsmittelversorgung kontrolliert, kontrolliert die Menschen.“
Die Kontrolle über Lebensmittel ist Macht. Es geht nicht nur darum, was auf unseren Tellern landet, sondern auch darum, wer entscheidet, was und wie viel überhaupt gegessen werden darf. Die Verfügungsgewalt über Nahrung kann Konflikte schüren, Regierungen ins Wanken bringen und das Leben ganzer Nationen prägen. Hunger ist nicht nur eine Tragödie, sondern auch ein Werkzeug – und in den falschen Händen eine Waffe.
Deshalb ist eine gerechte Versorgung mit Nahrungsmitteln mehr als ein Akt der Menschlichkeit. Sie ist ein Schlüssel zu Frieden, Freiheit und Stabilität. Nahrung stillt nicht nur den Hunger, sie bewahrt Würde und Zusammenhalt. Denn am Ende des Tages ist sie weit mehr als bloße Energie: Sie ist das Fundament, auf dem unser gemeinsames Leben steht. In diesem Blogbeitrag werden wir untersuchen, welche Machtstrukturen und Strategien die zukünftige Nahrungsmittelversorgung prägen werden und was dies für uns alle bedeuten könnte.

1. Food Chain Reaction – die Zukunft spielerisch gestalten
1.1. Die Organisatoren
1.2. Die Teilnehmer
1.3. Die Übung
1.4. Einige Schlussfolgerungen
1.5. Von der Simulation zur Realität
2. Die vierte industrielle Revolution und die Gestaltung der Lebensmittelsysteme
2.1. Veränderung der Nachfrage
2.2. Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette
2.3. Follow the Science - Biotechnologien der nächsten Generation und Genomik
3. Wo Gegenwart und Zukunft verschmelzen
4. Die Magie der kleinen Schritte
5. Über Kontraste der aktuellen Politik
6. Ausblick
1. Food Chain Reaction –
die Zukunft spielerisch gestalten
In einer komplexen Welt, die zunehmend von Unsicherheiten und Herausforderungen geprägt ist, suchen Experten und Verantwortliche nach innovativen Wegen, um zukünftige Krisen zu erkennen und zu bewältigen. Dabei spielen Simulationsübungen eine wesentliche Rolle. Solche Ansätze bieten eine hervorragende Möglichkeit für praxisnahes Training. Die Teilnehmer können in verschiedene Szenarien eintauchen und die Auswirkungen ihrer Entscheidungen unmittelbar erleben. Sie haben die Möglichkeit, in einer sicheren Umgebung zu experimentieren, Fehler zu machen und daraus zu lernen – ohne reale Konsequenzen. So können Führungskräfte ihre Fähigkeiten und ihr Wissen erweitern und sich auf tatsächliche Krisensituationen vorbereiten.
Die Gestaltung und Festlegung der Simulationsbedingungen sind dabei entscheidend für die gewonnenen Erkenntnisse und Ergebnisse der Übung. Welche Szenarien werden durchgespielt? Welche Faktoren werden als relevant erachtet? Diese Entscheidungen bestimmen, welche Aspekte der Realität in der Simulation repräsentiert werden und welche möglicherweise unberücksichtigt bleiben. Jede Simulation basiert auf spezifischen Annahmen und Hypothesen, die stark beeinflussen können, wie die Teilnehmer die Szenarien interpretieren und darauf reagieren. Die mit der Simulation verfolgten Ziele stehen ebenfalls in Zusammenhang mit deren Gestaltung und den Ergebnissen. Geht es darum, bestimmte politische Maßnahmen zu testen, oder soll ein allgemeines Bewusstsein für Risiken geschaffen werden? Auch die Zusammensetzung der Teilnehmergruppe beeinflusst die Ergebnisse. Ob Regierungsbeamte, Wissenschaftler, Vertreter von NGOs oder der Privatwirtschaft – ihre jeweiligen Perspektiven und Interessen führen oft zu unterschiedlichen Lösungsansätzen und Schlussfolgerungen.
Ein anschauliches Beispiel für eine solche Übung ist die Food Chain Reaction, eine groß angelegte Simulation, die im November 2015 in Washington, D.C., stattfand. Organisiert vom Center for American Progress (CAP), dem World Wildlife Fund (WWF), Cargill Inc., Mars Inc. und dem Center for Naval Analysis (CNA), brachte sie über 65 Experten und Entscheidungsträger aus der ganzen Welt zusammen. Ziel war es, die Reaktionen auf eine hypothetische globale Ernährungskrise im Zeitraum von 2020 bis 2030 zu simulieren. Extreme Wetterereignisse, Preisschwankungen und politische Instabilität wurden in den Szenarien kombiniert, um die Komplexität und die Auswirkungen einer solchen Krise greifbar zu machen – und mögliche Lösungsansätze zu erarbeiten.
1.1. Die Organisatoren
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Organisatoren des Events, die die Simulation entworfen und durchgeführt haben:
Center for American Progress (CAP)
Das CAP präsentiert sich auf seiner offiziellen Website wie folgt:
Das Center for American Progress ist ein unabhängiges, überparteiliches Politikinstitut, das sich der Verbesserung des Lebens aller Amerikaner durch mutige, fortschrittliche Ideen sowie starke Führung und konzertierte Maßnahmen verschrieben hat. Unser Ziel ist es nicht nur, die Diskussion zu verändern, sondern das Land zu verändern.
Wir entwickeln neue politische Ideen, fordern die Medien auf, über die wirklich wichtigen Themen zu berichten, und gestalten die nationale Debatte. Mit politischen Teams aus einer Reihe von Disziplinen und wichtigen Themenbereichen wendet CAP kreative Ansätze an, um Ideen für politische Entscheidungsträger zu entwickeln, die zu echten Veränderungen führen. Unsere umfassende Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit ermöglicht es uns, sich an eine schnell verändernde Medienlandschaft anzupassen und unsere Ideen offensiv in die nationale politische Debatte einzubringen.
CAP wurde von John Podesta gegründet. Über welche Machtposition diese Organisation tatsächlich verfügt, kann man unter diesem Link nachlesen:
John Podesta ist der Gründer des Center for American Progress. Derzeit ist er leitender Berater des Präsidenten für Innovationen und die Umsetzung sauberer Energien. Podesta war Berater von Präsident Barack Obama, wo er für die Koordinierung der Klimapolitik und -initiativen der Regierung verantwortlich war. 2008 war er Co-Vorsitzender des Übergangsteams von Präsident Obama. Er war Mitglied des hochrangigen Gremiums namhafter Persönlichkeiten des UN-Generalsekretärs zur Entwicklungsagenda nach 2015. Podesta war zuvor Stabschef im Weißen Haus von Präsident William J. Clinton. Er leitete Hillary Clintons Präsidentschaftswahlkampf 2016.
Bei Wikipedia kann man weitere interessante Details zu CAP finden.
Obwohl CAP sich als überparteilich bezeichnet, zeigt sich eine klare Neigung zu sozial- und umweltpolitischen Themen, die auch die Ausrichtung der „Food Chain Reaction“-Übung prägen. Gründer John Podesta, selbst ein ehemaliger Spitzenpolitiker, stärkt CAPs Einfluss in Regierungskreisen, was zugleich Fragen zur tatsächlichen Neutralität und Objektivität des Instituts aufwirft. Kritiker argumentieren, dass CAPs progressive Werte die Auswahl und Darstellung von Krisenszenarien beeinflussen könnten und so die Ergebnisse und Empfehlungen in eine bestimmte Richtung lenken.
World Wildlife Fund (WWF)
[offizielle Website der Organisation]
Der WWF ist eine der weltweit größten und bekanntesten Naturschutzorganisationen. Gegründet 1961, hat der WWF seinen Hauptsitz in Gland, Schweiz, und ist in über 100 Ländern aktiv. Mit mehr als fünf Millionen Unterstützern weltweit setzt sich der WWF für den Schutz natürlicher Lebensräume und die Erhaltung der biologischen Vielfalt ein.
Zu den Hauptanliegen gehören der Schutz bedrohter Arten und die Bewahrung natürlicher Lebensräume wie Wälder, Meere und Süßwasserökosysteme. Darüber hinaus fördert der WWF die nachhaltige Nutzung von Ressourcen und setzt sich für umweltschonende Praktiken in Fischerei, Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Wasserbewirtschaftung ein. Ein weiteres zentrales Ziel ist die Bekämpfung des Klimawandels durch die Reduktion von Treibhausgasemissionen und die Förderung erneuerbarer Energien. Zudem unterstützt der WWF weltweit Projekte zur nachhaltigen Entwicklung von Gemeinschaften, die eine umweltfreundliche Nutzung natürlicher Ressourcen ermöglichen und die Lebensqualität verbessern.
Trotz seiner bedeutenden Bemühungen und Erfolge steht der WWF auch in der Kritik. Ein zentraler Kritikpunkt ist die Zusammenarbeit mit der Industrie: Dem WWF wird vorgeworfen, zu eng mit großen Unternehmen zu kooperieren, die selbst erheblich zur Umweltzerstörung beitragen. Kritiker behaupten, dass diese Partnerschaften oft zu „Greenwashing“ führen, bei dem Unternehmen ihre Umweltbilanz besser darstellen, als sie tatsächlich ist.
Es gibt Berichte, dass in von WWF unterstützten Schutzgebieten indigene Gemeinschaften vertrieben wurden. Dies führte dazu, dass diese Menschen den Zugang zu ihren angestammten Lebensräumen und Ressourcen verloren. Solche Maßnahmen verursachen oft erhebliche soziale und wirtschaftliche Probleme und lösen vor Ort Spannungen sowie Widerstand aus.
Die langfristige Wirksamkeit der Projekte des WWF wird ebenfalls infrage gestellt. Kritiker argumentieren, dass die erzielten Erfolge oft kurzfristig sind und die eigentlichen Ursachen der Umweltzerstörung nicht ausreichend angegangen werden.
Auch mangelnde finanzielle Transparenz wird dem WWF vorgeworfen, insbesondere hinsichtlich der Herkunft und Verwendung seiner Mittel.
Die Tatsache, dass prominente Persönlichkeiten wie Prinz Philip und König Juan Carlos, bekannte Liebhaber der Großwildjagd, führende Positionen im WWF innehatten, hat zu erheblichen Kontroversen geführt. Kritiker argumentieren, dass ihre Teilnahme an der Großwildjagd im Widerspruch zu den Zielen und der Ethik des WWF steht, der sich dem Schutz von Wildtieren und ihren Lebensräumen verschrieben hat. Diese Doppelmoral wurde von Naturschützern und der Öffentlichkeit heftig kritisiert.
Während Prinz Philip und König Juan Carlos behaupteten, dass regulierte Jagd zur Erhaltung bestimmter Arten und zur Unterstützung lokaler Gemeinschaften beitragen könne, bleibt diese Praxis für viele ein Symbol kolonialen und aristokratischen Privilegs sowie der Ausbeutung von Naturressourcen. Infolgedessen werden die Glaubwürdigkeit und die ethischen Prinzipien der Organisation infrage gestellt.
Center for Naval Analysis (CNA)
Das CNA präsentiert sich auf seiner offiziellen Website wie folgt:
CNA ist eine unabhängige, gemeinnützige Forschungs- und Analyseorganisation, die sich der Sicherheit der Nation verschrieben hat. Seit 80 Jahren sind unsere wissenschaftliche Genauigkeit und unser praxisnaher Umgang mit Daten für Führungskräfte, die mit komplexen Problemen konfrontiert sind, unverzichtbar. CNA setzt Operations Research ein, um militärische Fragen im Center for Naval Analyses und innenpolitische Herausforderungen im Institute for Public Research zu behandeln.
Das Center for Naval Analysis (CNA) positioniert sich als unabhängige, gemeinnützige Forschungsorganisation, die sich der nationalen Sicherheit widmet. Mit über 80 Jahren Erfahrung in wissenschaftlicher Forschung und datenbasierter Analyse hat CNA einen soliden Ruf bei Entscheidungsträgern, die komplexe Probleme angehen. Die Kombination aus operationeller Forschung und der Betrachtung militärischer sowie innenpolitischer Fragestellungen verleiht der Organisation eine bedeutende Rolle im politischen Diskurs.
Obwohl CNA sich um wissenschaftliche Genauigkeit bemüht, bleibt die Frage der Objektivität bestehen, insbesondere bei der Anwendung der Forschungsergebnisse in politischen Entscheidungen. Entscheidungen zur Nahrungsmittelversorgung sind oft stark politisch und sozial aufgeladen. Daher könnte die Interpretation der Daten durch Entscheidungsträger beeinflusst werden, was die Neutralität der Forschung infrage stellt. In einem Umfeld, in dem politische und militärische Interessen häufig eng miteinander verwoben sind, ist die Frage nach der tatsächlichen Neutralität von CNA entscheidend.
Cargill Inc.
[offizielle Website des Unternehmens]
Das Handelsblatt beschreibt das Unternehmen in seinem Artikel „Dieser stille Riese prägt das globale Lebensmittelgeschäft“ vom 02.08.2019 mit den folgenden Worten:
Was haben Getreidesilos, Fischzucht und Laborfleisch gemein? Sie alle gehören zum Geschäft des US-Agrarkonzerns Cargill.
Da Cargill aber kaum Endprodukte herstellt, kennt die breite Öffentlichkeit den Konzern nicht. Dabei arbeiten heute 155.000 Menschen in 70 Ländern für den Agrarspezialisten. Auch in Deutschland ist der Konzern an zwölf Standorten mit insgesamt 1700 Mitarbeitern vertreten.
In den USA beziehen sämtliche McDonald’s-Restaurants alle ihre Eier von Cargill-Farmen. In Thailand ist Cargill der größte Geflügelproduzent. Das Unternehmen finanziert zum Teil auch die Geschäfte seiner Kunden und unterhält eine ansehnliche Flotte von Transportschiffen. Auch deutsche Supermärkte und Discounter werden beliefert, nur der Name Cargill taucht dabei gar nicht auf.
Fast jeder Amerikaner isst – ohne es zu wissen – täglich Lebensmittel, deren Zutaten Cargill mitproduziert hat. Von der Versorgung der Landwirte mit Tierfutter bis zur Verarbeitung von Zutaten für Lebensmittelhersteller deckt Cargill fast die gesamte Lieferkette ab. Gemeinsam mit den drei Agrarkonzernen ADM, Bunge und Louis Dreyfus kontrolliert Cargill laut Datenbank Pitchbook 90 Prozent des weltweiten Getreidemarkts.
Dabei hat das Unternehmen einen sehr eigenen Ansatz: „Wenn Cargill einen Wachstumsmarkt erkennt, dann kauft der Konzern Unternehmen in dem Markt, um das Geschäft von Grund auf zu verstehen“.
Zuletzt hat MacLennan (verm. CEO von Cargill) auch in Laborfleisch investiert. Unter seiner Führung hat sich Cargill im Mai an dem israelischen Start-up Aleph Farms beteiligt. Das Unternehmen stellt Fleisch aus Zellkulturen her, ohne dass dafür Tiere wachsen und getötet werden müssen.
Für Cargill ist es bereits die zweite Investition in einen Hersteller von Laborfleisch. Bereits 2017 hat MacLennan zusammen mit Bill Gates und Richard Branson in Memphis Meats investiert, das Unternehmen ist nach eigenen Angaben das erste, das Hühnerfleisch ohne Hühner herstellt.
Außerdem hält Cargill eine Minderheitsbeteiligung an Puris, dem Hersteller von Erbsenproteinen. Diese Eiweiße bilden die Grundlage für viele Fleischalternativen. Abnehmer ist unter anderem Beyond Meat.
Umweltschützer werfen dem Unternehmen vor, für Treibhausemissionen und Abholzung verantwortlich zu sein. Laut einer Studie des Institute for Agriculture and Trade Policy und der Umweltorganisation Grain sind die fünf größten Fleisch- und Molkereikonzerne – darunter Cargill – für mehr Treibhausgasemissionen im Jahr verantwortlich als die Ölkonzerne Exxon Mobil, Shell oder BP.
Die Umweltschutzorganisation Mighty Earth machte Cargill und Wettbewerber Bunge für die Entwaldung am bolivianischen Amazonas und in Brasilien mitverantwortlich. Allein im Gebiet der Cerrados, der Savannen Zentralbrasiliens, sei wegen Cargill von 2011 bis 2015 eine Fläche von rund 130.000 Hektar abgeholzt worden.
Wohl auch wegen dieser Kritik hat sich das Unternehmen mehr nachhaltiges Wirtschaften vorgenommen. So ist der Konzern seit 2017 eines von fast 10.000 Mitgliedern der UN-Initiative Global Compact, die sich für eine sozialere und ökologischere Gestaltung der Globalisierung einsetzt.
Ganz aktuell hat Mighty Earth Mitte Juli allerdings einen ausführlichen Bericht zu Cargills Umweltverfehlungen herausgebracht. Das Unternehmen habe mehrere Monate Zeit gehabt, etwas zu ändern, das sei aber nicht erfolgt, heißt es bei der Umweltorganisation.
Die Rolle von Cargill im globalen Lebensmittelgeschäft ist ambivalent. Als einer der größten Agrarkonzerne weltweit kontrolliert Cargill einen bedeutenden Teil der globalen Lieferketten. Diese Marktmacht kann es dem Unternehmen ermöglichen, politischen Einfluss auszuüben und Entscheidungen in der Nahrungsmittelpolitik zu beeinflussen. Dabei bleibt die Frage, ob dieser Einfluss tatsächlich im besten Interesse der Allgemeinheit erfolgt oder primär den Unternehmensinteressen dient.
Mars Inc.
[offizielle Website des Unternehmens]
Mars Inc. ist ein US-amerikanischer multinationaler Hersteller von Süßwaren, Tiernahrung und anderen Lebensmitteln sowie Anbieter von Tierpflegedienstleistungen mit 45 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz im Jahr 2022. Das US-Wirtschaftsmagazin Forbes hat das Unternehmen als das viertgrößte Privatunternehmen in den Vereinigten Staaten eingestuft.
„Als globales Unternehmen mit der Reichweite eines kleinen Landes haben wir die Verantwortung – und die Möglichkeit –, einen nachhaltigen Einfluss auf die Welt zu haben“, lautet die Botschaft des Mitorganisators der „Food Chain Reaction“-Übung.
Der nachhaltige Einfluss auf die Welt hat jedoch einige Schattenseiten. Auf Wikipedia findet sich diesbezüglich dazu Folgendes:
2019 gab Mars bekannt, dass sie nicht garantieren können, dass ihre Schokoladenprodukte frei von Kindersklavenarbeit sind, da sie nur 24 % ihrer Einkäufe bis auf die Ebene der Farmen zurückverfolgen können.
Im Jahr 2021 wurde Mars in einer Sammelklage von acht ehemaligen Kindersklaven aus Mali verklagt, die behaupteten, das Unternehmen habe ihre Versklavung auf Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste unterstützt und begünstigt. In der Klage wurde Mars (zusammen mit Nestlé, Cargill, Barry Callebaut, Olam International, The Hershey Company und Mondelez International) beschuldigt, wissentlich an Zwangsarbeit beteiligt gewesen zu sein, und die Kläger verlangten Schadensersatz wegen ungerechtfertigter Bereicherung, fahrlässiger Überwachung und vorsätzlicher Zufügung von seelischem Leid. Im Juni 2021 wies der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten die Klage mit der Begründung ab, dass die Gruppe nicht berechtigt war, eine solche Klage einzureichen, da der Missbrauch außerhalb der Vereinigten Staaten stattgefunden hatte.
Eine Untersuchung des Fernsehsenders CBS aus dem Jahr 2023 ergab, dass Kinder im Alter von fünf Jahren in der Lieferkette von Mars in Ghana arbeiten, um Kakao für Marken wie Snickers und M&Ms zu ernten.
Im September 2017 ergab eine Untersuchung der Nichtregierungsorganisation Mighty Earth, dass ein großer Teil des Kakaos, der in der von Mars und anderen großen Schokoladenherstellern produzierten Schokolade verwendet wird, illegal in Nationalparks und anderen Schutzgebieten in der Elfenbeinküste und Ghana angebaut wurde. Diese Länder sind die beiden größten Kakaoproduzenten der Welt.
Aus dem Bericht geht hervor, dass in mehreren Nationalparks und anderen Schutzgebieten 90 % oder mehr der Landmasse in Kakao umgewandelt wurden. Weniger als vier Prozent der Elfenbeinküste sind nach wie vor dicht bewaldet, und die Laissez-faire-Methode der Schokoladenunternehmen bei der Beschaffung hat auch in Ghana zu einer umfassenden Abholzung geführt. In der Elfenbeinküste hat die Abholzung dazu geführt, dass Schimpansen nur noch in einigen wenigen kleinen Gebieten leben und die Elefantenpopulation des Landes von mehreren hunderttausend auf etwa 200 bis 400 reduziert wurde.
Mars Inc., als einer der größten globalen Lebensmittelkonzerne, positioniert sich als verantwortungsbewusster Akteur mit dem Ziel, einen nachhaltigen Einfluss auf die Welt zu haben. Die öffentlich verfügbaren Informationen zeichnen jedoch ein eher zwiespältiges Bild und legen nahe, dass Mars Inc. strategische Entscheidungen möglicherweise stärker an eigenen Interessen und Marktbedürfnissen orientiert als an langfristigen sozialen und ökologischen Zielen.
1.2. Die Teilnehmer
Wer waren die Teilnehmer der „Food-Chain-Reaction“-Übung?
Das Event richtete sich in erster Linie an hochrangige Beamte und Fachexperten aus Brasilien, Kontinentalafrika, China, der Europäischen Union (EU), Indien und den USA sowie an multilaterale Institutionen, Unternehmen und Investoren.
Wer in der Teilnehmerliste jedoch Vertreter kleiner und mittelständischer landwirtschaftlicher Betriebe sucht, wird enttäuscht sein. Stattdessen finden sich dort unter anderem folgende Teilnehmer:
Embrapa (Empresa Brasileira de Pesquisa Agropecuária)
[offizielle Website der Organisation]
Embrapa ist die brasilianische Agrarforschungs- und Entwicklungsorganisation, die eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Modernisierung der Landwirtschaft in Brasilien spielt. Die Organisation gehört zum brasilianischen Landwirtschaftsministerium. Ihre Mission ist es, durch innovative Forschung Technologien zu entwickeln, die die Produktivität der Landwirtschaft steigern, die Umweltauswirkungen minimieren und die Ernährungssicherheit verbessern.
Embrapa betreibt eine Vielzahl von Forschungsprojekten und hat entscheidend zur Optimierung von Nutzpflanzen beigetragen. Die Organisation entwickelt Sorten, die speziell auf die brasilianischen Klimabedingungen zugeschnitten sind, und fördert den Einsatz moderner Anbaumethoden. Diese Fortschritte haben Brasilien von einem Nettoimporteur zu einem der führenden Agrarproduzenten und -exporteure der Welt gemacht.
Gleichzeitig sieht sich Embrapa auch mit Kritikpunkten konfrontiert, insbesondere in Bezug auf ihre Umwelt- und Sozialauswirkungen, die aus der Förderung intensiver industrieller landwirtschaftlicher Praktiken resultieren. Embrapa hat maßgeblich zur Expansion von gentechnisch veränderten Monokulturen wie Soja, Mais und Zuckerrohr in Brasilien beigetragen. Kritiker sehen in der Förderung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) eine Gefahr für die Umwelt und die Ernährungssouveränität der Landwirte. Diese Monokulturen haben zu einer Reihe von Umweltproblemen geführt, darunter Entwaldung, Bodendegradation und Verlust der biologischen Vielfalt.
Die intensive Landwirtschaft, die von Embrapa gefördert wird, setzt oft auf den Einsatz von Agrochemikalien und künstlicher Bewässerung, was die Übernutzung von Wasserressourcen und die Kontamination von Böden und Gewässern mit Pestiziden und Düngemitteln zur Folge haben kann.
Kritiker werfen Embrapa vor, die Interessen großer Agrarunternehmen stärker zu fördern als die der Kleinbauern. Die Expansion der industriellen Landwirtschaft hat oft zur Vertreibung kleiner Landwirte und indigener Gemeinschaften geführt. Die von Embrapa geförderten Technologien haben häufig den Großgrundbesitz gestärkt, was zu einer stärkeren Konzentration von Land in den Händen weniger geführt hat. Dies hat soziale Ungleichheiten verschärft und die Lebensgrundlagen vieler kleiner Landwirte untergraben.
In einer Analyse mit dem Titel „Oberflächliche Festlegungen und tiefgreifende Überlegungen: Die Gestaltung der Nachhaltigkeit bei der brasilianischen Agrarforschungsgesellschaft (Embrapa)“ vom Dezember 2023 kommen die Autoren zur folgenden Schlussfolgerung: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Embrapa zwar Praktiken fördert, die auf alternativen Ansätzen wie der Agrarökologie beruhen, ihre tiefere Ausrichtung jedoch oft die Kernannahmen widerspiegelt, die die dominanten industriellen Lebensmittelsysteme bestimmen. Dieses Framing verstärkt die zugrunde liegenden Logiken von Kontrolle, Effizienz und Wettbewerb, die mit dem produktivistischen Paradigma übereinstimmen, und schließt abweichende Perspektiven innerhalb der Organisation aus.“
Louis Dreyfus Company (LDC)
[offizielle Website des Unternehmens]
LDC ist eines der ältesten und größten Agrarunternehmen der Welt. Das Unternehmen ist ein wichtiger Akteur im globalen Handel mit Agrarrohstoffen und gehört zu den sogenannten „ABCD“-Unternehmen (Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill, und Louis Dreyfus), die den weltweiten Agrarmarkt dominieren. Die Firma ist weltweit tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Handel, der Verarbeitung und dem Transport von Agrarrohstoffen. Sie betreibt auch eine Vielzahl von Infrastrukturen wie Lagerhäuser, Verarbeitungsanlagen und Transportflotten, um den Handel mit diesen Rohstoffen zu unterstützen.
Im Dezember 2022 haben peruanische und internationale Organisationen eine Beschwerde bei der OECD in den Niederlanden eingereicht, in der gefordert wird, dass die Louis Dreyfus Company (LDC) zur Rechenschaft gezogen wird, weil sie durch die Beschaffung von Palmöl aus der Region Ucayali im peruanischen Amazonasgebiet zu negativen Auswirkungen auf die Umwelt, die Menschenrechte und die Korruption beigetragen hat. Im September 2023 hat die OECD-Aufsichtsbehörde die Klage von den indigenen Organisationen gegen Louis Dreyfus Company zugelassen.
Weitere Kritik an den Geschäftspraktiken von LDC kann man in diesem Beitrag finden.
Kellogg Company
[offizielle Website des Unternehmens]
Die Kellogg Company (auch bekannt als Kellogg’s) ist ein führender multinationaler Lebensmittelkonzern, der vor allem für seine Frühstücksprodukte wie Cornflakes, Müslis und Snacks bekannt ist. Kellogg’s hat sich im Laufe der Jahre zu einem der weltweit größten Hersteller von verarbeiteten Lebensmitteln entwickelt und ist heute in über 180 Ländern tätig.
Kellogg’s Produkte, insbesondere die Frühstückszerealien, werden oft wegen ihres hohen Zucker- und Salzgehalts kritisiert. Trotz Bemühungen, gesündere Produkte anzubieten, wird dem Unternehmen vorgeworfen, dass viele seiner Hauptprodukte zur Adipositas-Epidemie, insbesondere bei Kindern, beitragen. Im April 2024 wurden in Kellogg’s-Cornflakes im Labor die besonders bedenklichen aromatischen Mineralölkohlenwasserstoffe MOAH sowie Pestizidrückstände nachgewiesen. Als Kellogg’s-Vorstand armen Familien sein Müsli als Abendbrot empfiehl, regte sich der SPIEGEL im Februar 2024 auf:
„Die Idee dürfte vielen nicht schmecken: Multimillionär Gary Pilnick hat seine Cerealien als ideale Lösung für Familien angepriesen, die knapp bei Kasse sind. Spöttische Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten.“
Global Crop Diversity Trust
[offizielle Website des Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt]
Crop Trust ist eine internationale Organisation, die sich der Erhaltung der pflanzengenetischen Ressourcen widmet. Ihr Hauptziel ist es, die Vielfalt der Nutzpflanzen weltweit zu bewahren, um die zukünftige Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Sie wurde im Jahr 2004 von der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation und der Consultative Group on International Agricultural Research (CGIAR) als unabhängiger Fonds nach internationalem Recht gegründet. Das Stiftungsvermögen wird durch staatliche und private Geber bereitgestellt. In der Liste der Spender finden sich Namen wie Bezos Earth Fund, Bill & Melinda Gates Stiftung, DuPont/Pioneer Hi-Bred, Pepsico, Rockefeller Foundation, Syngenta und Unilever.
Crop Trust ist bekannt für die Verwaltung des Svalbard Global Seed Vault in Norwegen, einer sicheren Saatgutbank, die als globales Backup für nationale und internationale Genbanken dient. Die Bewahrung der genetischen Vielfalt von Nutzpflanzen soll dazu beitragen, die globale Ernährungssicherheit zu gewährleisten, indem sie Landwirten Zugang zu einer breiten Palette von Pflanzensorten bietet, die an unterschiedliche Umweltbedingungen angepasst sind.
Einige Experten bevorzugen die In-Situ-Konservierung (Erhaltung von Pflanzen in ihrem natürlichen Lebensraum) gegenüber der Ex-Situ-Konservierung (Erhaltung außerhalb ihres natürlichen Lebensraums, wie in Genbanken), da erstere die natürliche Evolution und Anpassung der Pflanzen fördert. Kritiker argumentieren, dass die Finanzierung durch große Unternehmen und Stiftungen zu einem Einfluss dieser Geldgeber auf die Prioritäten und Strategien der Organisation führen könnte. Es gibt Bedenken, dass die Verfügbarkeit und der Zugang zu genetischen Ressourcen, die in Genbanken gelagert werden, ungleich verteilt sein könnten, was möglicherweise kleinere Bauern oder weniger entwickelte Länder benachteiligt.
adelphi
[offizielle Website der Denkfabrik und Beratungsorganisation]
adelphi ist eine unabhängige deutsche Denkfabrik und Beratungsorganisation, die sich auf Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltpolitik sowie internationale Entwicklungszusammenarbeit spezialisiert hat. Die Organisation wurde 2001 gegründet und hat ihren Sitz in Berlin. Sie arbeitet sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor und bietet Forschung, Beratung und Projektumsetzung in verschiedenen Bereichen an, darunter Klimawandel, Energiepolitik, Wasserwirtschaft, Biodiversität und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung.
Auf der adelphi-Homepage kann man folgendes nachlesen:
„Wir sind Visionär*innen, Gestalter*innen, Strateg*innen und Agenda-Setter und arbeiten mit und für Regierungen, internationale Organisationen, Städte, Verbände, NGOs und Unternehmen.“
Aber wie unabhängig ist die „unabhängige Denkfabrik“ adelphi wirklich?
Alexander Carius ist Politikwissenschaftler und Gründer und Direktor von adelphi. Zusammen mit Harald Welzer und Andre Wilkens hat er im Herbst 2015 die bundesweite Debattenreihe »Die offene Gesellschaft – Welches Land wollen wir sein?« initiiert.
Andre Wilkens ist ebenfalls Politikwissenschaftler, der viele Jahre in Brüssel, London, Turin und Genf gelebt und dort für die EU, Stiftungen und die UNO gearbeitet hat. Bis 2015 leitete er das Projektzentrum Berlin der Stiftung Mercator. Davor hat er das Open Society Institute (OSI) der Soros Stiftung in Brüssel geleitet sowie die Aktivitäten von dem Milliardär George Soros in Europa koordiniert.
Durch solche indirekten Verbindungen können die Unabhängigkeit und Objektivität der Organisation in Frage gestellt werden. Diese Nähe könnte die Art und Weise beeinflussen, wie sie ihre Forschung und Beratung durchführt.
Die im Jahr 2019 veröffentlichte adelphi-Studie „Convenient Truths – Mapping climate agendas of right-wing populist parties in Europe“ wirft ebenfalls einige Fragen hinsichtlich der Finanzierung auf. Auf Nachfrage zu diesem Thema liefert adelphi eine widersprüchliche Antwort:
„adelphis Arbeit ist projektfinanziert, es gibt keine projektunabhängige Förderung durch externe Körperschaften. Die Studie „Convenient Truths – Mapping climate agendas of right-wing populist parties in Europe” wurde aus Eigenmitteln finanziert.“
Als Beratungsorganisation ist adelphi stark von Projekten und Aufträgen abhängig, die oft von Regierungen und internationalen Organisationen finanziert werden. Diese Abhängigkeit könnte dazu führen, dass die Organisation weniger bereit ist, kontroverse oder unbequeme Positionen einzunehmen, die ihre Finanzierung gefährden könnten.
1.3. Die Übung
Die „Food Chain Reaction“-Übung war eine strategische Initiative, die durch eine Public-Private Partnership durchgeführt wurde, um Regierungsbehörden und Entscheidungsträger aus verschiedenen Sektoren durch eine gezielt vorbereitete Simulation für die Herausforderungen und komplexen Dynamiken einer globalen Nahrungsmittelkrise zu sensibilisieren.

Die Übung basierte auf mehreren hypothetischen Szenarien für den Zeitraum 2020-2030, die extreme Wetterereignisse, Ernteausfälle, steigende Nahrungsmittelpreise, politische Instabilität und Migration umfassten. Diese Szenarien wurden entwickelt, um herausfordernde Bedingungen zu simulieren und die Entscheidungsträger zur schnellen und effektiven Reaktion zu zwingen. Damit sollte das Bewusstsein der Teilnehmer für die Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Nahrungsmittelproduktion, geopolitischer Stabilität und wirtschaftlichen Faktoren geschärft werden.
Die wichtigsten Details dieser Übung werden in einem Werbefilm präsentiert, den das Metanoia Magazin (ehemals ExpressZeitung) mit deutschen Untertiteln versehen hat.
Die Teilnehmer aus den USA, Brasilien, China, Indien, Europa und Afrika – also vor allem aus den führenden Ländern in der Nahrungsmittelproduktion – wurden in sechs Teams aufgeteilt. Das siebte Team vertrat Unternehmen und Investoren, und das achte Team repräsentierte multilaterale Institutionen wie die Weltbank, die Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen.
Bei dem Aufbau der Extremsituation konzentrierte man sich gezielt auf folgenden Stressvektoren:
- Klimawandel und extreme Wetterereignisse
- Politische und wirtschaftliche Instabilität
- Bevölkerungswachstum und Urbanisierung
Nichts schweißt mehr zusammen als ein gemeinsamer Feind. Hinter diesem Spruch verbirgt sich die Tatsache, dass in Extremsituationen bestimmte biopolitische Regierungstechniken in den Vordergrund treten. Dabei spielt die Fürsorge im Rahmen einer Solidaritätsdoktrin eine zentrale Rolle.
Ein von den Organisatoren der Übung zusammengestelltes Team aus „Experten“ moderierte und leitete die Diskussionen der Teilnehmer. Diese „intensive Betreuung“ trug dazu bei, dass die Teilnehmer leichter erkennen konnten, welche Lösungsansätze funktionieren und welche nicht.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die Ergebnisse der Übung als „alternativlos“. Diese kann man wie folgt zusammenfassen:
Global Governance
Während am Anfang hervorgehoben wurde, dass nationale Lösungsansätze eher zum Scheitern verurteilt sind, kommt man am Ende der Übung zur einzigen guten und richtigen Lösung: die Global Governance! Die Übung betonte die Bedeutung von multisektoralen Ansätzen, bei denen Akteure aus verschiedenen Bereichen (Regierung, Privatsektor, NGOs) zusammenarbeiten müssen, um umfassende Lösungen zu finden.
„Die Teams haben ihr Engagement für globale und regionale Kooperation und Zusammenarbeit in Krisenzeiten vertieft, was zum großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass die Akteure offen zugaben, dass keine Nation, keine Organisation und kein Unternehmen allein die globale Ernährungssicherheit adäquat angehen kann.“
Globale CO2-Steuer
Die Entwicklung und Implementierung von politischen Maßnahmen, die den Klimawandel adressieren, spielte eine wichtige Rolle bei der Definition der geeigneten Lösungsansätze.
„Der Zusammenhang zwischen Klima und Ernährungssicherheit wurde von einer Vielzahl von Staats- und Regierungschefs, die an dem Spiel teilnahmen, erkannt. Darüber hinaus einigten sich die Teams darauf, Umweltdienstleistungen zu bepreisen, Kohlenstoff zu bepreisen, die Entwicklung eines Marktes für den Kohlenstoffhandel zu unterstützen und die globalen Emissionswerte zu begrenzen.”
Die Neue Normalität ist Volatilität
„Im weiteren Verlauf des Spiels sahen sich die Teams mit einer „neuen Normalität“ konfrontiert, die in hohem Maße durch Unbeständigkeit und Unsicherheit gekennzeichnet war. Zu den wichtigsten Initiativen zur Bekämpfung dieser Situation gehörten: Stärkung bestehender Institutionen und Behörden im Rahmen der Vereinten Nationen, Schaffung eines neuen strategischen Hauptquartiers im Rahmen der Vereinten Nationen, um den Einsatz militärischer und nichtmilitärischer Mittel durch die Mitgliedstaaten besser zu koordinieren und Materialien in Gebieten mit absehbarem Bedarf bereitzustellen. Es entwickelte sich ein breiter Konsens über die Notwendigkeit zeitnaher, relevanter und glaubwürdiger globaler Informationen über Faktoren und Indikatoren der Ernährungssicherheit. Die letzte Spielrunde gipfelte in der Einberufung eines globalen Gipfeltreffens über Klimasicherheit und Verwundbarkeit, bei dem Vertreter aller Teams, … den Wunsch nach einem robusteren globalen Koordinationsmechanismus mit größerer Kapazität zur Reaktion auf klimabedingte Konflikte und die Volatilität des Ernährungssystems äußerten.“
1.4. Einige Schlussfolgerungen
Die Auswahl und Priorisierung der Stressvektoren wie Klimawandel, politische Instabilität und Bevölkerungswachstum richtete den Fokus bereits zu Beginn auf globale und umfassende Krisenszenarien, die nationale Lösungsansätze als nicht ausreichend erscheinen ließen. Dies deutet auf eine gewisse Vorbestimmtheit der Übungsergebnisse hin, die weniger alternative Lösungswege auf nationaler oder lokaler Ebene zuließen.
Ein weiterer Punkt ist die „intensive Betreuung“ durch ein Team aus Organisatoren und Experten, die die Diskussion lenkten und moderierten. Diese strukturelle Eingrenzung hat möglicherweise die Perspektiven und Lösungsansätze der Teilnehmer stark geprägt und dafür gesorgt, dass der favorisierte Lösungsansatz der Global Governance als „alternativlos“ erscheint.
Zusätzlich wurde der Lösungsansatz der globalen CO2-Bepreisung und des Emissionshandels hervorgehoben, was zeigt, dass die Übung auch klar definierte wirtschaftliche und regulatorische Maßnahmen befürwortete, die auf globaler Ebene durchgesetzt werden sollen.
Das Fehlen von kleinen und mittelständischen landwirtschaftlichen Unternehmen als direkte Teilnehmer bei der „Food Chain Reaction“-Übung ist ebenfalls bemerkenswert, insbesondere da sie zentrale Akteure im Agrarsektor in vielen Regionen der Welt sind. Die Übung konzentrierte sich hauptsächlich auf die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen, die von Regierungsbehörden, großen Unternehmen und internationalen Organisationen getroffen werden.
Anstatt reale Ereignisse zu analysieren, nutzte die Übung hypothetische Szenarien, um die Auswirkungen von Klimawandel, politischen Instabilitäten und wirtschaftlichen Faktoren auf die Nahrungsmittelversorgung zu simulieren. Der Fokus lag auf der Entwicklung von politischen Maßnahmen und internationalen Kooperationen basierend auf vordefinierten Narrativen. Eine Übung, die auf simulierten Szenarien basiert und hauptsächlich hochrangige Akteure einbezieht, kann die realen Bedingungen und Herausforderungen, denen Farmer und lokale Gemeinschaften gegenüberstehen, nicht vollständig berücksichtigen. Ohne die direkte Beteiligung von kleineren Akteuren geraten wichtige praktische Einsichten und Bedürfnisse, die für die Umsetzung von Strategien auf lokaler Ebene entscheidend sind, in den Hintergrund.
Dieser Top-Down Ansatz bei der Herangehensweise zur Sicherung der globalen Nahrungsmittelversorgung schafft eine Umgebung, bei der kleine und mittelständische Unternehmen zunehmend in Abhängigkeit von wenigen globalen Akteuren geraten. Dies geschieht in der Praxis auf verschiedene Art und Weise:
a) Technologie und Innovation
Große Unternehmen investieren erheblich in Forschung und Entwicklung neuer landwirtschaftlicher Technologien und Methoden. Bei dem Zugang zu diesen Innovationen sind kleine und mittelgroße Bauern zunehmend von den Angeboten und Konditionen, die von großen Agrarkonzernen diktiert werden, abhängig.
b) Marktzugang und Vertrieb
Große Unternehmen kontrollieren einen signifikanten Teil der globalen Nahrungsmittelversorgungsketten. Um ihre Produkte auf den Markt zu bringen, sind kleine und mittelgroße Bauern in den meisten Fällen auf diese etablierten Vertriebskanäle angewiesen, was ihre Abhängigkeit von den großen Playern erhöht.
c) Finanzielle Unterstützung und Ressourcen
Große Unternehmen und Finanzinstitute bieten oft die nötige finanzielle Unterstützung und Ressourcen, die für die Modernisierung und Skalierung der landwirtschaftlichen Produktion erforderlich sind. Dies kann kleine und mittelgroße Akteure in eine Position bringen, in der sie Kredite und Investitionen dieser großen Player benötigen. Solche finanziellen Abhängigkeiten könnten die Entscheidungsfreiheit der Bauern in Bezug auf Anbaumethoden, Pflanzensorten und Marktzugang einschränken.
d) Regulierungen und Standards
Große Unternehmen haben oft die Ressourcen, um strenge Regulierungen und Qualitätsstandards zu erfüllen und sogar mitzugestalten. Kleine und mittelgroße Betriebe müssen sich diesen Standards anpassen, was ihre Produktionskosten und Abhängigkeit von den großen Unternehmen, die diese Standards setzen, weiter erhöht.
Zusammenfassend scheint die „Food Chain Reaction“-Übung eine starke Präferenz für globale, zentralisierte Lösungen zu haben. Das Szenario und die Ausgestaltung der Übung deuten auf eine Voreingenommenheit hin, die potenzielle nationale oder dezentralisierte Ansätze weniger in Betracht zog, was Fragen zur Objektivität der Übung aufwirft.
1.5. Von der Simulation zur Realität
„Die Zukunft kann man am besten voraussagen,
wenn man sie selbst gestaltet.“
Alan Curtis Kay – amerikanischer Informatiker
Die „Food Chain Reaction“-Übung simulierte eine globale Nahrungsmittelkrise, die sich aus einer Kombination klimatischer, wirtschaftlicher und geopolitischer Faktoren für den Zeitraum von 2020 bis 2030 ergab. Obwohl die Übung den Fokus auf eine Klimakatastrophe legte, lassen sich viele der in der Simulation durchgespielten Szenarien auf die tatsächlichen Ereignisse im Zeitraum 2020 bis 2024 übertragen.
Die Ära der Volatilität wurde im Jahr 2020 eingeläutet. Während sie in der Simulation durch den Klimawandel und extreme Wetterereignisse in dem Zeitraum 2020-2022 begründet wird, erlebten wir in der Realität die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie.
„Eine globale Ernährungskrise von unbekanntem, wohl aber enormem Ausmaß steht uns bevor. Auslöser dieser Krise sind der Ausbruch der COVID-19-Pandemie und die weltweit verhängten Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung und Eindämmung, gepaart mit den massiven wirtschaftlichen Auswirkungen dieser notwendigen Maßnahmen. Konflikte, Naturkatastrophen und ganze Kontinente erfassende Schädlingsplagen und Seuchen waren schon vor der Pandemie ein Problem und stellen vielerorts eine zusätzliche Belastung dar. Doch auch die Funktionsweise unserer Ernährungssysteme birgt tiefgreifende strukturelle Probleme, die wir nicht länger ignorieren können.“
ist in dem UN-Dokument „Die Auswirkungen von COVID-19 auf Ernährungssicherheit und Ernährung“ vom Juni 2020 zu lesen.
Die COVID-19-Pandemie hatte von 2020 bis 2022 weitreichende Auswirkungen auf die globale Nahrungsmittelversorgung. Eine der gravierendsten Folgen war die Unterbrechung der Lieferketten. Lockdowns, Grenzschließungen und Quarantänemaßnahmen führten weltweit zu logistischen Herausforderungen, die den Transport von Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Erzeugnissen massiv beeinträchtigten. Dies führte zu Verzögerungen, Engpässen und erheblichen Preisschwankungen. Zudem standen Landwirte in vielen Ländern vor einem akuten Arbeitskräftemangel, da COVID-19-bedingte Einschränkungen den Zugang zu saisonalen Arbeitskräften stark einschränkten. Diese Arbeitskräfte waren jedoch entscheidend für die Ernte und Verarbeitung von Lebensmitteln.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, trieben die Lebensmittelpreise in die Höhe, insbesondere in Ländern mit geringer Eigenproduktion. In einigen Ländern kam es zudem zu Versorgungsengpässen bei importabhängigen Lebensmitteln. Millionen von Menschen, vor allem in Entwicklungsländern, verloren ihre Einkommensquellen und konnten sich grundlegende Lebensmittel nicht mehr leisten. Auch die landwirtschaftliche Produktion litt unter den Auswirkungen der Pandemie. Produktionsausfälle wurden durch den Arbeitskräftemangel, unterbrochene Lieferketten und eingeschränkten Zugang zu Betriebsmitteln wie Saatgut und Düngemitteln verursacht.
Kleinbauern, insbesondere in den Entwicklungsregionen, die oft aus wirtschaftlich prekären Verhältnissen kommen, waren die Hauptleidtragenden dieser Krise. Der einbrechende Handel, die Schließung von Dorfmärkten und heimische Reisebeschränkungen stellten eine echte Gefahr für ihre Existenz dar.
„Um Kleinbauern in Asien, Afrika und Lateinamerika zu unterstützen, die aufgrund von COVID-19 vor zusätzlichen Herausforderungen stehen, stellt Bayer als Teil seines gesellschaftlichen Engagements und im Rahmen seiner neuen Initiative „Better Farms, Better Lives“ den Kleinbauern Saatgut und Pflanzenschutzmittel zur Verfügung und unterstützt sie bei Fragen des Marktzugangs sowie bei der Sorge für ihre Gesundheit und ihre Sicherheit.Bayer engagiert sich dafür, 100 Millionen Kleinbauern in Ländern mit geringem bis mittlerem Einkommensniveau bis 2030 zu helfen. Die schnelle Reaktion auf COVID-19 durch die Initiative „Better Farms, Better Lives“ ergänzt die laufende Unterstützung von Kleinbauern, die sowohl zu mittelfristigen Verbesserungen als auch zu langfristiger Widerstandsfähigkeit beitragen wird. Darüber hinaus wird Bayer seine Partnerschaften mit Regierungen, international anerkannten Nichtregierungsorganisationen und lokalen Organisationen ausbauen, um so in Zusammenarbeit mit anderen die größtmögliche Unterstützung für Kleinbauern sicherzustellen. Dazu gehören die Schaffung eines Kleinbauern-Kompetenzzentrums für den Austausch über Erfolge, die Bereitstellung eines beschleunigten Zugangs zu digitalen Landwirtschafts-Tools zur Steigerung der Leistungsfähigkeit, der Ausbau bestehender und neuer Partnerschaften entlang der Wertschöpfungskette und die Ausweitung solcher Partnerschaften in den Ländern im asiatisch-pazifischen Raum.“
ist in der Pressemitteilung der Bayer AG vom 17. Juni 2020 zu lesen.
Diese noble Geste ist eine praktische Demonstration dafür, wie Kleinbauern und Regierungen durch Partnerschaften zunehmend in Abhängigkeit von wenigen globalen Akteuren geraten. Der Beitrag von Bayer mit dem Titel „Sind unsere Nahrungsmittelketten COVID-19 gewachsen?“ vom Mai 2024 enthält weitere klare Formulierungen in diesem Zusammenhang:
„Wir können nicht zurück zu rein lokalen Nahrungsmittelketten. Wir leben in einem globalen Ernährungssystem. Wir müssen intelligente globale Ernährungssysteme entwickeln, die nachhaltig sind, auf dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft beruhen und die Kleinbauern aktiv einbeziehen.
Mithilfe von Technologie und Daten könnte dies gelingen. Diese Pandemie hat langfristige Auswirkungen auf alle Regionen unserer Welt … Sie könnte dazu führen, dass mehr Technologie eingesetzt wird, etwa Roboter in der Kommissionierung, in Lagern und Kühlhäusern.
Auch die Datennutzung wird zunehmen. An allen Punkten in der Lieferkette werden künftig mehr Daten gesammelt. Je mehr Daten wir haben, desto genauer sind unsere Modelle und Vorhersagen.
Aufgrund des Coronavirus werden wir unsere aktuellen Lebensmittelsysteme überdenken. Dies bietet Möglichkeiten für Übergänge, wodurch unsere derzeitigen Systeme widerstandsfähiger und nachhaltiger und globale Systeme intelligenter werden. Um dies zu erreichen, sind enge und effektive Kooperationen zwischen der Wissenschaft sowie dem privaten und öffentlichen Sektor erforderlich.“
Inwieweit diese Aussagen als „Widerstand ist zwecklos. Sie werden assimiliert.“ interpretiert werden können, hängt davon ab, wie die unvermeidliche Anpassung der traditionell eher lokal und weniger technologieintensiv arbeitenden Kleinbauern an diese neuen Standards erfolgt. Entscheidend ist, wie diese Integration gestaltet wird – ob sie die Autonomie und traditionellen Kenntnisse der Kleinbauern respektiert oder ob sie tatsächlich wie eine erzwungene Anpassung wirkt. Die nahe Zukunft wird es zeigen.
In den Jahren 2022-2024 eskaliert die Nahrungsmittelkrise in der Food-Chain-Reaction Simulation weiter. Als treibende Kräfte werden unter anderem der drastische Anstieg der Ölpreise, zunehmende Unruhen, steigende Migration, der weitere Anstieg der Lebensmittelpreise sowie Hitzestress in Russland und der Ukraine genannt, der die Getreidevorräte reduziert.
In der realen Welt eskalierte die kontroverse Diskussion um die zukünftige geopolitische Orientierung der Ukraine im Februar 2022 zu einer offenen kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine, bei der auch die EU und die NATO indirekt involviert sind.
Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat seit 2022 erhebliche Auswirkungen auf die globale Nahrungsmittelversorgung. Beide Länder sind bedeutende Exporteure von Weizen, Mais und Sonnenblumenöl und stellten vor dem Krieg gemeinsam fast ein Drittel des weltweiten Weizenexports. Durch den militärischen Konflikt und die Blockaden im Schwarzen Meer wurden diese Exporte insbesondere in dem Zeitraum 2022-2023 stark beeinträchtigt, was zu einer globalen Verknappung von Getreide führte. Besonders Regionen wie der Nahe Osten und Nordafrika, die stark von Importen abhängig sind, spürten die Auswirkungen in Form von steigenden Preisen und erhöhter Ernährungsunsicherheit.
Die Verknappung von Getreide hat weltweit zu einem starken Anstieg der Lebensmittelpreise geführt, was vor allem einkommensschwache Haushalte hart trifft. Zusätzlich hat der Krieg den Düngemittelmarkt stark belastet, da Russland ein wichtiger Exporteur von Düngemitteln und deren Bestandteilen ist. Die Sanktionen gegen Russland und die daraus resultierenden Lieferkettenstörungen führten zu höheren Düngemittelpreisen, was viele Landwirte zwang, weniger Düngemittel zu verwenden, wodurch die Ernteerträge sanken und die globale Nahrungsmittelkrise weiter verschärft wurde.
Die Krise hat auch weitreichende politische und wirtschaftliche Konsequenzen. Sanktionen gegen Russland und Handelsbeschränkungen haben die globalen Lieferketten für landwirtschaftliche Produkte und die Finanzströme zusätzlich belastet. Viele Länder, insbesondere Entwicklungsländer, die auf Importe aus Russland und der Ukraine angewiesen sind, kämpfen nun mit Ernährungsunsicherheit und sozialen Unruhen. In einigen Regionen führte dies zu humanitären Notlagen.
Der Krieg in der Ukraine hat weiterhin zu einem Anstieg der Preise und Versorgungsengpässen bei wichtigen Energieträgern wie Gas und Kraftstoffen (Benzin, Diesel) beigetragen. Dies brachte spürbare Mehrkosten für Landwirte und Unternehmen der Ernährungsindustrie mit sich. In der Folge stiegen die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte, insbesondere in Europa, deutlich an. Zusammen mit der durch die Rekordinflation belasteten Verbraucherstimmung erhöhte sich der Druck auf Unternehmen im landwirtschaftlichen Sektor erheblich.
Als Folge dieser Entwicklung hat die EU die bereits beschlossenen Krisenhilfen für Landwirte im Mai 2024 weiter verlängert. Ursprünglich wurde der befristete Krisenrahmen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine vor zwei Jahren eingeführt. Die finanziellen Unterstützungsmaßnahmen zielen darauf ab, insbesondere die zusätzlichen Kosten für Energie und Düngemittel, die den Landwirten durch die Krise entstanden sind, abzudecken. Während diese staatlichen Hilfen den Bauern in akuten Krisenzeiten wertvolle Unterstützung bieten, könnte ihre langfristige Gewährung jedoch zu einer Abhängigkeit von staatlicher Hilfe führen. Wenn Bauern wiederholt auf Subventionen angewiesen sind, um wirtschaftlich überleben zu können, könnte dies ihre Fähigkeit beeinträchtigen, unabhängig von staatlichen Eingriffen zu operieren. In diesem Zusammenhang berichtete die Tagesschau im Dezember 2022 wie folgt:
„Der größte Posten im EU-Haushalt sind mit 450 Milliarden Euro die Agrarsubventionen.
Jedes Jahr verteilt die Europäische Kommission mehr als 50 Milliarden Euro Agrarsubventionen. Deutschland profitiert nach Frankreich und Spanien am meisten davon. Mehr als 400.000 Empfänger bekamen hierzulande seit 2014 gut 53 Milliarden Euro. Deutsche Landwirte erhielten im Schnitt für die vergangenen acht Jahre 127.000 Euro. Doch die Schere geht weit auseinander: Das oberste Prozent der Empfänger erhielt fast ein Viertel aller Subventionen – also mehr als zwölf Milliarden Euro oder knapp 30.000 Euro pro Betrieb im Monat. Die gesamte untere Hälfte der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe und Landwirte zusammen dagegen weniger als vier Milliarden. Das sind gerade einmal 200 Euro pro Betrieb im Monat.
Die problematischen Tendenzen zeigen sich in ganz Europa. In den acht untersuchten Ländern gehören vor allem große Unternehmen und öffentliche Einrichtungen zu den Profiteuren der Subventionen. In allen Ländern nehmen wenige große Empfänger das meiste Geld ein. Die Verteilung ist oft sogar noch ungleicher als in Deutschland. Das oberste Prozent der Empfänger kassiert in Europa mehr als ein Drittel aller Subventionen.“
Der Ukraine-Krieg hat die wirtschaftliche Lage vieler EU-Bauern verschärft und ihre Abhängigkeit von staatlichen Hilfen weiter verstärkt. Diese Entwicklung könnte langfristig dazu führen, dass die Landwirtschaft noch stärker in staatliche Unterstützungsmechanismen eingebunden wird. Staatliche Programme und Subventionen können an Bedingungen geknüpft sein, die Bauern zur Übernahme bestimmter Technologien oder Praktiken zwingen, was es den Regierungen erleichtert, ihre agrarpolitischen Ziele durchzusetzen.
In Krisenzeiten, wie etwa während des Ukraine-Kriegs, steigt die Akzeptanz für staatliche Eingriffe und die damit verbundenen Narrative. Diese Umstände bieten die Gelegenheit, den Übergang zu einer „grüneren“ Landwirtschaft oder die Einführung neuer Technologien als notwendige Entwicklungen zu positionieren. Kritische Stimmen gegenüber solchen Narrativen werden in diesem Kontext oft als wenig zielführend oder als hinderlich für das Gemeinwohl wahrgenommen. Langfristig könnte jedoch eine verstärkte Abhängigkeit von staatlichen Subventionen die Flexibilität der Landwirte einschränken und ihre Fähigkeit sowie Bereitschaft, eigenständige Alternativen zu verfolgen, beeinträchtigen.
Diese Dynamik erleichtert es Regierungen, landwirtschaftliche Strategien und Narrative durchzusetzen, wodurch die Implementierung von Top-Down-Ansätzen in der Landwirtschaft, wie während der „Food Chain Reaction“-Übung geprobt, fast zwangsläufig wird.

2. Die vierte industrielle Revolution und die Gestaltung der Lebensmittelsysteme
Die „Food Chain Reaction“-Übung modellierte eine Reihe von Krisenereignissen, die die Stabilität des globalen Ernährungssystems bedrohten und rasch zu Lebensmittelknappheit, Preissteigerungen sowie politischen Unruhen in einer vernetzten Welt führten. Das Hauptziel bestand darin, hochrangige Akteure aus Politik und Wirtschaft für Lösungsansätze im Bereich der Global Governance zu sensibilisieren.
In diesem Kontext hat das Weltwirtschaftsforum (WEF) im Jahr 2018 in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen McKinsey den Bericht „Innovation with a Purpose: The role of technology innovation in accelerating food systems transformation“ veröffentlicht. Der Bericht baut auf Erkenntnissen und Szenarien der „Food Chain Reaction“-Übung auf und schlägt konkrete technologische und politische Maßnahmen vor, die das globale Ernährungssystem grundlegend transformieren können.
Das Dokument unterstreicht die zentrale Rolle von Technologie und Innovation bei der Neugestaltung globaler Ernährungssysteme, um drängende Herausforderungen wie Ernährungsunsicherheit, Klimawandel und die Förderung nachhaltiger Entwicklung zu bewältigen. Insbesondere das rasche Bevölkerungswachstum in städtischen Gebieten erhöht die Nachfrage nach Lebensmitteln und verändert Konsummuster, wodurch der Druck auf landwirtschaftliche Ressourcen steigt und bestehende Ineffizienzen in Produktion und Verteilung weiter verstärkt werden.
Die Verfasser beschreiben die Landwirtschaft als einen Sektor mit doppelter Verantwortung: Zum einen trägt sie erheblich zum Klimawandel bei, zum anderen ist sie stark von dessen Folgen betroffen, darunter Bodenerosion, Wasserknappheit und der Verlust an biologischer Vielfalt. Diese Probleme verschärfen Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung, die trotz globaler Fortschritte weiterhin bestehen. Zudem wird auf erhebliche Verluste entlang der Wertschöpfungskette hingewiesen, was die ungleiche Nutzung von Ressourcen weiter verstärkt.
Innovative Technologien werden als entscheidende Lösungsansätze hervorgehoben. So wird betont, dass digitale Ansätze wie Big Data, Künstliche Intelligenz (KI) und das Internet der Dinge (IoT) dazu beitragen können, landwirtschaftliche Prozesse effizienter zu gestalten, den Ressourceneinsatz zu optimieren und datenbasierte Entscheidungen in Echtzeit zu ermöglichen. Auch Fortschritte in der Biotechnologie, insbesondere durch Verfahren wie CRISPR-Cas9 zur gezielten Veränderung von DNA, bieten neue Möglichkeiten, widerstandsfähigere Pflanzen- und Tierarten zu entwickeln, die besser an Krankheiten und klimatische Veränderungen angepasst sind. Diese Entwicklungen leisten einen wichtigen Beitrag zu nachhaltigem Wachstum und einer zukunftsfähigen Landwirtschaft.
Zusätzlich weisen die Autoren darauf hin, dass innovative Produktionsmethoden wie die vertikale Landwirtschaft, In-vitro-Fleisch und alternative Proteinquellen (z. B. Insekten) vielversprechende Möglichkeiten bieten könnten, die Lebensmittelproduktion nachhaltiger und ressourcenschonender zu gestalten. Blockchain-Technologie wird ebenfalls als potenziell wirkungsvolles Instrument beschrieben, um Transparenz und Rückverfolgbarkeit in globalen Lieferketten zu erhöhen. Dies könne nicht nur Betrug und Verunreinigungen reduzieren, sondern auch das Vertrauen der Verbraucher in die Herkunft und Qualität von Lebensmitteln stärken.

Das World Economic Forum (WEF) ist eine einflussreiche, weltweit agierende Organisation und bietet eine bedeutende Plattform für den Austausch von Ideen und Strategien zwischen führenden Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Es spielt eine zentrale Rolle bei der Gestaltung globaler Agenden. Durch Berichte, Studien und Initiativen adressiert das WEF wichtige Themen wie Klimawandel, Digitalisierung, soziale Ungleichheit und die Zukunft der Arbeit. Viele Regierungen und Unternehmen orientieren sich an den Empfehlungen und Diskussionen, die vom WEF initiiert werden.
Das WEF fördert zudem die Zusammenarbeit zwischen Regierungen und der Privatwirtschaft. Diese Partnerschaften beeinflussen politische Entscheidungen und wirtschaftliche Entwicklungen erheblich. Angesichts dieses weitreichenden Einflusses ist es sinnvoll, einige der Lösungsansätze im genannten Bericht des WEF genauer zu analysieren.
2.1. Veränderung der Nachfrage
a) Alternative Proteine
Die Verfasser des Berichts betonen, dass eine ausreichende Eiweißversorgung essenziell für eine gesunde Ernährung ist. Mit dem globalen Bevölkerungswachstum auf bald 9 Milliarden Menschen und veränderten Essgewohnheiten durch steigenden Wohlstand und Urbanisierung nimmt die Nachfrage nach tierischem Eiweiß weltweit zu. Diese Entwicklung könnte zwar die Ernährungssituation unterversorgter Menschen verbessern, bringt jedoch erhebliche Umweltprobleme mit sich. Wie im Bericht hervorgehoben, „verursacht die Viehwirtschaft rund 15 % der globalen Treibhausgasemissionen, verbraucht etwa 10 % des weltweiten Süßwassers und beansprucht mehr als ein Viertel der eisfreien Landfläche.“
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sieht das WEF die Versorgung mit sicheren, erschwinglichen und nachhaltig erzeugten Proteinquellen als entscheidend für die Zukunft an. Alternative Proteine aus ökologisch schonenderen Quellen wie Insekten, Pflanzen, Aquakulturen und Zellkulturen könnten vielversprechende Alternativen zu herkömmlichen Proteinen für den menschlichen und tierischen Verzehr darstellen.

Damit diese alternativen Proteinquellen von Verbrauchern akzeptiert werden, empfiehlt der Bericht, nationale Medienkampagnen und Öffentlichkeitsarbeit mit gezielten Vorschriften und finanziellen Anreizen zu kombinieren. Zudem soll durch technologische Fortschritte sichergestellt werden, dass entsprechende Produkte in Hinblick auf Nährstoffgehalt, Geschmack und Textur mindestens gleichwertig und zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar gemacht werden.
Gesagt, getan: „Pflanzliche Proteinquellen werden für eine pflanzenbetonte Ernährung an Bedeutung gewinnen. Die Bundesregierung wird Maßnahmen prüfen, wie sie diese Entwicklung effektiv unterstützen kann.“ … „Der Absatz von Alternativen zu tierischen Lebensmitteln hat über die vergangenen Jahre zwar zugenommen, bewegt sich aber nach wie vor auf relativ niedrigem Niveau. Eine Innovationsförderung für Hersteller könnte Barrieren für den Markteintritt senken, den Wettbewerb erhöhen und damit letztlich zu niedrigeren Preisen für Verbraucherinnen und Verbraucher führen. Darüber hinaus kann auch die Unterstützung des Matchings von Anbauern und Verarbeitern einen wichtigen Beitrag leisten. Beide Aspekte sind im Rahmen der Bekanntmachung des BMEL zu alternativen Proteinquellen für die Humanernährung adressiert“, ist in dem aktuellen Ernährungsstrategiepapier (Seite 23 und 25) des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zu lesen.
Die europäischen Landwirtschaftsminister befassen sich derzeit intensiv mit der Frage, wie „neuartige Lebensmittel“ eingeführt werden können, ohne die „kulinarische Tradition“ aus dem Blick zu verlieren – ein Thema, das intensive Debatten auslöst. Der Begriff „neuartige Lebensmittel“ ist weit gefasst und beinhaltet verschiedene Arten von Produkten, einschließlich essbarer Insekten und vegetarischer Alternativen zu Milchprodukten und Fleisch. Laut der Europäischen Kommission hat sich der Konsum von vegetarischen Alternativen zu Fleisch, Milchprodukten und Meeresfrüchten seit 2011 verfünffacht und wird voraussichtlich weiterhin zunehmen. Die EU hat bislang den Verkauf von vier Insektenarten zugelassen, während mindestens acht weitere Anträge derzeit geprüft werden. Am 26. Juli 2024 wurde der erste EU-Antrag für Verkauf von Labor gezüchtetem Fleisch gestellt.
Während die Diskussionen unter den EU-Landwirtschaftsministern über „neuartige Lebensmittel“ nach wie vor kontrovers verlaufen, vertreten viele der führenden Agrar- und Lebensmittelproduzenten der EU die Ansicht, dass Innovationen und Traditionen durchaus nebeneinander bestehen können. Sie sind überzeugt, dass neue Lebensmitteloptionen die kulinarische Kultur der EU nicht gefährden müssen. Der italienische Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, der seine Ablehnung von künstlich erzeugtem Fleisch bekräftigt hat, beschreibt das Dilemma der EU-Politiker in einfachen Worten: „Ich sehe nicht den Wunsch, irgendeinen Prozess zu verlangsamen, sondern vielmehr das Bedürfnis, zu wissen, in welche Richtung es geht.“
In welche Richtung es geht, ist eindeutig in dem Amtsblatt der Europäischen Union vom 03. Januar 2023 beschrieben:
„(7) In ihrem wissenschaftlichen Gutachten gelangte die Behörde zu dem Schluss, dass teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) unter den vorgeschlagenen Verwendungsbedingungen in den vorgeschlagenen Mengen sicher ist. Das wissenschaftliche Gutachten bietet folglich ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) bei Verwendung in Mehrkornbrot und -brötchen, Crackern und Brotstangen, Getreideriegeln, trockenen Vormischungen für Backwaren, Keksen, trockenen gefüllten und ungefüllten Erzeugnissen aus Teigwaren, Soßen, verarbeiteten Kartoffelerzeugnissen, Gerichten auf Basis von Leguminosen und Gemüse, Pizza, Erzeugnissen aus Teigwaren, Molkenpulver, Fleischanalogen, Suppen und Suppenkonzentraten oder -pulver, Snacks auf Maismehlbasis, bierähnlichen Getränken, Schokoladenerzeugnissen, Nüssen und Ölsaaten, Snacks außer Chips sowie Fleischzubereitungen für die allgemeine Bevölkerung den Bedingungen für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2015/2283 genügt.“
Die Behörde stellt in ihrem Bericht weiterhin fest, dass diese neuartigen Lebensmittel Proteine enthält, die potenziell allergieauslösend sein können. Zwar liegen der Behörde bisher keine eindeutigen Beweise für schwerwiegende allergische Reaktionen vor, dennoch wird auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der Verzehr Allergien auslösen könnte.
Dabei ist das Risikopotential bereits seit Jahren bekannt. In einem wissenschaftlichen Artikel aus dem Jahr 2018 mit dem Titel „The house cricket (Acheta domesticus) as a novel food: a risk profile“ betont ein internationales Forscherteam, dass Grillen bei bestimmten Menschen allergische Reaktionen auslösen können. Das liegt daran, dass Grillen und andere Arthropoden wie Garnelen, Krabben und Hummer ähnliche Eiweiße enthalten. Diese Eiweiße können bei Allergikern ähnliche Reaktionen hervorrufen. Da der Konsum von Insekten weltweit voraussichtlich zunimmt, könnte es auch zu einer Zunahme allergischer Reaktionen auf diese Insektenarten kommen.
Darüber hinaus enthalten Grillen auch spezifische Allergene wie Hexamerin B1, dessen allergenes Potenzial noch nicht vollständig verstanden ist. Um Gesundheitsrisiken zu vermeiden, sollten Grillen und Produkte aus Grillen im Handel deutlich gekennzeichnet werden. Es ist wichtig zu wissen, dass wissenschaftliche Ergebnisse, die für eine bestimmte Insektenart gelten, nicht automatisch auf verwandte Arten übertragbar sind. Deshalb sollte für jede kommerziell gezüchtete Insektenart eine eigene Risikobewertung durchgeführt werden.
Da immer mehr Produkte mit essbaren Insekten auf den Markt kommen, ist es wahrscheinlich, dass neue Allergene entdeckt werden, die mit Grillen und anderen essbaren Insekten in Verbindung stehen. Zudem könnte die Entwicklung neuer Verarbeitungstechniken für Insektenprodukte auch neue chemische oder mikrobielle Gefahren mit sich bringen.
Neue Erkenntnisse zu diesem Thema liefert die aktuelle Analyse „The Allergen Profile of Two Edible Insect Species – Acheta domesticus and Hermetia illucens“. Die Studie hat mehrere Allergene in Insekten identifiziert, die bei Allergikern Probleme verursachen könnten, insbesondere bei denen, die bereits auf Krebstiere allergisch sind. Es wurden auch zusätzliche Proteine entdeckt, die allergische Reaktionen auslösen könnten, jedoch noch nicht mit bekannten Krebstierallergenen verglichen wurden. Diese neuen Allergene müssen weiter untersucht werden, um zu verstehen, wie sie den Körper beeinflussen und wie man sie besser diagnostizieren und behandeln kann.
Die Wissenschaftler haben außerdem gezeigt, dass Standard-Allergen-Testkits für Krebstiere nicht verwendet werden können, um Insektenprodukte auf Allergene zu testen. Deshalb sollte die Kennzeichnung von Lebensmitteln mit Insekten in Zukunft sicherstellen, dass diese speziellen Allergene berücksichtigt werden, um unerwünschte allergische Reaktionen zu vermeiden. Das ist besonders wichtig, weil in einigen Regionen der Welt bis zu 4 % der Menschen auf Krebstiere allergisch sind.
Kritiker sehen in der Entscheidung der EU-Kommission den Versuch, trotz möglicher gesundheitlicher Risiken, den Konsum von Acheta domesticus als sicher darzustellen, um das Ziel einer vielfältigeren Ernährung und die Einführung nachhaltiger Proteinquellen zu fördern. Befürworter hingegen argumentieren, dass die potenziellen Vorteile, wie der Zugang zu nachhaltigen Proteinquellen, die Risiken überwiegen könnten. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Risiken ignoriert werden; vielmehr werden sie als vertretbar erachtet, sofern die vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden. In wieweit der Spruch „Der Zweck heiligt die Mittel“ in diesem Fall zutreffend ist, hängt davon ab, ob man von den vertretbaren Risiken betroffen ist oder nicht.
Die gesundheitlichen Risiken für die Weltbevölkerung stehen ganz oben auf der Agenda der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Videobotschaft des WHO-Generaldirektors „Our food systems are harming the health of people and the planet“ veranschaulicht die Sichtweise der WHO in Bezug auf die Nahrungsmittelsysteme:
b) Untrennbare Verbindung der Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt
Nach Ansicht der WHO steigt durch das Bevölkerungswachstum und die zunehmende Nähe von Menschen zu Wild- und Haustieren das Risiko, dass Krankheiten von Tieren auf Menschen übertragen werden. Laut der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) sind etwa 60 % der bekannten Infektionskrankheiten des Menschen zoonotischen Ursprungs, ebenso wie 75 % der Erreger neu auftretender Krankheiten. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) weist zudem darauf hin, dass die intensive Viehhaltung erheblich zur Umweltbelastung beiträgt. Sie verursacht mehr Treibhausgasemissionen als der weltweite Verkehr und verschärft Probleme wie Abholzung, hohen Wasserverbrauch und Bodenkontamination.
Zusätzlich erhöhen der übermäßige Einsatz von Antibiotika und das Auftreten von Zoonosen die Gesundheitsrisiken für den Menschen. Die Abholzung entzieht Tieren ihren natürlichen Lebensraum und drängt sie näher an menschliche Siedlungen, was das Risiko für die Übertragung von Zoonosen weiter verstärkt. Darüber hinaus fördern globale Reisen und der internationale Handel die rasche Verbreitung von Krankheiten über Landesgrenzen hinweg, sodass ein Ausbruch in einem einzelnen Land schnell weltweite Auswirkungen haben kann.
Diese untrennbare Verbindung der Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt kristallisiert sich in dem WHO One-Health-Ansatz, der die Art und Weise verändert, wie Regierungen, Organisationen und Institutionen Gesundheitsfragen angehen und darauf reagieren.

Der One-Health-Ansatz und seine Auswirkungen auf landwirtschaftliche Betriebe
Der One-Health-Ansatz ist umfassender als die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und setzt auf intersektorale Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene. Er erfordert koordinierte Governance-Strukturen, die verschiedene Bereiche wie Gesundheitswesen, Veterinärwesen, Landwirtschaft, Nahrungsmittelproduktion und Umweltschutz einbeziehen, um effektive Zusammenarbeit zwischen Behörden und Organisationen zu ermöglichen.
Ein zentrales Merkmal ist der präventive Fokus, der Ressourcen und Strategien auf Frühwarnsysteme und die Überwachung von Tier- und Umweltgesundheit ausrichtet. Durch die Harmonisierung internationaler Richtlinien soll eine einheitliche und wirksame Umsetzung sichergestellt werden. Der Ansatz betont die Bedeutung moderner Technologien und Datenanalysen zur Überwachung und Prävention, um potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen.
One Health fördert eine integrierte Governance, die reaktive Krisenbewältigung durch präventive Maßnahmen ersetzt. Diese Perspektive bietet politischen Entscheidungsträgern Werkzeuge, um Gesundheitskrisen ganzheitlich zu adressieren und, wenn nötig, gezielt Notstandsmaßnahmen zu ergreifen.
Die Auswirkungen des One-Health-Ansatzes auf landwirtschaftliche Betriebe sind tiefgreifend. Um Notstandsmaßnahmen zu vermeiden, die häufig zu finanziellen Ruinen führen, sind Landwirte gezwungen, in Infrastruktur, veterinärmedizinische Maßnahmen, Überwachungstechnologien und Schulungen zu investieren. Diese Umstellung auf One-Health-konforme Praktiken kann vor allem für kleinere Betriebe sowohl strukturell als auch finanziell belastend sein. Der Zugang zu Fördermitteln und Subventionen ist entscheidend, um diese Last zu bewältigen. Allerdings führt dies zu einer zunehmenden Abhängigkeit von externen privaten oder staatlichen Akteuren, was die Unabhängigkeit der Landwirte weiter einschränkt.
Darüber hinaus könnte das dynamische Anpassen an gesundheitliche und umweltbedingte Anforderungen den Druck auf landwirtschaftliche Betriebe erhöhen und deren Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen. Eine plötzliche Änderung der Vorschriften zur Bekämpfung von Tierkrankheiten wie der Afrikanischen Schweinepest oder Vogelgrippe könnte zusätzliche Auflagen für Tierhaltung, Hygiene oder Impfungen nach sich ziehen, die die Betriebe zwingen, schnell neue Investitionen oder Anpassungen vorzunehmen. Dieser kontinuierliche Anpassungsprozess könnte die Unabhängigkeit der Betriebe einschränken und deren Betriebsführung komplexer und kostspieliger machen. Zudem könnte er zu einer verstärkten Abhängigkeit von externen staatlichen Akteuren führen und die Notwendigkeit schaffen, ständig Ressourcen für die Umsetzung neuer Vorschriften bereitzustellen.
„Eine Umstellung der Lebensmittelsysteme auf eine gesündere, abwechslungsreichere und stärker pflanzlich geprägte Ernährung ist daher unerlässlich“, lautet die Devise der WHO. Die Bill- und Melinda-Gates-Stiftung zählt zu den größten Geldgebern der WHO überhaupt.
c) Synthetische Lebensmittel
Wie sich Bill Gates die Umstellung der Lebensmittelsysteme konkret vorstellt, beschreibt er auf seinem Internetblog GatesNotes wie folgt:
„Unser Plan kann nicht darin bestehen, einfach zu hoffen, dass die Menschen auf Lebensmittel verzichten, nach denen sie sich sehnen. Schließlich ist der Mensch nicht ohne Grund darauf programmiert, tierische Fette zu essen, denn sie sind der nährstoffreichste und kalorienreichste Makronährstoff – genauso wie wir uns nach Zucker sehnen, um einen schnellen Energiekick zu bekommen. Wir brauchen neue Wege, um die gleichen Fettmoleküle wie in tierischen Produkten zu erzeugen, aber ohne Treibhausgasemissionen, Tierleid oder gefährliche Chemikalien. Und sie müssen für jeden erschwinglich sein.“
Wie die neuen Wege konkret aussehen können, wird vom Gates unterstützten Start-Up Savor zusammengefasst.
„Können wir die fossilen Brennstoffe nicht einfach essen?“
„Der Gedanke, dass die Umstellung der Menschen vom Verzehr von Tieren und Pflanzen auf den Verzehr fossiler Brennstoffe die Urbarmachung all dieser Gebiete ermöglichen könnte – und die daraus resultierende Bindung großer Mengen an atmosphärischem Kohlenstoff– war mächtig.“
„Die Fette, die wir bei Savor herstellen, können aus fossilen Brennstoffen wie Erdgas oder aus abgeschiedenem CO2 und grünem Wasserstoff hergestellt werden. Wir haben sowohl technisch – bei der Herstellung hochreiner und leistungsstarker Fette – als auch kommerziell – zu lernen, wie wir unsere Produkte und Technologien so mit der Welt teilen können, dass unvermeidliche Fragen und Bedenken in Bezug auf Sicherheit und Gesundheit beantwortet werden.“
Das folgende Werbevideo von Savor veranschaulicht, wohin die Reise führen wird:
Der Prozess von Savor ermöglicht es, Fette und andere Lebensmittelbestandteile ohne traditionelle landwirtschaftliche Produktion herzustellen. Dabei wird CO₂ aus der Luft und Wasserstoff aus Wasser verwendet, die in einer thermochemischen Reaktion zu Fetten umgewandelt werden. Dieser Ansatz stellt ein Beispiel für die nächste Generation von ‚synthetischen‘ Lebensmitteln dar, die auf innovativen Verfahren basieren.
Eine umfassende Übersicht über das breite Spektrum neuartiger synthetischer Lebensmittel sowie die damit verbundenen potenziellen Risikofaktoren findet man hier.
d) Neue Lebensmittel aus dem 3D-Drucker
Savor ist nicht allein in seinen Bestrebungen, den Planeten zu retten. Das österreichische Start-up Revo Foods hat in Wien die „Taste Factory“ eröffnet, eine Produktionsstätte für additive Lebensmittelproduktion, die auf einem speziellen 3D-Druckverfahren basiert. Mit einer beeindruckenden Kapazität von bis zu 60 Tonnen pro Monat ist sie die größte Anlage ihrer Art weltweit. „Wir überschreiten die Grenzen der Lebensmitteltechnologie“ lautet die Devise des Unternehmens:
Der Vergleich von 3D-gedruckten Lebensmitteln mit dem Nahrungs-Replikator aus dem Star Trek-Universum liegt zwar nahe, ist jedoch technologisch noch ein gutes Stück entfernt. In der Ausgabe der SWR-Wissen-Sendung „Wie funktioniert die Nahrungs-Replikation bei ‚Raumschiff Enterprise‘?“ vom 23.02.2024 äußert sich Dr. Hubert Zitt mit einer Mischung aus Begeisterung und Zurückhaltung:
„Aber wir sind bei der Herstellung von Nahrung mit 3-D-Druckern auf einem Weg. Nun will ich das nicht direkt miteinander vergleichen. Aber ich glaube schon, dass es in Zukunft immer mehr kommen wird, dass wir Nahrung auf diese Art herstellen werden. Wobei ich mir das ehrlich gesagt selbst nicht wünsche. Denn ich liebe ein gutes, saftiges Steak, wenn man das heute noch sagen darf, und möchte mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass wir Nahrung künstlich bei irgendwelchen Chemiefirmen herstellen.“
Ob er seine Vorlieben in Zukunft noch öffentlich äußern darf, bleibt abzuwarten.
Eine aktuelle Übersicht der Top 50 aus 300 jungen Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland, die die Nahrungsmittelindustrie oder die globale Ernährung positiv verändern, liefert das Handelsblatt. Weitere Beispiele findet man hier.

Was heute noch für viele wie eine bloße Idee erscheint, stellt lediglich den Beginn eines umfassenden Wandels in der Nachfrage der breiten Bevölkerung dar. Dieser Transformationsprozess wird sich jedoch allmählich entwickeln und nicht abrupt, sondern schrittweise in den kommenden Jahren Gestalt annehmen.
Im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften (PPPs) werden Regierungen nach und nach politische Rahmenbedingungen schaffen, die solche Innovationen fördern und gleichzeitig nachhaltige Praktiken unterstützen, etwa durch Subventionen, Steueranreize oder regulatorische Anpassungen.
Die wachsende Nachfrage nach alternativen Proteinen und „neuartigen Lebensmitteln“ wird voraussichtlich negative Folgen für den Lebensunterhalt von Viehzüchtern sowie für die Wirtschaft von Ländern haben, die stark von der Viehzucht abhängig sind. Die breite Einführung solcher Technologien könnte traditionelle landwirtschaftliche Strukturen zusätzlich destabilisieren. Besonders kleinere Betriebe dürften unter dem zunehmenden Druck durch Industrialisierung und technologische Umbrüche leiden, was erhebliche soziale und wirtschaftliche Herausforderungen mit sich bringen könnte.
Der Anbau von Pflanzen für alternative Proteine, wie Soja oder Erbsen, könnte zur Ausweitung von Monokulturen führen, die die Biodiversität reduzieren und das Risiko von Bodendegradation, Schädlingsbefall und Krankheiten erhöhen. Obwohl alternative Proteine im Allgemeinen als umweltfreundlicher angesehen werden, kann ihre Produktion dennoch negative Umweltauswirkungen haben, wenn sie nicht nachhaltig betrieben wird. Zum Beispiel könnten der intensive Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden beim Anbau von Proteinpflanzen oder der hohe Energieverbrauch bei der Herstellung von Laborfleisch negative Folgen haben.
Da alternative Proteine und synthetische Nahrungsmittel noch relativ neu sind, gibt es bislang nicht ausreichend Langzeitstudien, um ihre gesundheitlichen Auswirkungen über einen längeren Zeitraum vollständig zu verstehen. Obwohl chemisch synthetisierte Fette ähnlich wie herkömmliche Fette strukturiert sind, könnten geringe Unterschiede oder Verunreinigungen im Herstellungsprozess gesundheitliche Folgen haben, die erst später erkannt werden. Viele alternative Proteine, besonders in Fleischersatzprodukten, sind stark verarbeitet und enthalten oft Zusatzstoffe, Stabilisatoren, Salz und Fett. Diese Inhaltsstoffe können langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben, insbesondere wenn sie in großen Mengen konsumiert werden. Zudem fehlen diesen Proteinen häufig wichtige Nährstoffe, die in tierischen Produkten natürlicherweise vorkommen, wie Vitamin B12, Eisen und Omega-3-Fettsäuren, was ohne geeignete Ergänzung zu Mängeln führen kann. Darüber hinaus bergen bestimmte alternative Proteine ein Allergierisiko. Soja oder Insektenproteine können bei empfindlichen Menschen allergische Reaktionen auslösen. Auch neuartige Proteine aus Algen oder Pilzen könnten unerwartete Allergien hervorrufen.

Dieser Wandel der Nachfrage erfordert eine sorgfältige Planung, um negative Auswirkungen auf Landwirtschaft, ländliche Gemeinschaften und die menschliche Gesundheit zu minimieren. Entscheidend wird sein, ob die verantwortlichen Akteure diese Risiken ernsthaft adressieren oder sie als unvermeidbar hinnehmen, um Fortschritte zu beschleunigen. Die Balance zwischen Innovation und dem Schutz bestehender Strukturen wird letztlich bestimmen, wie erfolgreich dieser Transformationsprozess verläuft.
2.2. Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette
Die Autoren des WEF-Berichts zeichnen ein Bild einer zunehmend vernetzten Welt, in der die Forderung nach effizienteren, transparenteren und rückverfolgbaren Lieferketten wächst. Verbraucher möchten heute nicht nur wissen, woher ihre Lebensmittel stammen, sondern auch sicher sein, dass diese auf ethische und nachhaltige Weise beschafft wurden. Hier kommen verschiedene digitale Technologieblöcke ins Spiel, die das Potenzial haben, die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren, transportieren und konsumieren, grundlegend zu verändern.

Landwirtschaft und IoT
In der Vision des Weltwirtschaftsforums (WEF) vernetzt das Internet der Dinge (IoT) Sensoren und Aktoren, die in Echtzeit Daten über Bodenqualität, Pflanzenzustand und Umweltbedingungen erfassen und austauschen. Diese technologische Entwicklung revolutioniert die Landwirtschaft. Die erfassten Daten ermöglichen präzise Entscheidungen, die Ressourcen wie Wasser, Düngemittel und Pestizide effizienter einsetzen, Erträge steigern und gleichzeitig die Umweltbelastung minimieren. Technologien wie intelligente Bewässerungssysteme, GPS-gesteuerte Traktoren, Drohnen und fortschrittliche Sensortechnik machen die Landwirtschaft nicht nur effizienter, sondern auch nachhaltiger, betonen die Verfasser der Studie.
Im Bereich der Tierhaltung sollen digitale Technologien das Tierwohl und die Gesundheit durch kontinuierliches Monitoring verbessern. Blockchain-Technologien können zudem eine transparente Rückverfolgbarkeit entlang der gesamten Produktionskette gewährleisten. Darüber hinaus unterstützen Satellitensysteme die Überwachung ökologisch wertvoller Flächen sowie die Einhaltung von Biodiversitätszielen.
Lieferkettenmanagement
In der Lebensmittellieferkette ermöglicht IoT eine präzise Überwachung und Nachverfolgung jedes Schritts – von der Ernte bis zur Auslieferung. Faktoren wie Temperatur und Feuchtigkeit während Transport und Lagerung können gezielt optimiert werden, um die Frische und Qualität der Produkte zu sichern. So lassen sich Transportwege effizient steuern, Kühlketten kontrolliert managen und Verluste durch Verderb reduzieren. Automatisierte Systeme helfen, Arbeitskosten zu senken und Ressourcen besser zu nutzen, während Echtzeitdaten die Planung verbessern und Angebot und Nachfrage besser koordinieren. Engpässe lassen sich schneller erkennen, und präzisere Prognosen ermöglichen eine effizientere Ressourcennutzung.
Wettbewerbsvorteil und Zukunftsperspektiven
Investitionen in digitale Technologien steigern die Produktivität, reduzieren Abfälle und senken Kosten. Diese Entwicklungen fördern Nachhaltigkeit, Effizienz und Transparenz und sichern zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte. Durch den Einsatz digitaler Lösungen wird nicht nur die aktuelle Leistung verbessert, sondern auch die langfristige Zukunft der Landwirtschaft gesichert – ein zentraler Gedanke hinter dieser strategischen Ausrichtung.
Eine echte Win-Win-Situation für Umwelt, Verbraucher und Unternehmen – soweit die Theorie.
Laut dem Data Bridge Market Research Bericht wird der globale Markt für IoT in der Landwirtschaft bis 2031 ein Volumen von 32,71 Milliarden US-Dollar erreichen, bei einer jährlichen Wachstumsrate von 10,1 %.

Technologischer Fortschritt und steigender Wettbewerbsdruck beschleunigen die Transformation der Landwirtschaft, verstärkt durch staatliche Förderungen und regulatorische Vorgaben. Ein zentraler Trend ist der zunehmende gesetzliche Druck, digitale Technologien wie das Internet der Dinge (IoT) und Präzisionslandwirtschaft einzusetzen. Immer mehr Regierungen schaffen Rahmenbedingungen, die diese Innovationen fördern, um hohe Standards in den Bereichen Umweltschutz, Tierwohl und Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten.
Politischer Rahmen: GAP 2023-2027
Die GAP 2023-2027 (Gemeinsame Agrarpolitik) stellt die jüngste Reform der europäischen Agrarpolitik dar und legt den Fokus auf nachhaltige, umweltfreundliche und soziale Standards. Diese Politik, gemeinsam entwickelt von der EU-Kommission, dem Parlament und den Mitgliedstaaten, hat das Ziel, die europäischen Landwirtschaftssysteme zu modernisieren und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit und Stabilität der landwirtschaftlichen Betriebe langfristig zu sichern.

Die GAP 2023-2027 bringt wichtige Neuerungen mit sich. Ein zentraler Bestandteil sind die sogenannten Ökoregelungen (Eco-Schemes), durch die rund 25 % der Direktzahlungen an Landwirte an umweltfreundliche Maßnahmen geknüpft werden. Diese beinhalten unter anderem Bodenschutzmaßnahmen, die Förderung der Biodiversität und eine nachhaltige Wasserbewirtschaftung.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Konditionalität, die von allen Landwirten die Einhaltung bestimmter Umwelt- und Klimastandards fordert, um förderfähig zu bleiben. Dazu zählen der Erhalt von Dauergrünland und der Schutz von Feuchtgebieten, um wertvolle Ökosysteme zu schützen. Neu eingeführt wurde auch die soziale Konditionalität, die auf die Wahrung von Arbeitsrechten und fairen Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft abzielt und somit einen weiteren Schritt in Richtung sozialer Nachhaltigkeit darstellt.
Diese Reform stellt einen bedeutenden Wandel in der finanziellen Unterstützung des Agrarsektors dar, indem sie die bisherigen pauschalen Direktzahlungen zugunsten umwelt- und sozialbezogener Förderkriterien umgestaltet hat. Während Landwirte zuvor weitgehend pauschale Direktzahlungen erhielten, wird nun ein erheblicher Teil dieser finanziellen Unterstützung an die Teilnahme an umweltfreundliche Maßnahmen (Eco-Schemes) und die Einhaltung bestimmter Standards (Konditionalität) geknüpft.
Die GAP 2023-2027 setzt klare Anforderungen an Umweltstandards, Nachhaltigkeit und Effizienz, die den Einsatz von IoT und anderen digitalen Systemen nahezu unverzichtbar machen. Die automatische Erfassung und Berichterstattung relevanter Daten vereinfacht die Einhaltung von GAP-Vorgaben und reduziert den bürokratischen Aufwand erheblich.
Experimentierfelder
Der praktische Einsatz verschiedener digitaler Techniken wird derzeit auf sogenannten Experimentierfeldern in landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland untersucht und demonstriert.

Weitere Informationen zu diesem Thema bietet das Werbevideo „Klima, Wetter, Ernte und Ertrag: Was leisten digitale Experimentierfelder in der Landwirtschaft?“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL):
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die GAP 2023-2027 verfolgt ambitionierte Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele, die durch digitale Systeme effizient umgesetzt werden können. Diese digitale Transformation erweist sich als entscheidender Faktor für die Zukunftsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des Agrarsektors. Daher kann die GAP 2023-2027 als politisches Instrument zur Umsetzung der Empfehlungen aus dem WEF-Bericht „Innovation with a Purpose: The role of technology innovation in accelerating food systems transformation“ betrachtet werden.
Der Analyse-Bericht „Digital Agriculture Market Size & Share Analysis – Growth Trends & Forecasts (2024 – 2029)“ fasst die globale Entwicklung wie folgt zusammen:
Das zunehmende Bewusstsein für die Vorteile der digitalen Landwirtschaft bei der Optimierung der landwirtschaftlichen Produktion hat zu einem großen Boom auf dem Agrarmarkt geführt. Mit dem wachsenden Nahrungsmittelbedarf aufgrund der zunehmenden Bevölkerung ist die Einführung digitaler Landwirtschaftstools unvermeidlich.
Es wird erwartet, dass die Vereinigten Staaten einen bedeutenden Anteil in die Förderung des Ökosystems für zukünftige Lebensmittel investieren werden.
Die britische Regierung hat in ihrer Industriestrategie künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt, um die Produktivität der Pflanzen zu steigern. Das Land hat sich verpflichtet, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2027 auf 2,4 % des BIP zu erhöhen. Darüber hinaus wurde in Cambridge ein neues 500-Millionen-Euro-Projekt angekündigt, das Großbritanniens Position als Innovator in der wachsenden Agrartechnologiebranche festigen soll. Das Projekt wird bis zu 4.000 Mitarbeiter beherbergen und Agrar- und Technologieunternehmen zusammenbringen, um ein Zentrum für globale landwirtschaftliche Innovation und Produktivität zu schaffen.
Die Einführung von Technologien in Europa und Nordamerika hat die Produktivität der Kulturen erhöht. So entwickelte Idele (Institut d’Elevage), Frankreich, im Juni 2022 eine datenbasierte Online-Anwendung namens CAP’2ER, in die dreißig Sätze von Aktivitätsdaten eingegeben werden, um agrarökologische Indikatoren zu ermitteln. Diese Anwendung analysiert fünf Datenbanksätze wie Viehbestand, Dungmanagement, Felder, Futtermittel und Energieverbrauch, indem sie den jährlichen Gesamtkraftstoffverbrauch, die Produktivität der Tiere (Fruchtbarkeit, Wachstum und Vermarktungsalter), die gekauften Futtermittel, die Dungmengen und das Dungmanagement, die Anzahl der Bäume und Dickichte, Sträucher, Hecken, Grasstreifen, Steinhaufen und Steinmauern sowie die Gewässer auf dem Hof analysiert.
Der chinesische Agrarsektor hat in den letzten Jahren eine bahnbrechende Revolution im Hinblick auf die Einführung intelligenter Anbaumethoden erlebt. Im Jahr 2020 startete die chinesische Zentralregierung ein Pilotprojekt mit der Bezeichnung „digitales Dorf“, das die Nutzung der Informationstechnologie zur Ankurbelung des Binnenkonsums fördert und zu einem Boom in der mobilen, internetgestützten Wirtschaft führt.
Auch der steigende Bedarf an Digitalisierung in der indischen Landwirtschaft ist bekannt, und es werden Anstrengungen unternommen, die Wertschöpfungskette zu digitalisieren. Im September 2021 gab der Minister für Landwirtschaft und Bauernwohlfahrt der Union den Startschuss für die Mission „Digitale Landwirtschaft 2021-2025“. Die Mission „Digitale Landwirtschaft 2021-2025“ zielt darauf ab, Projekte zu unterstützen und zu beschleunigen, die auf neuen Technologien wie KI, Blockchain, Fernerkundung und GIS-Technologie sowie auf dem Einsatz von Drohnen und Robotern basieren.


Digitale Landwirtschaftstechnologien bieten vor allem großen Betrieben Vorteile, da diese die hohen Investitionskosten dank Skaleneffekten besser tragen und über die notwendigen Ressourcen zur Verwaltung der umfangreichen Datenmengen verfügen. Solche Unternehmen können die Kosten für Technologien wie Sensoren, Drohnen und spezielle Software besser auf ihre Produktion umlegen und dadurch die Rentabilität der Investitionen steigern. Kleinere Betriebe hingegen stehen oft vor der Herausforderung, dass sich die hohen Technologiekosten bei begrenztem Produktionsvolumen kaum rechtfertigen lassen. Dies führt zu einer digitalen Kluft, die kleine und mittlere Betriebe im Vergleich zu größeren Wettbewerbern strukturell benachteiligt.
Darüber hinaus profitieren Großbetriebe oft von besserem Zugang zu Kapital und staatlichen Förderungen für die Digitalisierung, während kleine Betriebe hierauf nur eingeschränkt Zugriff haben. Die Abhängigkeit kleinerer Betriebe von externen Technologieanbietern stellt ein weiteres Problem dar, da diese keine eigenen Ressourcen für die Verwaltung und Wartung digitaler Systeme besitzen und daher vertraglich an wenige Anbieter gebunden sind. Diese Abhängigkeit schränkt ihre Flexibilität und Eigenständigkeit weiter ein.
Mit den Effizienzsteigerungen großer Betriebe durch digitale Lösungen steigt zudem der Preisdruck auf dem Markt. Kleinere Betriebe, die diese Vorteile nicht erzielen können, riskieren, aufgrund ihrer höheren Produktionskosten aus dem Markt verdrängt zu werden, was zu einer weiteren Konzentration im Agrarsektor führt. Auch in Nischenmärkten wie Bio- und Regionalprodukten erhöht sich die Konkurrenz durch die Digitalisierung, da Großbetriebe dank digitaler Systeme zunehmend Premiumprodukte anbieten können, die für kleinere Betriebe bisher ein Alleinstellungsmerkmal waren.
Insgesamt begünstigt die digitale Transformation im Agrarsektor vor allem kapitalkräftige Großbetriebe, während kleinere und mittlere Betriebe mit existenziellen Herausforderungen konfrontiert sind. Um die Überlebenschancen dieser Betriebe zu sichern, wären gezielte Fördermaßnahmen und ein breiterer Zugang zu digitaler Technologie notwendig, um ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihre besonderen Stärken zu erhalten und auszubauen.
Die Digitalisierung im Agrarsektor bringt für Verbraucher sowohl Vorteile als auch Nachteile. Durch die Skaleneffekte großer Betriebe könnten die Lebensmittelpreise sinken, was allerdings das Überleben kleiner und mittelgroßer Betriebe gefährden und die Vielfalt regionaler und traditioneller Produkte einschränken könnte. Während größere Anbieter zunehmend auch Premium- und Bio-Produkte in ihr Sortiment aufnehmen, könnte die Verdrängung kleinerer Betriebe langfristig die Auswahl und Preisstabilität am Markt negativ beeinflussen. Die digitale Transformation unterstützt teilweise Nachhaltigkeitsziele, jedoch bleibt offen, ob sie den Verbraucheranforderungen an Umweltfreundlichkeit gerecht wird, insbesondere wenn wirtschaftliche Zwänge zu einer Intensivierung der Produktion führen. Letztlich könnte die digitale Kluft zwischen großen und kleinen Betrieben zu eingeschränkter Vielfalt und weniger Wettbewerb führen, wodurch das Lebensmittelangebot für die Verbraucher weniger dynamisch und abwechslungsreich ausfallen könnte.
2.3. Follow the Science – Biotechnologien der nächsten Generation und Genomik
Der Drang nach Effizienzsteigerung und Optimierung macht vor der Lebensmittelproduktion nicht halt. Der WEF-Bericht legt dabei besonderes Augenmerk auf die nächste Generation von Biotechnologie und Genomforschung. Was ist damit gemeint?

Historisch gesehen gibt es drei Hauptmethoden zur Verbesserung von Saatgut: offene Bestäubung, Hybridisierung und genetische Modifikation.
I – Offene Bestäubung
Die offene Bestäubung gilt als eine der natürlichsten und ältesten Zuchtmethoden. Sie erfolgt ohne menschliches Eingreifen, indem Pflanzen durch natürliche Prozesse wie Wind, Insekten oder Tiere bestäubt werden. Diese Methode fördert eine breite genetische Vielfalt innerhalb einer Pflanzenpopulation, da Pollen von verschiedenen Individuen kombiniert werden, was zu einer natürlichen Selektion führt. Sie ist seit jeher in vielen ökologischen und traditionellen Landwirtschaftssystemen von Bedeutung, in denen genetische Vielfalt und die Anpassung an die Umwelt eine wichtige Rolle spielen. Allerdings wird sie oft als weniger effizient angesehen, wenn es darum geht, gezielt spezifische Eigenschaften in Pflanzen zu fördern – wie es bei der Hybridisierung oder genetischen Modifikation der Fall ist. Aus diesem Grund hat die offene Bestäubung ihren Platz in der modernen Landwirtschaft, insbesondere in großen Agrarbetrieben, verloren, da sie im Vergleich zu gezielteren Zuchtmethoden weniger kontrollierbar ist.
II – Hybridisierung
Die Hybridisierung ist ein traditionelles Zuchtverfahren, bei dem zwei verschiedene Pflanzenarten oder -sorten gekreuzt werden, um Nachkommen mit bestimmten Eigenschaften wie Krankheitsresistenz, höherem Ertrag oder besserem Geschmack zu erhalten. Dieser Prozess erfolgt entweder durch natürliche oder kontrollierte Bestäubung, wobei die genetische Information beider Elternpflanzen kombiniert wird. Ein großer Vorteil der Hybridisierung ist, dass sie gezielt und kontrolliert erfolgt, sodass Züchter genauere Vorhersagen über die Eigenschaften der Nachkommen treffen können. Aufgrund ihrer langen Geschichte und der umfangreichen Forschung gilt die Methode als sicher und zuverlässig.
Die Hybridzucht hat allerdings einige Nachteile, die berücksichtigt werden müssen. Ein Problem ist, dass die Nachkommen häufig instabil sind. Um die gewünschten Eigenschaften zu bewahren, müssen Züchter regelmäßig neue Kreuzungen vornehmen. Der sogenannte Heterosis-Effekt führt zwar dazu, dass die ersten Generationen (F1) besonders robuste Pflanzen mit höheren Erträgen hervorbringen, aber dieser Vorteil lässt in den folgenden Generationen nach, da die Hybriden nicht stabil bleiben. Landwirte sind dadurch gezwungen, jedes Jahr neues Saatgut zu kaufen, was die Kosten erhöht und ihre Abhängigkeit von Saatgutunternehmen verstärkt.
Ein weiteres Problem ist der Verlust genetischer Vielfalt. Durch die ständige Kreuzung nur weniger Sorten werden andere, potenziell widerstandsfähige Genpools weniger beachtet, was die Pflanzen anfälliger für Schädlinge, Krankheiten und Veränderungen in der Umwelt macht. Das verringert ihre Anpassungsfähigkeit an neue Herausforderungen.
Die Entwicklung von Hybridsaatgut ist kapitalintensiv und erfordert hohe Investitionen in Forschung und Züchtung, was die Produktionskosten steigen lässt. Besonders für kleinere Landwirte kann dies problematisch sein, da sie sich die teuren Hybridsaatgüter möglicherweise nicht leisten können. Hinzu kommt, dass viele Hybridsamen nicht für die erneute Vermehrung geeignet sind, was bedeutet, dass Landwirte Jahr für Jahr neues Saatgut kaufen müssen.
Die ökologischen Auswirkungen der Hybridzucht sind ebenfalls ein Thema. Der verstärkte Einsatz von Hybridpflanzen könnte die Vielfalt einheimischer Sorten verringern und das Risiko für die Biodiversität erhöhen. Zudem kann der hohe Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden, der oft mit der Hybridzucht verbunden ist, negative Auswirkungen auf Bestäuber wie Bienen haben.
Kritiker der Hybridzucht werfen vor, dass der Fokus zu stark auf wirtschaftlicher Effizienz liegt, während Nachhaltigkeit und ökologische Verträglichkeit oft zu kurz kommen. Ertrag und Widerstandsfähigkeit werden oft stärker gewichtet als Geschmack, Nährstoffgehalt und Vielfalt.
Obwohl die Hybridzucht in der Landwirtschaft Fortschritte ermöglicht hat, bringt sie auch Herausforderungen mit sich, die über wirtschaftliche Aspekte hinausgehen und ökologische sowie soziale Dimensionen betreffen.
Auf der Suche nach kostengünstigeren und schnelleren Methoden zur Züchtung von Nutzpflanzen mit vorteilhaften Eigenschaften führt kein Weg an der genetischen Modifikation vorbei.
III – Genetische Modifikation
Hierbei wird zwischen traditionellen und modernen Techniken unterschieden.
Traditionelle genetische Modifikation: Mutationszüchtung
Die Mutationszüchtung, auch Mutagenese genannt, ist ein traditionelles Zuchtverfahren, bei dem Mutationen im Erbgut von Pflanzen durch den Einsatz von mutagenen chemischen Stoffen oder ionisierenden Strahlen erzeugt werden. Dabei werden durch chemische Substanzen oder Strahlen wie Gamma- oder Neutronenstrahlen zufällige Mutationen ausgelöst. Im Anschluss werden die so entstandenen Mutanten auf nützliche Gene oder Eigenschaften untersucht, die dann in bestehende Sorten eingekreuzt werden.
Zwischen 1965 und 1990 wurde die Mutagenese, insbesondere durch atomare Strahlung, systematisch in der Pflanzenzüchtung eingesetzt, um neue Eigenschaften zu erzielen, die mit klassischen Züchtungsmethoden nicht möglich gewesen wären. Die chemisch induzierte Mutagenese wird auch heute noch in der Pflanzenzüchtung verwendet. Laut der Internationalen Atomenergiebehörde wurden bis 2017 mehr als 3200 neue Pflanzensorten entwickelt, die durch Mutagenese hervorgebracht wurden.

In der EU werden Pflanzen, die durch Mutagenese – also durch den Einsatz von Strahlung oder Chemikalien zur Auslösung von Mutationen – verändert wurden, rechtlich als „Gentechnik“ eingestuft. Allerdings sind sie von den meisten Vorschriften für Gentechnikprodukte ausgenommen. Wie kam es dazu?
Bis 2018 gab es keine rechtlichen Streitigkeiten darüber, wie diese Pflanzen rechtlich einzustufen sind. Doch im Juli 2018 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass auch Pflanzen, die mit mutagenen Methoden gezüchtet wurden, als „genetisch veränderte Organismen“ (GVO) gelten. Der Grund: Bei diesen Pflanzen wurde eine Veränderung am Erbgut vorgenommen, die so in der Natur nicht vorkommt. Daher fallen sie unter das Gentechnik-Gesetz, sind jedoch von den üblichen Regelungen für gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere befreit. Das bedeutet, sie unterliegen nicht den strengen Auflagen für Anbau, Zulassung, Kennzeichnung und Sicherheitsprüfungen vor der Markteinführung. Pflanzen aus der Mutationszüchtung werden wie solche aus der klassischen Züchtung behandelt. Abgesehen vom Sortenrecht gibt es keine speziellen Vorschriften. Erzeugnisse aus Pflanzen oder Tieren, die mit Hilfe klassischer Mutagenese gezüchtet wurden, dürfen für Lebensmittel „ohne Gentechnik“ weiterverwendet werden, obwohl diese rechtlich als Gentechnik gelten. Auch in der Bio-Landwirtschaft sind Mutagenese-Pflanzen ohne Einschränkungen erlaubt.
Die Richter des EuGH begründeten ihre Entscheidung mit der langen Erfahrung, die es mit der Mutationszüchtung gibt. Sie sind der Ansicht, dass Pflanzen, die durch Mutagenese entstanden sind, ohne weitere Prüfung als sicher angesehen werden können. Eine besondere Kennzeichnung, die den Verbrauchern eine Wahlfreiheit ermöglicht, sei daher nicht nötig. Diese Auffassung wurde im Februar 2023 in einem weiteren Urteil des EuGH bestätigt.
Obwohl Mutagenese als traditionellere Züchtungsmethode gilt, gibt es immer noch Risiken im Hinblick auf unvorhersehbare Mutationen und die möglichen Auswirkungen auf die Umwelt.
Die Mutagenese basiert auf zufälligen Mutationen, die nicht nur erwünschte, sondern auch schädliche genetische Veränderungen verursachen können. Diese Mutationen sind oft schwer kontrollierbar, was das Risiko unerwünschter Eigenschaften erhöht. Da die Auswirkungen auf das Erbgut nicht immer vorhersehbar sind, führt dies zu Unsicherheit. Besonders in großen Züchtungsprogrammen ist es schwierig, die entstehenden Pflanzen genau zu überwachen, was die Regulierung erschwert und potenzielle Risiken für Gesundheit und Umwelt verschleiern kann. Zudem könnten sich Pflanzenmerkmale entwickeln, die das ökologische Gleichgewicht stören, wie etwa eine zu hohe Resistenz gegen Umwelteinflüsse. Die Vielzahl ungewollter Veränderungen macht die Mutagenese weniger effizient und teurer, da viele unerwünschte Mutationen verworfen oder durch weitere Züchtungsprozesse entfernt werden müssen.
Die Mutagenese als Methode der Pflanzenzüchtung bietet vor allem großen Agrarkonzernen Vorteile, da sie über die finanziellen und technologischen Ressourcen verfügen, um die aufwendige Forschung und Entwicklung zu betreiben. Die Züchtung neuer Pflanzenarten erfordert erhebliche Investitionen in Labore, Wissenschaftler und modernste Technologien – Voraussetzungen, die Unternehmen wie Bayer, BASF oder Syngenta erfüllen können. Diese Konzerne haben dadurch die Möglichkeit, die Verfügbarkeit bestimmter Pflanzensorten zu kontrollieren und sich wichtige Marktanteile zu sichern, insbesondere bei der Verbreitung von Monokulturen.
Kleinere und mittlere landwirtschaftliche Betriebe hingegen stoßen hier an ihre Grenzen. Ohne Zugang zu den notwendigen Ressourcen können sie selbst kaum von der Mutagenese profitieren und sind auf den Kauf lizenzierter Sorten angewiesen. Dies bringt oft hohe Patent- und Lizenzgebühren mit sich, die ihre finanzielle Belastung erhöhen und eine Abhängigkeit von großen Agrarkonzernen fördern. Diese Abhängigkeit kann nicht nur die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Landwirte gefährden, sondern auch ihre Wettbewerbsfähigkeit im globalen Markt erheblich einschränken.
Moderne genetische Modifikation: transgene Methoden und Genome-Editierung
Moderne Techniken der genetischen Modifikation, wie transgene Methoden und Genome-Editierung, bieten klare Vorteile gegenüber der traditionellen Mutagenese mit Chemikalien oder Strahlung. Der größte Vorteil liegt in ihrer Präzision: Während die klassische Mutagenese zahlreiche zufällige Mutationen im Genom erzeugt, die oft unvorhersehbare Nebenwirkungen haben, ermöglichen die neuen Verfahren gezielte Eingriffe. Diese Präzision macht die Entwicklung neuer Pflanzensorten schneller, kostengünstiger und reduziert gleichzeitig den Einsatz von Pestiziden, da gezielt Resistenzen eingebaut werden können. Zudem erlauben sie, Pflanzen spezifisch auf klimatische Herausforderungen wie Dürre oder salzhaltige Böden anzupassen, was mit Mutagenese kaum erreichbar ist.
Bei der transgenen Methode wird genetisches Material einer anderen Art in das Genom einer Pflanze eingefügt, wodurch Eigenschaften übertragen werden, die in der Zielpflanze ursprünglich nicht vorhanden sind. Hierzu werden Gene von nicht verwandten Organismen, wie Bakterien oder anderen Pflanzenarten, in das Erbgut der Kulturpflanze eingebaut. Mit dieser Technik lassen sich spezifische Merkmale wie Schädlingsresistenz oder Herbizidresistenz integrieren, die der Pflanze Vorteile verschaffen. Ein bekanntes Beispiel für diese Methode ist der Bt-Mais, der durch das Einfügen eines Gens des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis gegen Schädlinge resistent gemacht wird und somit den Pestizideinsatz verringert.
Gentechnisch veränderte Organismen (GMO-Pflanzen), die mithilfe transgener Zuchtmethoden entwickelt wurden, sind heute vor allem in Nord- und Südamerika weit verbreitet. In Ländern wie den USA, Brasilien und Argentinien dominieren herbizidresistente Sojabohnen, die häufig für Futtermittel, Lebensmittel und industrielle Zwecke verwendet werden. Auch transgener Mais, der entweder gegen Herbizide resistent ist oder das Bt-Gen zur Schädlingsbekämpfung trägt, ist in diesen Regionen weit verbreitet und schützt die Pflanzen vor Schädlingen wie dem Maiszünsler. In Indien, den USA und China wird GMO-Baumwolle mit dem Bt-Gen angebaut. Zudem findet sich in Kanada und den USA herbizidresistenter GMO-Raps, der vor allem in der Lebensmittelproduktion und Ölherstellung genutzt wird. In den USA und Kanada werden auch herbizidresistente Zuckerrüben zur Zuckerproduktion angebaut. Die hohe Akzeptanz von GMO-Pflanzen in diesen Ländern beruht auf staatlicher Unterstützung und den damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteilen. In Europa und anderen Regionen hingegen ist der Einsatz dieser Pflanzen aufgrund strengerer Regulierungen und Bedenken hinsichtlich Umwelt- und Gesundheitsrisiken weitgehend eingeschränkt.
Die Genome-Editierung, besonders durch das CRISPR-Cas9-Verfahren, unterscheidet sich von transgenen Methoden, da hier keine fremden Gene eingefügt werden. Stattdessen werden gezielt vorhandene Gene der Pflanze verändert, um gewünschte Eigenschaften zu fördern oder unerwünschte zu eliminieren, ohne die genetische Grenze zwischen Arten zu überschreiten. Diese Technik kann beispielsweise für Resistenzen gegen Krankheiten oder Anpassungen an Umweltbedingungen wie Trockenheit genutzt werden. Im Vergleich zur transgenen Methode ist die Genome-Editierung präziser und effizienter. CRISPR-Cas9 erlaubt schnelle und kostengünstige Veränderungen. Durch die gezielte Bearbeitung spezifischer Gene werden unerwünschte Nebenwirkungen minimiert und die Entwicklungszeit neuer Sorten verkürzt.
Diese Technik „könnte erheblich höhere Erträge sowie ökologische und ernährungsphysiologische Vorteile bieten. Wenn genverändertes Saatgut bis 2030 von 60–100 Millionen Betrieben verwendet würde, könnten 100–400 Millionen Tonnen zusätzliche Ernteerträge erzielt und jährlich 5–20 Millionen Tonnen weniger Produktionsverluste verzeichnet werden. Die Einkommen der Landwirte könnten um 40–100 Milliarden Dollar steigen, und die Ernährung von 20–100 Millionen Menschen mit Mikronährstoffmangel könnte verbessert werden“, ist in dem WEF-Bericht zu lesen.
Wie diese Visionen in die Praxis umgesetzt werden, demonstriert das US-amerikanische Agrarbiowissenschaftsunternehmen Yield10 Bioscience, das auf den Einsatz moderner Techniken der genetischen Modifikation von Nutzpflanzen spezialisiert ist, im folgenden Werbevideo:
Das Unternehmen erklärt auf einfache Weise, dass Pflanzen heute wie Fabriken betrachtet werden, deren innere Abläufe man gezielt verbessern kann. Ähnlich wie Apps auf einem Smartphone lassen sich bestimmte „genetische Apps“ zur DNA von Pflanzen wie Mais, Reis, Soja oder Raps hinzufügen. Diese Apps beeinflussen den Stoffwechsel und die Eigenschaften der Pflanzen positiv. Der „App-Store“ für diese genetischen Anpassungen ist eine Plattform namens Gene Ranking Artificial Intelligence Network (GRAIN), eine Big-Data-Genentdeckungsplattform, die speziell dafür entwickelt wurde, die DNA der Pflanzen optimal anzupassen.
In vielen Ländern wie den USA, Kanada, Brasilien, Indien, Russland, Großbritannien und Australien wird die Genome-Editierung bereits nicht mehr als klassische „Gentechnik“ betrachtet und unterliegt daher weniger strengen Vorschriften.
Anfang dieses Jahres sprach sich das EU-Parlament für eine Lockerung der strengen Regeln für gentechnisch veränderte Lebensmittel aus. Zukünftig sollen zwei Kategorien eingeführt werden: Pflanzen mit bis zu 20 genetischen Veränderungen sollen wie herkömmliche Pflanzen behandelt werden, während für Pflanzen mit mehr Eingriffen weiterhin strengere Vorschriften gelten. Nach der Abstimmung im Parlament beginnen nun die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament und der Kommission. Die Diskussion über die neue Gentechnik und ihre Kennzeichnung in der EU ist jedoch noch lange nicht abgeschlossen.
Der Videobeitrag „Gentechnik in der Landwirtschaft: Hoffnungsträger oder Gefahr?“ der renommierten Max-Planck-Gesellschaft beleuchtet aus wissenschaftlicher Perspektive die wichtigsten und umstrittensten Aspekte der Debatte über den Einsatz von Gentechnik, insbesondere der Genom-Editierung:
In dem WEF-Bericht ist zu diesem Thema folgendes zu lesen:
„Allerdings birgt das Gen-Editing auch Risiken in sich. Erstens wird die Saatgutinnovation angesichts der Transaktionskosten für kleine landwirtschaftliche Betriebe wahrscheinlich in erster Linie auf die Industrieländer ausgerichtet sein, und die kleinen Betriebe laufen Gefahr, außen vor zu bleiben. Zweitens könnte die Konzentration des geistigen Eigentums in relativ wenigen Händen zu wirtschaftlichen Oligopolen oder Monopolen führen, die die Nutzung der Technologie auf einige wenige Saatgutarten beschränken würden. Dies könnte zu einer geringeren Artenvielfalt führen. Drittens könnte das Gene Editing bei unverantwortlichem Einsatz Risiken für die menschliche Gesundheit und die biologische Vielfalt in der Umwelt mit sich bringen. Um all diese Risiken zu beherrschen und eine gerechte Verteilung und den Zugang von Kleinbauern zu solchen Innovationen zu gewährleisten, ist eine verstärkte Forschung und ein öffentlicher Dialog von entscheidender Bedeutung.“
Mit den jüngsten Beschlüssen folgt das EU-Parlament in diesem Bereich den Empfehlungen des WEF-Berichts und ebnet den Weg für eine breitere Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen in der EU. Der damit verbundene öffentliche Diskurs trägt zur schrittweisen Gewöhnung der Bevölkerung an die Genomik und die Biotechnologien der nächsten Generation bei.

Die höhere Effizienz und Präzision der Genom-Editierung, zusammen mit Vorteilen für die Nachhaltigkeit, wirtschaftlichem Druck und gesetzlicher Regulierung, wird mittelfristig zu einem breiten und wachsenden Einsatz gentechnisch modifizierter Nutzpflanzen führen. Große Agrarkonzerne können dank Skaleneffekten und wirtschaftlicher Attraktivität gentechnisch veränderte Sorten verstärkt auf den Märkten dominieren, was es kleineren Betrieben erschwert, mit konventionellen Pflanzen zu konkurrieren. Langfristig könnte dies zu einer Verdrängung herkömmlicher Pflanzen führen, was möglicherweise unvorhersehbare Auswirkungen auf die Umwelt hat. Eine solche Dominanz von gentechnisch veränderten Sorten könnte die genetische Vielfalt verringern und damit die Umweltstabilität und Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft gefährden.
Potenzielle Risiken der Genome-Editierung für die genetische Vielfalt und Ökosysteme
Im Artikel „The need for assessment of risks arising from interactions between NGT organisms from an EU perspective“, der im April 2023 im Environmental Sciences Europe Journal veröffentlicht wurde, ziehen die Wissenschaftler folgende Schlussfolgerungen:
Neue genomische Verfahren (NGTs) ermöglichen die Entwicklung neuer Genotypen und Merkmale auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Ergebnissen im Vergleich zu bisherigen gentechnischen Methoden oder konventioneller Züchtung (einschließlich nicht-gezielter Mutagenese).
Das Spektrum der Arten, die für NGTs zugänglich sind, geht weit über die Anwendungen der bisher eingesetzten gentechnischen Verfahren (EGTs) hinaus. Obwohl ihre Wirksamkeit von Fall zu Fall unterschiedlich sein kann, umfassen diese Anwendungen ein breites Spektrum von Nahrungspflanzenarten und Nutztieren, aber auch nicht-domestizierte Arten wie Bäume und andere Pflanzen, Insekten, Wirbeltiere und Mikroorganismen und erstrecken sich somit über alle Lebensbereiche. …. Viele der Arten, auf die NGT-Anwendungen abzielen, haben auch das Potenzial, ohne wirksame Bekämpfung über längere Zeiträume zu überleben und sich auszubreiten. Dies kann zu Next-Generation-Effekten führen, die im Labor nicht beobachtet wurden.
Eine große Anzahl von gentechnisch veränderten Organismen, die von NGTs abgeleitet sind, einschließlich verschiedener Spezies mit einer Vielzahl unterschiedlicher Eigenschaften (beabsichtigt oder unbeabsichtigt), könnten innerhalb kurzer Zeit in dieselbe Aufnahmeumgebung freigesetzt werden. Je nach Ausmaß der Freisetzungen, ihrer Dauer und den Eigenschaften der Organismen können diese NGT-Organismen auch absichtlich oder unbeabsichtigt miteinander interagieren.
Diese Wechselwirkungen können additiv, synergistisch, antagonistisch oder kumulativ sein.
Daher können ihre beabsichtigten und unbeabsichtigten Wechselwirkungen und potenziell neu auftretenden Gefahren im Vergleich zu EGT-Organismen mehr Aufmerksamkeit und Berücksichtigung erfordern.
Kombinatorische Effekte erhöhen in der Regel den Grad der Komplexität und verringern den Grad der Vorhersagbarkeit.
Wenn es daher in kurzer Zeit zu großflächigen Freisetzungen von NGT-Organismen in die Umwelt kommt, können ihre Auswirkungen auf die genetische Vielfalt und die damit verbundenen Ökosysteme weit über das hinausgehen, was im Vergleich zu natürlichen Prozessen und konventionellen Züchtungstechniken zu erwarten wäre.
Dominanz großer Agrarkonzerne und die Zukunft kleiner Betriebe
Fortschritte in der Genomik erfordern kapitalintensive Technologien, die vor allem großen Agrarkonzernen zugänglich sind. Diese könnten die Pflanzenentwicklung dominieren und ihre Marktstellung durch Patente und geistiges Eigentum weiter stärken. Ob es durch politische und gesetzliche Rahmenbedingungen gelingt, ein Gleichgewicht zwischen großen Agrarfirmen und kleineren Betrieben zu schaffen, bleibt angesichts des erheblichen Unterschieds im biotechnologischen Know-how fraglich.
Potenzielle Risiken der Genome-Editierung für die menschliche Gesundheit
Die genomischen Fortschritte in der Landwirtschaft könnten tiefgreifende Veränderungen für Verbraucher mit sich bringen. Genomisch veränderte Pflanzen versprechen Vorteile wie verbesserte Nährwerte, weniger Pestizidrückstände und potenziell niedrigere Preise. Diese Produkte werden als ethische Alternative beworben, da sie aus nachhaltiger und ressourcenschonender Landwirtschaft stammen. Mittelfristig könnten auch Lebensmittel entstehen, die gezielt auf gesundheitliche Bedürfnisse abgestimmt sind, wie etwa Pflanzen mit reduzierten Allergenen oder verstärkten gesundheitlichen Vorteilen. In Verbindung mit personalisierten Ernährungsplänen, die auf den Genomdaten eines Verbrauchers basieren, könnte das Angebot an Lebensmitteln künftig stärker auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten sein – so das große Versprechen der Agrarbiowissenschaftsunternehmen.
Bei aller Euphorie dürfen die potenziellen Risiken für die menschliche Gesundheit nicht unterschätzt werden. In der im International Journal of Molecular Sciences veröffentlichten Studie „CRISPR Variants for Gene Editing in Plants: Biosafety Risks and Future Directions“ ist Folgendes nachzulesen:
Die Verbesserung gentechnisch veränderter Pflanzen kann die Landwirtschaft revolutionieren, die Ernteerträge verbessern und die Mehlproduktion auf vielfältige Weise steigern. Es gibt jedoch Probleme in Bezug auf die biologische Sicherheit dieser Pflanzen, vor allem in Bezug auf die Fähigkeit, unbeabsichtigte Ergebnisse hervorzurufen, einschließlich des Auftretens neuartiger Allergene oder Toxine, die die menschliche Gesundheit und die Umwelt beeinträchtigen würden. Gen-Editing-Techniken wie CRISPR/Cas9 bieten wirksame Werkzeuge, um die genetische Editierung von Pflanzen zu modifizieren. Es besteht jedoch das Risiko, dass diese Präzision neue Gene oder regulatorische Elemente hervorbringen könnte, die Probleme mit der biologischen Sicherheit auslösen könnten. In einer kürzlich durchgeführten Studie wurde beispielsweise über die Bildung einer neuen Stärke in einer gentechnisch veränderten Kartoffel berichtet, die zur Produktion von Acrylamid führte. Dieses Nervengift entsteht, wenn bestimmte Lebensmittel bei hohen Temperaturen gekocht werden. In ähnlicher Weise haben Wissenschaftler Bedenken geäußert, dass die Genomeditierung zu neuartigen Pflanzenallergenen und unerwarteten toxikologischen Effekten führen könnte.
Um die Sicherheit von gentechnisch veränderten Pflanzen für den menschlichen Verzehr und die Umwelt zu gewährleisten, müssen strenge Biosicherheitsbewertungen durchgeführt werden.
Die Sicherheitsbewertung für die menschliche Gesundheit konzentriert sich auf Toxikologie, Allergenität und Nährwert. Toxikologische Studien bewerten, ob der Verzehr von veränderten Pflanzen die menschliche Gesundheit schädigt, während Allergenitätsbewertungen darauf abzielen, potenzielle allergene Proteine zu identifizieren, die während des genetischen Veränderungsprozesses eingeführt werden. Darüber hinaus stellt die Nährwertanalyse sicher, dass die veränderten Pflanzen ihre essentiellen Nährstoffe erhalten oder verbessern, was ihren potenziellen Nutzen für die menschliche Ernährung erhöht.
Man darf jedoch nicht vergessen, dass der menschliche Stoffwechsel hochkomplex ist und sich im langsamen evolutionären Tempo an neue Nahrungsmittelquellen angepasst hat. Angesichts der schnellen Entwicklung und Einführung genomischer Pflanzensorten entstehen jedoch einige Bedenken.
Obwohl einzelne genomisch veränderte Pflanzen möglicherweise sicher sind, könnten Wechselwirkungen auftreten, wenn verschiedene genmodifizierte Nahrungsmittel regelmäßig und in Kombination verzehrt werden. Dies könnte unvorhergesehene metabolische Effekte nach sich ziehen, die durch veränderte Protein- oder Stoffwechselprofile in diesen Pflanzen ausgelöst werden.
Genomische Eingriffe zur Verbesserung des Nährstoffgehalts, etwa durch die Erhöhung bestimmter Vitamine oder Mineralstoffe, könnten das Mikronährstoffprofil der menschlichen Ernährung beeinflussen. Da der menschliche Stoffwechsel auf bestimmte Nährstoffverhältnisse angewiesen ist, könnte eine dauerhafte Veränderung in einer breiten Produktpalette Anpassungen im Nährstoffhaushalt erfordern.
Langfristige und kombinierte Effekte des regelmäßigen Verzehrs genomeditierter Pflanzen sind noch nicht ausreichend erforscht. Diese kumulativen Effekte sind komplex und hängen von Faktoren wie Genotyp, Mikrobiom und individuellem Stoffwechselzustand ab. Da neue Eigenschaften häufig durch molekulare Veränderungen in spezifischen Stoffwechselwegen eingebracht werden, könnten unerwartete Auswirkungen auf den gesamten Metabolismus auftreten.
Zudem beeinflussen die chemischen und biologischen Profile genmodifizierter Pflanzen das menschliche Mikrobiom, das eng mit dem Immunsystem und dem Stoffwechsel verbunden ist. Veränderungen in der Zusammensetzung der Nahrungsmittel über eine Vielzahl von Produkten hinweg könnten das Zusammenspiel zwischen Mikrobiom und Stoffwechsel langfristig beeinflussen, was zusätzliche Forschung erfordert.
Aktuell liegen nur begrenzte Langzeitstudien vor, die sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen einer kontinuierlichen Aufnahme solcher Produkte über Generationen hinweg befassen. Um verlässliche Aussagen zu treffen, sind umfangreiche Langzeitstudien nötig, die die kombinierten Effekte der genomisch veränderten Pflanzen auf den Stoffwechsel und die allgemeine Gesundheit untersuchen.
Unerwartete DNA-Schäden durch CRISPR-Cas
Am 27. November 2024 hat ein Forscherteam der ETH Zürich schwerwiegende Nebenwirkungen des Einsatzes der Genschere CRISPR-Cas aufgedeckt. CRISPR-Cas, oft als „Genschere“ bezeichnet, ermöglicht präzise Eingriffe in die DNA. Dabei wird die DNA genau an der Stelle geschnitten, an der das Erbgut verändert werden soll. Die Zelle repariert diesen Schaden auf zwei mögliche Arten: eine schnelle, aber ungenaue Methode, oder eine langsamere, präzisere Methode, die als „homology-directed repair“ (HDR) bekannt ist. Forscher bevorzugen HDR, da es genaue Veränderungen ermöglicht.
Um HDR zu fördern, wurde eine Substanz namens AZD7648 eingesetzt. Diese blockiert die schnelle Reparatur und zwingt die Zelle, den präzisen HDR-Weg zu nutzen. Allerdings hat die ETH-Studie gezeigt, dass AZD7648 unerwartete Nebenwirkungen hat: In manchen Fällen kommt es zu massiven Schäden im Erbgut, darunter der Verlust ganzer Chromosomenarme oder großer DNA-Bereiche. Solche Veränderungen machen die DNA instabil und können schwerwiegende Folgen haben.
Diese Defekte wurden erst entdeckt, als die Forscher das gesamte Genom überprüften, nicht nur die gezielt bearbeiteten Bereiche.
„Für uns ist das ein herber Rückschlag, denn wir hatten uns wie andere Wissenschaftler erhofft, mit der neuen Technik die Entwicklung von Gentherapien zu beschleunigen“, erklärte der Leiter des Forschungsteams.
Die Wissenschaftler arbeiten intensiv an der Verbesserung der Methode. Ob CRISPR-Cas eines Tages als wirklich sicher gelten kann, wird die Zukunft zeigen.

3. Wo Gegenwart und Zukunft verschmelzen
In einer zunehmend von Technologie und Innovation geprägten Welt erleben wir einen entscheidenden Wendepunkt, an dem die Gegenwart der Landwirtschaft mit der Vision der Zukunft verschmilzt. Die Landwirtschaft von morgen entsteht nicht mehr ausschließlich in Forschungslaboren, sondern findet bereits auf den Feldern der Gegenwart Anwendung. Es geht dabei nicht nur um die Produktion von Nahrungsmitteln, sondern um die umfassende Neugestaltung ganzer Agrarökosysteme, die langfristig sowohl die Bedürfnisse der Menschen als auch die Umwelt prägen werden.
Fünf Jahre nach der Veröffentlichung des WEF-Berichts „Innovation with a Purpose: The Role of Technology Innovation in Accelerating Food Systems Transformation“ sind die dort vorgestellten technologischen und politischen Maßnahmen längst in die Strategien großer Agrarbiotech-Konzerne eingeflossen. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die Bayer AG, insbesondere mit ihrer Sparte Bayer CropScience, die diese Ansätze gezielt in ihren systemischen Lösungen verankert hat.
Im Jahr 2023 präsentierte das Unternehmen seine Vision zur Transformation des landwirtschaftlichen Umfelds in den nächsten zehn Jahren der breiten Öffentlichkeit. Unter dem Motto „Think Global – Act Local“ stellte der Konzern umfassende Systemlösungen vor, die auf die spezifischen Anforderungen in Nordamerika, EMEA (Europa, Naher Osten und Afrika), Lateinamerika und der Asien-Pazifik-Region zugeschnitten sind.
Diese zukunftsweisenden Ansätze wurden anhand eindrucksvoller 3D-Animationen veranschaulicht, um komplexe Konzepte anschaulich und verständlich darzustellen. In der Präsentation ging es darum, wie innovative Technologien und Strategien Landwirte weltweit dabei unterstützen können, nachhaltiger, effizienter und resilienter auf die Herausforderungen der kommenden Jahre zu reagieren.
Im Folgenden werfen wir einen genaueren Blick auf die verschiedenen Stationen dieser globalen Präsentation und die für jede Region entwickelten Lösungsansätze.
Beginnen wir in Illinois, USA, wo John eine beeindruckende 5.000 Hektar große Farm bewirtschaftet. Für US-amerikanische Verhältnisse zählt sein Betrieb zu den großen industriellen Landwirtschaftsbetrieben.
Mit der nahtlosen Integration digitaler Technologien und moderner Biotechnologie aus einer Hand hat John seine Einkommensmöglichkeiten erheblich gesteigert. Vernetzte Systeme ermöglichen ihm, den Betrieb effizienter zu gestalten, während modernste Tools die Bewirtschaftung seiner Flächen erleichtern.
Auf der anderen Seite des Atlantiks treffen wir Pablo aus Almería, Spanien. Er betreibt eine 20 Hektar große Tomatenplantage, die in dieser Region als mittelgroß gilt.
Pablos Erfolg basiert auf einem umfassenden Technologiekonzept, das digitale Lösungen mit Biotechnologie und Pflückrobotern kombiniert. Diese „All-inclusive-Lösung“ von Bayer erleichtert nicht nur seine tägliche Arbeit, sondern ermöglicht ihm auch, schnell auf individuelle Kundenwünsche einzugehen und seine Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Die nächste Station führt uns in den Bundesstaat Paraná in Brasilien, wo die Bäuerin Ana eine rund 607 Hektar große Soja- und Maisfarm ganzjährig bewirtschaftet. Für diese Region handelt es sich um einen vergleichsweise großen Betrieb.
Dank der Systemlösung von Bayer kann Ana vorteilhafte Einkaufskonditionen für Saatgut und Pflanzenschutzmittel nutzen sowie Zugang zu finanziellen und Versicherungsdienstleistungen erhalten. Ihre landwirtschaftlichen Maschinen sind so programmiert, dass sie mit den spezifischen Anwendungsparametern der Bayer-Produkte arbeiten, sobald diese zum Einsatz kommen. Durch den Einsatz von Präzisionslandwirtschaftstechnologien ist Ana in der Lage, ihre Ernte mit einem „Low Carbon“-Zertifikat auszuzeichnen, was ihre Produkte auf dem Markt wettbewerbsfähiger macht.
Wir erreichen Indien, das bevölkerungsreichste Land der Welt. Dort trifft der Konzern auf Ramesh, einen Kleinbauern, der sich auf die Reiszucht spezialisiert hat und nun mit Unterstützung von Bayer auf eine zukunftssichere Landwirtschaft umgestellt wird.
In einem Land, in dem mehr als die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist, fördert Bayer die vollständige Robotisierung der Bearbeitungsprozesse auf kleinen Betrieben. Wie genau diese Arbeitskräfte – wie durch eine „magische Hand“ – in die urbanen Regionen umgesiedelt werden sollen, bleibt jedoch unklar. Was jedoch feststeht, ist, dass Ramesh mit Hilfe von Bayer nun in der Lage ist, mehr Reis mit weniger Wasser und weniger Arbeitskräften zu produzieren.

Der systemische Ansatz von Bayer reflektiert die jeweiligen regionalen Herausforderungen, wie Arbeitskräftemangel, Ressourcenschwund und die Notwendigkeit der Effizienz in unterschiedlichen Maßstäben der Landwirtschaft. In den USA und Brasilien geht es vor allem um Effizienzsteigerung und Ertragsoptimierung bei großen Betrieben, während in Spanien die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität der Landwirtschaft im Vordergrund stehen. In Indien hingegen wird die Automatisierung und Reduzierung des Arbeitsaufwands als Schlüssel zur Zukunftssicherung kleinerer Betriebe betrachtet.
In diesen Szenarien verschiebt sich der Fokus von den Landwirten als aktiven Akteuren hin zu den Technologien und Produkten, die von Unternehmen wie Bayer bereitgestellt werden. Landwirte agieren zunehmend in einer automatisierten und technologiegetriebenen Umgebung, in der die Verantwortung für den Erfolg ihrer Betriebe immer mehr auf die Lösungen von Agrarbiotech-Konzernen übergeht. Sie treten weniger als Entscheidungsträger auf und übernehmen stattdessen die Rolle von Anwendern und Bedienern dieser Technologien.
Diese Entwicklung könnte als Entmündigung der Landwirte angesehen werden, da ihre Abhängigkeit von externen Unternehmen wächst, die alle wesentlichen Ressourcen bereitstellen, von Saatgut und Pflanzenschutzmitteln über digitale Plattformen und Automatisierungstechnik bis hin zur finanziellen Infrastruktur. Langfristig könnte dies dazu führen, dass Landwirte sich lediglich als Nutzer von Systemen sehen, die von großen multinationalen Konzernen kontrolliert werden, anstatt als unabhängige Unternehmer, die ihre eigenen Entscheidungen treffen.
Die Befürchtung, dass Landwirte zu „Statisten“ in ihrem eigenen Geschäft werden, wird immer lauter geäußert, vor allem in Anbetracht der zunehmenden Konzentration von Macht in den Händen weniger großer Akteure.

4. Die Magie der kleinen Schritte
Transformationen in der heutigen Welt geschehen oft nicht durch plötzliche, radikale Veränderungen, sondern durch eine Abfolge kleiner, systematischer Schritte. Es ist gerade die Summe dieser unscheinbaren, aber beständigen Aktionen, die am Ende den Wandel bewirken.
Im Rahmen der globalen Umgestaltung von Nahrungsmittelsystemen können Initiativen wie die Food-Chain-Reaction-Übung, der WEF-Bericht „Innovation with a Purpose: The role of technology innovation in accelerating food systems transformation“, der WHO-Ansatz „One Health“ oder die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) 2023–2027 der EU als Beispiele für solche systematischen Fortschritte betrachtet werden.
GAEA (Giving-to-Amplify-Earth-Action) ist ein weiteres Projekt des Weltwirtschaftsforums, das zu dieser Kategorie gehört.
Philanthropie
„Wir befinden uns an einem Wendepunkt in unseren Bemühungen, den Planeten wieder auf Kurs zu bringen, um unsere Klimaziele zu erreichen. Um die Geschwindigkeit und das Ausmaß zu erreichen, die erforderlich sind, um die Systeme der Erde zu heilen, müssen wir nicht nur privates Kapital und staatliche Mittel freisetzen, sondern auch den Philanthropie-Sektor als echte Katalysatorkraft, um die notwendige Beschleunigung zu erreichen“, erklärte Klaus Schwab, Gründer und Executive Chairman des Weltwirtschaftsforums, in der Pressemitteilung zur Ankündigung von GAEA.
Die neue Initiative zielt darauf ab, philanthropisches Kapital einzusetzen, um jährlich 3 Billionen US-Dollar aus öffentlichen und privaten Quellen zu mobilisieren. Diese Mittel sollen dazu beitragen, den Klimawandel zu bekämpfen und den Verlust der Natur aufzuhalten.
„Die GAEA schärft das Bewusstsein für den 4P-Ansatz – öffentliche (public), private und philanthropische Partnerschaften – und erleichtert dessen Anwendung. Durch radikale Kooperationen, die durch katalytische Philanthropie angetrieben werden, werden die Mittel und das Fachwissen freigesetzt, die erforderlich sind, um echte Veränderungen zu erreichen“,heißt es auf der GAEA-Internetseite.
Im Fokus stehen dabei drei zentrale Ziele: die Erreichung von Netto-Null-Treibhausgasemissionen, die Umkehrung des Verlusts der Natur sowie die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt – und das alles bis zum Jahr 2050. Das White Paper „The Role of Public-Private Philanthropic Partnerships in Driving Climate and Nature Transitions“ definiert die Schwerpunkte im Agrarsektor und der Forstwirtschaft, die für den Einsatz von 4P-Modellen geeignet sind. Dazu gehören unter anderem die Verbesserung der Tiergesundheit, die Steigerung der Saatguteffizienz, die Förderung fortschrittlicher Saatguttechnologien, die Reduktion des Düngemitteleinsatzes, der verstärkte Einsatz von Stickstoffinhibitoren, die Ausweitung von Schutzgebieten sowie die Wiederherstellung degradierten Landes.
Was sich hinter dem 4P-Ansatz versteckt, ist in diesem Bild schematisch dargestellt:

Die GAEA-Initiative verfolgt eine gezielte Strategie, bei der philanthropisches Kapital als Schlüsselressource eingesetzt wird, um eine enge Zusammenarbeit zwischen Philanthropen, staatlichen Akteuren und dem Finanzsektor zu fördern. Philanthropen übernehmen dabei eine erweiterte Rolle: Sie tragen nicht nur finanzielle Mittel bei, sondern unterstützen gezielt innovative und risikoreiche Projekte, die für andere Akteure weniger attraktiv sind. Ihr Einfluss reicht über die Bereitstellung von Ressourcen hinaus, da sie maßgeblich zur Priorisierung und strategischen Ausrichtung der Projekte beitragen.
Regierungen und Finanzsektor sollen dieses Kapital nutzen, um risikoreiche Investitionen abzusichern und Projekte investitionsfähig zu machen. Gleichzeitig profitieren alle Akteure von der gebündelten public-philathropic Expertise, um hochwirksame Investitionen zu identifizieren und umzusetzen.
Damit fördert das Modell eine engere Integration der beteiligten Akteure und strebt an, traditionelle Grenzen zwischen ihnen aufzuweichen. Dies ermöglicht eine zentralisierte Steuerung und Abstimmung, die Effizienz und Ressourcenbündelung maximieren soll. Allerdings könnte diese Verschmelzung die Unabhängigkeit einzelner Akteure einschränken, was Fragen hinsichtlich Transparenz und demokratischer Kontrolle aufwirft.
In diesem Zusammenhang ist das Interview mit dem Hamburger Soziologieprofessor Frank Adolff über die „Verschränkung von Philanthropie und Kapitalismus“ besonders aufschlussreich. Die folgenden Auszüge verdeutlichen das zugrunde liegende Dilemma:
Sie kritisieren in einer Ihrer Veröffentlichungen, dass Philanthrokapitalisten die Philanthropie durch mehr und effektivere Philanthropie verbessern wollen. Wie kann ein „Mehr“ an Philanthropie ein Problem sein?
Adloff: Das „Mehr“ ist dann ein Problem, wenn damit eine Machtposition einhergeht, die nicht mehr kontrollierbar ist. Wir haben das gleiche Phänomen im wirtschaftlichen Bereich: Da nennen wir es Monopolbildung. Monopole sind volkswirtschaftlich schädlich, weil sie Preise festlegen können, was sie unter Konkurrenz nicht könnten. In der Welt der Philanthropie müssen wir das demokratietheoretisch sehen: Wenn Akteure eine solche Machtstellung haben, können sie natürlich einerseits viel und schnell etwas bewegen. Andererseits ist das unkontrollierbar, und Akteure können ihre privaten Interessen durchsetzen. Bei der Gates-Stiftung ist beispielsweise kritisch begleitet worden, welchen Einfluss sie auf bestimmte medizinische Entwicklungen weltweit hat, ohne dass das demokratisch kontrolliert wird. Bei großen Organisationen besteht auch weniger die Neigung, mit kleinen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu kooperieren, denn sie können mit ihren Mitteln ja selbst die Agenda setzen.
Inwiefern spielt Eigeninteresse im Philanthrokapitalismus eine Rolle?
Adloff: Das zeigt sich an den Verschränkungen zwischen unternehmerischem und philanthropischem Handeln. Ich bleibe mal bei dem Beispiel von Zuckerbergs Stiftung: Diese investiert philanthropisch – man kann es kaum noch Philanthropie nennen – wobei dies letztlich dem Mutterunternehmen zugutekommt. Oder die Gates-Stiftung: Nicht umsonst konzentriert diese sich auf Bildungspolitik. Da geht es um Digitalisierung der Schulen und pädagogische Konzepte. Letztendlich kann man nicht mehr klar unterscheiden: Geht es um philanthropische Bildungsprojekte oder geht es am Ende darum, das Mutterunternehmen mit Aufträgen zu versorgen?
Zu GAEAs wachsender Zahl philanthropischer Partner gehören unter anderem der „Bezos Earth Fund“ von Jeff Bezos, die „Open Society Foundations (OSF)“ von George Soros, die „Rockefeller Foundation“, die „Gordon and Betty Moore Foundation“ des INTEL-Gründers Gordon Moore, die „BMW Foundation“ der Familie Quandt und die „IKEA Foundation“ der Familie Kamprad.
Verschiebung der Eigentumsverhältnisse
Die wachsende Weltbevölkerung und der steigende Bedarf an Lebensmitteln machen landwirtschaftliche Nutzflächen zu einer strategisch bedeutsamen Investition. Viele Philanthropen, insbesondere solche mit Verbindungen zu großen Investmentfonds, sehen Farmland als eine stabile Vermögensanlage, die selbst in Krisenzeiten ihren Wert behält oder sogar steigert.
Der Besitz von Ackerland bedeutet Kontrolle über dessen Nutzung und beeinflusst maßgeblich landwirtschaftliche Entscheidungen, von der Produktion über die Erhaltung bis hin zur Nachfolgeplanung. Eigentümer setzen die Regeln, wie das Land bewirtschaftet wird und in welchem Umfang über seine Nutzung entschieden wird. Damit rückt ein weiterer entscheidender Aspekt der Transformation globaler Nahrungsmittelsysteme in den Fokus: die schrittweise Verschiebung der Eigentumsverhältnisse.
„Mit fast 108.900 Hektar behielt Bill Gates 2021 seine Position als Amerikas größter privater Ackerlandbesitzer. Damit rangierte Gates im Ranking der größten Bodenbesitzer aber „nur“ auf Platz 49 – deutlich hinter Jeff Bezos, der auf Position 25 kam“, berichtet Agrarheute in Dezember 2023.
Zu den größten privaten Landbesitzern in den USA zählen die Familie Emmerson, Eigentümer der Sierra Pacific Industries, eines der größten Forstunternehmen des Landes, mit einem Besitz von etwa 943.300 Hektar. Weitere prominente Landbesitzer sind John Malone, Gründer und Vorsitzender der Mediengruppe Liberty Media, der rund 890.700 Hektar besitzt, sowie Ted Turner, Medienmogul und Gründer von CNN, mit einem Landbesitz von etwa 809.700 Hektar.
Der CNBC-Bericht „Why Bill Gates Is Buying Up U.S. Farmland“ beleuchtet die jüngsten Entwicklungen im Bereich des landwirtschaftlichen Landerwerbs und analysiert die damit verbundenen Auswirkungen.
„Land ist ein Vermögenswert mit steigendem Wert“, erklärt John Piotti, CEO von American Farmland Trust, in dem Beitrag. „Es besitzt nicht nur einen hohen intrinsischen Wert, sondern ist auch eine begrenzte Ressource.“
Nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums befinden sich rund 30 % aller landwirtschaftlichen Flächen im Besitz von Personen, die selbst keine Landwirtschaft betreiben. Häufig kaufen Investoren diese Flächen von Landwirten, die das Land seit Jahrzehnten bewirtschaften. Viele dieser Landwirte verfügen zwar über erhebliches Vermögen in Form von Landbesitz, kämpfen jedoch mit knappen finanziellen Mitteln.
Weitere Informationen über die größten Landbesitzer der Welt findet man hier.
Die schrittweise Verschiebung der Eigentumsverhältnisse an landwirtschaftlichen Nutzflächen ist ein globales Phänomen mit weitreichenden Auswirkungen auf die Landwirtschaft und ländliche Regionen. Eine Pressemitteilung der Welthungerhilfe aus November 2020 mit dem Titel „Die Kluft beim Landbesitz wird weltweit größer“ zeigt, dass die Landungleichheit seit den 1980er Jahren stetig zunimmt.
Weltweit kontrollieren die größten 1 % der Betriebe mittlerweile mehr als 70 % der landwirtschaftlich genutzten Flächen. Im Gegensatz dazu machen Kleinbauern etwa 80 % aller Landwirte aus, haben jedoch oft nicht die finanziellen Mittel, ihr Land zu erweitern oder wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch in der EU ist dieser Trend erkennbar, da weniger als drei Prozent der Betriebe mehr als die Hälfte der Ackerfläche bewirtschaften.
Die folgende Abbildung veranschaulicht die Machtverhältnisse in der Landwirtschaft:

Zudem investieren immer mehr Finanzinstitutionen und Investmentfirmen wie BlackRock in Ackerland als stabile und wertsteigernde Vermögenswerte. Dies führt zu einer immer stärkeren Konzentration des Landbesitzes, der gleichzeitig weniger transparent wird. Diese Entwicklung fördert die Industrialisierung der Landwirtschaft und schwächt die Position kleiner Betriebe. Die Verschiebung der Landverhältnisse benachteiligt häufig Kleinbauern, indigene Gemeinschaften und ländliche Bevölkerungen, die auf den Zugang zu Land angewiesen sind. Die zunehmende Konzentration des Landbesitzes treibt zudem die Landpreise in die Höhe, was es für kleinere Landwirte noch schwieriger macht, mit großen Akteuren zu konkurrieren. Eine ungleiche Landverteilung trägt außerdem zur wachsenden Armut und Unsicherheit in der Lebensmittelversorgung bei.
„Da sich diese Trends ständig weiterentwickeln, ist es für die Beteiligten im Agrarsektor von entscheidender Bedeutung, auf dem Laufenden zu bleiben und sich an die sich ändernde Landschaft anzupassen“, heißt es auf der Webseite des Agrartechnologieunternehmens Farmonaut.
Der Krieg in der Ukraine verdeutlicht, wie sich die geopolitische und wirtschaftliche Realität weiterentwickelt. Der Artikel „Inmitten des Kriegschaos: Ein neuer Bericht deckt die heimliche Übernahme von ukrainischem Agrarland auf“ zeigt auf, wie mehrere lokale Großagrarunternehmen, die nach wie vor größtenteils von Oligarchen kontrolliert werden, sich zunehmend westlichen Banken und Investmentfonds geöffnet haben – darunter prominente Akteure wie Kopernik, BNP oder Vanguard, die nun Anteile an den Unternehmen halten. Der Bericht warnt auch davor, dass die drückende Verschuldung der Ukraine von Finanzinstituten als Druckmittel genutzt wird, um den Wiederaufbau nach dem Krieg in Richtung weiterer Privatisierungs- und Liberalisierungsreformen in verschiedenen Sektoren, einschließlich der Landwirtschaft, voranzutreiben. Dies stellt eine Verlust-Situation für die Ukrainer dar: Während die Bevölkerung ihr Land entschlossen verteidigen möchte, unterstützen Finanzinstitute im Hintergrund die Konsolidierung von Ackerland durch Oligarchen und westliche Finanzinteressen.
Steuerreformen
Die „neue Normalität“ hat auch die Landwirte in Großbritannien erreicht. In den letzten Tagen haben landesweite Proteste von Bauern stattgefunden, die sich gegen die geplanten Änderungen der Erbschaftssteuer unter der Labour-Regierung wehren. Diese Änderungen, die ab April 2026 in Kraft treten sollen, betreffen vor allem landwirtschaftlich genutztes Land. Künftig können Bauern nur noch eine begrenzte Steuererleichterung auf den Wert ihrer landwirtschaftlichen Vermögenswerte beanspruchen. Die Steuerbefreiung für Beträge über 1 Million Pfund wird von bisher 100 % auf nur noch 50 % reduziert. Dies sorgt vor allem bei Familienbetrieben für massive Bedenken, da sie durch diese Regelungen Gefahr laufen, ihre Betriebe zu verlieren oder deren Fortbestand zu gefährden.
Die geplante Gesetzesänderung, die landwirtschaftliche Betriebe durch eine erhöhte Steuerlast dazu zwingen könnte, Teile ihres Landes zu verkaufen, könnte als indirekte Form der Enteignung betrachtet werden. Solche Steuermaßnahmen sorgen in der Öffentlichkeit für Besorgnis, da sie den Übergang von landwirtschaftlichem Eigentum an große Konzerne oder internationale Investoren fördern könnten – eine Entwicklung, die als nachteilig für die Landwirtschaft und ländliche Gemeinschaften angesehen wird.
„Es ist so hart geworden, dass ich mir einen zweiten Job suche: Hinter den Kulissen der Agrarkrise“, titelt ein Artikel des Independent, der diese Entwicklung als einen weiteren Schlag für die Familienbetriebe beschreibt, die angesichts steigender Kosten und zunehmender Konkurrenz ums Überleben kämpfen.
Inwieweit die schrittweisen Veränderungen von Eigentumsverhältnissen im Agrarsektor mit der kontroversen Vision aus einem WEF-Video von 2016 – „You will own nothing and be happy“ – in Verbindung stehen, bleibt abzuwarten. Diese Dynamik wirft jedoch Fragen über die Zukunft des Landbesitzes und die Kontrolle über Nahrungsmittelproduktion auf – Themen, die weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Implikationen haben werden.

5. Über Kontraste der aktuellen Politik
Die globale Umgestaltung der Nahrungsmittelsysteme wird maßgeblich durch die Verbindung zwischen Ernährung und Klimawandel begründet. Doch wie groß ist der Anteil der Lebensmittelproduktion an den weltweiten Treibhausgasemissionen?
Die Schätzungen variieren: Einige Studien gehen von etwa einem Viertel aus, während andere sogar mehr als ein Drittel angeben. Die folgende Grafik illustriert die Spannweite der Ergebnisse und gibt einen Überblick über die verschiedenen Modelle zur Quantifizierung des Einflusses von Lebensmitteln auf die Emissionen:

Die Landwirtschaft ist eine multifaktorielle Quelle für CO2-Emissionen. Dazu zählen Landnutzungsänderungen wie Entwaldung, der Energieverbrauch für Maschinen und Bewässerung, die Produktion und Nutzung von Düngemitteln, Tierhaltung und Tierfutterproduktion, Transport sowie der Abbau organischer Masse im Boden.
Die zitierten Statistikmodelle und Erhebungsmethoden bilden die Grundlage für eine Vielzahl gesellschaftlicher und politischer Maßnahmen weltweit. John Podesta, einer der führenden Köpfe hinter der „Food Chain Reaction“-Übung, betonte auf der diesjährigen UN-Klimakonferenz COP29 in Baku die Dringlichkeit der globalen Lage:
In seiner Rede rief er dazu auf, die Wechselwirkungen zwischen Ernährung, Klimawandel und gesellschaftlicher Stabilität stärker in den Fokus zu rücken. Sein Appell unterstrich die Notwendigkeit, bestehende Daten und Erkenntnisse konsequent in praxisorientierte Strategien umzusetzen, um die Ernährungssysteme widerstandsfähiger und nachhaltiger zu gestalten.
Im Folgenden geht es nicht darum, die Richtigkeit des Narrativs über den Klimawandel und die Notwendigkeit von CO2-Reduktionen zu bewerten. Stattdessen betrachten wir kritisch das Verhalten jener Akteure, die diese Narrative fördern und globale Maßnahmen vorantreiben.
„Präsident Biden und Vizepräsident Harris haben in den letzten vier Jahren beispiellose Mittel für den Klimaschutz mobilisiert“, erklärte John Podesta auf der COP29. Gleichzeitig berichtete ntv bereits im März 2022, dass Biden den höchsten Militäretat in Friedenszeiten plant.
„Die weltweiten Militärausgaben haben 2023 einen neuen Höchststand erreicht. Laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri erreichten sie 2,44 Billionen US-Dollar. Mehr als ein Drittel entfallen auf die USA. Deutschland belegt Rang sieben“, berichtete der Bayerische Rundfunk BR24 im April 2024.
Bemerkenswert ist, dass militärische CO2-Emissionen in UNO-Berichten nicht erfasst werden, da das Militär keine Berichtspflicht hat.
Das US-Verteidigungsministerium ist weltweit der größte institutionelle Verbraucher fossiler Brennstoffe – und zugleich der größte institutionelle Emittent von Treibhausgasen. Eine Studie aus 2019 zeigt, dass das US-Militär, wäre es ein Land, allein durch seinen Treibstoffverbrauch der 47. größte Emittent weltweit wäre.
Neta Crawford von der Boston University schätzte die Emissionen des Pentagons von 2001 bis 2018 auf 1,3 Milliarden Tonnen CO2. Dies übertrifft die jährlichen Emissionen von Ländern wie Schweden oder Dänemark. [NZZ]
Und das US-Militär ist dabei nur eine von vielen Armeen weltweit.

Armeen weltweit sind für schätzungsweise 6 % der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich, wie die britische Organisation Scientists for Global Responsibility im Jahr 2022 berichtet. Wäre das globale Militär ein eigenständiges Land, würde es in der Rangliste der Emissionen den vierten Platz einnehmen – noch vor Russland.
Die tatsächlichen Werte könnten jedoch höher liegen, da indirekte Emissionen, etwa durch die Produktion von Rüstungsgütern oder Schutzbauwerke aus Stahlbeton, nicht erfasst werden. [NZZ]
Die Herstellung von Waffen und Militärtechnik ist ressourcenintensiv und verursacht erheblichen CO2-Ausstoß, einschließlich Abfallprodukten und Umweltverschmutzung. Zudem beanspruchen Militärgebiete bis zu 6 % der weltweiten Landfläche, was ihre Nutzung und Verwaltung zu einem weiteren bedeutenden Faktor für Emissionen macht.
Bei bewaffneten Konflikten steigen die CO2-Emissionen erheblich an. Ursache sind der massive Einsatz von Granaten, Bomben, Raketen und Munition sowie der hohe Treibstoffverbrauch der Kampfeinheiten. Zusätzlich haben Konflikte oft langfristig verheerende Folgen für die Umwelt, was die Nachhaltigkeit weiter untergräbt.
Direkte Emissionen entstehen durch Brände von Tankdepots, Ölinfrastrukturen, Trümmern sowie Wald- und Feldbrände. Indirekt erhöhen Abholzung für Flüchtlingslager, Ressourcenverbrauch für die zivile Versorgung und Kämpfe in Nachbarregionen die CO2-Bilanz.
Der Ukraine-Krieg allein verursachte im ersten Jahr geschätzte 155 Millionen Tonnen CO2, zusätzlich zu weitreichenden Zerstörungen wie der Sprengung des Kachowka-Staudamms.
Angesichts der desaströsen Zustände in Bezug auf die UN-Nachhaltigkeitsziele erscheint es bemerkenswert, dass relevante Akteure langfristige Konflikte bevorzugen, anstatt auf eine schnelle, friedliche Beilegung hinzuarbeiten.
Während die aktuellen Schlagzeilen sich auf die nächste Eskalationsstufe konzentrieren, zeichnet sich im Hintergrund ein Paradigmenwechsel in der nachhaltigen Investmentbranche ab – ein Wechsel, der die Definition von Nachhaltigkeit neu hinterfragt und angesichts militärischer Prioritäten in den Fokus rückt.
Der Vermögensverwalter FiNet Asset Management GmbH beschreibt in seinem Online-Beitrag „Paradigmenwechsel in der nachhaltigen Investmentbranche: Rüstungsindustrie im Fokus“ eine bedeutende Entwicklung in der Welt der nachhaltigen Investments. Aufgrund geopolitischer Spannungen und regulatorischer Anpassungen überdenken Finanzinstitute ihre Haltung zur Rüstungsindustrie im Rahmen von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance).
Die EU-Kommission hebt in ihrer Verteidigungsstrategie hervor, dass ESG-Vorgaben Investitionen in die Verteidigungsindustrie – mit Ausnahme geächteter Waffen – nicht behindern sollten. Sie argumentiert, dass die Verteidigungsindustrie durch ihren Beitrag zu Resilienz und Sicherheit indirekt Nachhaltigkeit fördern könne. Kritiker sehen diese Vermischung von Sicherheits- und Nachhaltigkeitsaspekten skeptisch. Sie warnen davor, dass die Rüstungsindustrie durch signifikante Umwelt- und Klimaschäden den Grundsätzen der Nachhaltigkeit widerspricht und deren Konzept verwässern könnte.
Dieser Paradigmenwechsel spiegelt die Spannungen zwischen geopolitischen Realitäten, ökonomischen Interessen und ethischen Prinzipien wider und zeigt, wie sich die Definition von Nachhaltigkeit in der ESG-Landschaft verändert.
Die aktuellen Entwicklungen in der ESG-Debatte erinnern an das Sprichwort „Was nicht passt, wird passend gemacht“, da politische und wirtschaftliche Interessen zunehmend die ursprünglichen Nachhaltigkeitskriterien umformen und deren wissenschaftliche Integrität infrage stellen.
Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, warum Diskussionen und Forderungen nach „emissionsarmen Kühen“ von manchen als absurd oder grotesk angesehen werden.
„Wir wissen, was zu tun ist.
Machen wir uns an die Arbeit.
Bringen wir es hinter uns.”
John Podesta, Rede auf der COP29 UN-Klimakonferenz

6. Ausblick
Der Wandel der Nahrungsmittelsysteme ist unaufhaltsam: ob durch die Veränderung der Nachfrage durch neuartige Lebensmittel, die biotechnologische Optimierung traditioneller Grundnahrungsmittel oder die Effizienzsteigerung und Digitalisierung entlang der gesamten „Farm-to-Fork“-Kette. Die Art und Weise, wie der Mensch seine Nahrung erzeugt, scheint eine neue Evolutionsstufe zu erreichen. Dieser Prozess ist vielschichtig, erfolgt schrittweise und bleibt für große Teile der Bevölkerung im Alltag nahezu unbemerkt. Dabei zieht sich die Globalisierung und die zunehmende Konzentration von Macht und Einfluss in den Händen weniger Akteure wie ein roter Faden durch diese Entwicklungen.
Im Rahmen sogenannter Philanthropic-Public-Private-Partnerships entstehen Machtstrukturen, die Landwirte zunehmend zu Statisten in ihrem eigenen Geschäft machen. Seit den frühen 2000er-Jahren hat der Begriff Big Food einen festen Platz neben Ausdrücken wie Big Oil, Big Tech oder Big Pharma gefunden. Durch ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen sind diese „Big Players“ in der Lage, die ursprünglichen Nachhaltigkeitskriterien, die als Grundlage für die Transformation der Nahrungsmittelsysteme dienen, flexibel anzupassen – oft zu ihrem eigenen Vorteil.
Alles in allem bestätigen die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte Henry Kissingers Aussage: „Wer die Nahrungsmittelversorgung kontrolliert, kontrolliert die Menschen.“
Es liegt an uns, wie wir mit dieser Wahrheit umgehen. Dabei spielen das Verhalten, die Entscheidungen und die Prioritäten von Individuen und Gesellschaften eine zentrale Rolle, denn sie sind nicht nur ein integraler Bestandteil des Wandels der Nahrungsmittelsysteme, sondern auch dessen treibende Kraft.
Unser Alltag wird zunehmend durch den Wunsch bestimmt, Familie, Beruf, Haushalt und Freizeit miteinander in Einklang zu bringen. Dabei haben die Flexibilisierung der Arbeitswelt und die damit einhergehenden Veränderungen unserer Routinen traditionelle Tagesrhythmen weitgehend aufgelöst. Feste Zeiten für Mahlzeiten werden durch flexible, individuell an Arbeit, Sport oder Freizeit angepasste Zeitpläne ersetzt. Dieser dynamische Lebensstil führt zu einem steigenden Bedürfnis nach effizientem Zeit- und Ressourcenmanagement – ein Erfolgsfaktor, der den Alltag vieler Menschen strukturiert.
Diese Entwicklung spiegelt sich in Ernährungstrends wider, die auf zeitsparende Lösungen abzielen. Die Menschen möchten den Aufwand für den Einkauf und die Zubereitung von Lebensmitteln minimieren, ohne auf gesunde, schnelle, praktische und natürliche Alternativen verzichten zu müssen. Zugleich können oder möchten viele nicht mehr selbst kochen, sehnen sich jedoch weiterhin nach abwechslungsreicher und hochwertiger Ernährung. Besonders jüngere Verbraucher und Personen mit höherem Einkommen treiben dabei den Wunsch nach Innovationen voran: Sie suchen nicht nur nach neuen Geschmacksrichtungen, sondern auch nach modernen Konzepten, die ihren flexiblen Lebensstil unterstützen. Dabei bleiben Nachhaltigkeit und Gesundheit entscheidende Kriterien.
In einer zunehmend urbanen und alternden Gesellschaft gewinnt zudem das Preis-Leistungs-Verhältnis an Bedeutung. Produkte sollen einerseits erschwinglich, andererseits bequem und einfach zugänglich sein. Diese vielfältigen Anforderungen prägen die Zukunft der Ernährung: Sie wird individueller und flexibler, an den hektischen Lebensstil angepasst, und orientiert sich immer stärker an dem Wunsch, Effizienz und Genuss miteinander zu verbinden.
Die beschriebenen gesellschaftlichen Entwicklungen begünstigen zweifellos die großindustrielle Agrarproduktion und Big Food. Dank ihrer Effizienz, Skalierbarkeit und Innovationskraft können diese Akteure die Bedürfnisse einer zunehmend urbanen, zeitknappen und auf Bequemlichkeit ausgerichteten Gesellschaft besonders effektiv erfüllen.
Welche Rolle lokal orientierte Produzenten, Modelle wie die solidarische Landwirtschaft oder kleinbäuerliche Genossenschaften in der „Food & Farm 4.0 Landschaft“ künftig spielen und ob sie die bestehenden Machtverhältnisse in der Branche wirksam herausfordern können, bleibt abzuwarten.
Eine tiefgreifende Verschiebung dieser Machtverhältnisse wird jedoch wahrscheinlich umfassendere strukturelle Veränderungen erfordern – etwa eine gerechtere Verteilung von Macht und Ressourcen innerhalb der Lebensmittelproduktion, stärkere politische Eingriffe und möglicherweise sogar eine grundlegende Anpassung der globalen Wirtschaftsordnung.
Quellen (Stand vom 09.12.2024)


