
Die Kunst des Regierens
Fragt man ChatGPT unvoreingenommen nach Assoziationen zum Begriff „Smart Governance“ und bittet um eine satirische Beschreibung, erhält man folgenden Vorschlag:
„Smart Governance ist das visionäre Konzept, das uns glauben lässt, wir leben in einer perfekten Symbiose von Technik und Verwaltung, während wir in Wirklichkeit von einem unsichtbaren Netz aus Algorithmen, Datenströmen und bürokratischer Überwachung gefangen sind. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Ihre Entscheidungen nicht mehr von Ihnen selbst, sondern von einer KI getroffen werden, die genau weiß, was Sie wollen – bevor Sie es selbst wissen.
In der Ära der Smart Governance überwachen freundliche, allwissende KIs jeden Ihrer Schritte. Diese wohlmeinenden digitalen Hirten sind stets bereit, Ihnen mitzuteilen, wann es Zeit ist, aufzustehen, wann Sie zur Arbeit gehen sollten und ob Ihre Joggingroute heute besonders effizient ist – natürlich alles im Namen Ihrer Produktivität und Gesundheit.
Vergessen Sie die Freiheit, spontane Entscheidungen zu treffen. Ihre To-Do-Liste wird von einem allmächtigen Algorithmus gepflegt, der jeden Aspekt Ihres Lebens optimiert. Warum sollten Sie darüber nachdenken, was Sie zum Abendessen wollen, wenn die Smart Governance bereits den perfekten Ernährungsplan für Sie berechnet hat?
In dieser utopischen Welt der Smart Governance gibt es keine Geheimnisse. Ihre Daten sind offen zugänglich, denn Transparenz ist der Schlüssel. Von Ihren finanziellen Transaktionen bis hin zu Ihren letzten Arztbesuchen – alles ist öffentlich, um sicherzustellen, dass alle auf dem gleichen Wissensstand sind. Schließlich, warum sollte jemand etwas zu verbergen haben?
Ihr Verhalten wird ständig durch subtile Hinweise (Nudges) korrigiert. Möchten Sie die letzte Praline im Schrank essen? Ein sanfter Hinweis auf Ihrem Smartphone wird Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie bereits Ihre Kaloriengrenze erreicht haben. Auf diese Weise lernen Sie, immer die „richtigen“ Entscheidungen zu treffen, ohne die Last des Nachdenkens.
Ihre Meinung zählt – zumindest theoretisch. Automatisierte Systeme nehmen Ihnen die Mühe der Teilnahme an Abstimmungen ab, indem sie auf Basis Ihrer bisherigen Präferenzen entscheiden. Schließlich hat die KI ein besseres Verständnis Ihrer Bedürfnisse und Wünsche als Sie selbst.
Smart Governance ist die triumphale Weiterentwicklung des gläsernen Bürgers, in der Sie sich keine Sorgen mehr machen müssen, eigene Entscheidungen zu treffen. In dieser satirischen Vision der Zukunft sind Sie nicht länger Herr Ihrer selbst, sondern ein gut betreutes Subjekt in einem perfekt durchorganisierten digitalen Paradies. Alles für das höhere Ziel der Effizienz und Optimierung – willkommen in der smarten Welt von morgen!“
Bevor wir in die wunderbare Welt der smarten Regierungen eintauchen, lassen Sie uns erst einmal die grundlegenden Begriffe klären. Und keine Sorge, es wird nicht so kompliziert wie bei einem Politiker, der versucht, eine einfache Frage zu beantworten!
Der Begriff ’smart‘ hat eine faszinierende Entwicklung hinter sich. Ursprünglich aus dem Altenglischen ’smeart‘ stammend, bedeutete er so viel wie ’schmerzhaft‘ oder ’stechend‘. Ja, Sie haben richtig gelesen – damals hätte man bei einem Wespenstich gesagt: „Das war aber smart!“ Heutzutage bedeutet ’smart‘ jedoch etwas völlig anderes. Es steht für Klugheit, Effizienz und Technologie – wie bei Ihrem Smartphone, das schlauer ist als so mancher Politiker!
Kommen wir zum nächsten Begriff ‚Governance‘. Dieser stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie ‚Steuern‘ oder ‚Lenken‘. Es geht also um die Kunst und Wissenschaft, eine Gesellschaft zu führen, Entscheidungen zu treffen und die Ordnung aufrechtzuerhalten. Stellen Sie sich Governance wie ein großes Schachspiel vor, bei dem die Bürger die Spielfiguren sind – jedoch ohne das Risiko, dass jemand die Bauern opfern muss.
Aber wie wird aus einfacher Governance nun Smart Governance? Ganz einfach: Man fügt Technologie, Datenanalyse und eine Prise Innovation hinzu. Das Ergebnis ist eine Regierung, die schneller reagiert, besser informiert ist und sogar Ihre Mails liest – ähm, natürlich nur im guten Sinne! In der Welt der Smart Governance wird aus dem klassischen ‚Wer regiert die Welt?‘ auf magische Weise ein ‚Wer ist der Schlaueste im Raum?‘.
Governance und Smart Governance sind wie Geschwister, die um die Fernbedienung streiten – nur dass es hier um die Kontrolle über ganze Nationen geht! Aber lassen Sie uns nicht vergessen, was diese beiden Geschwister wirklich zusammenhält: Macht. Macht, um Entscheidungen zu treffen, Macht, um die Dinge zu ändern, und Macht, um zu entscheiden, wer die Pizza beim nächsten Kabinettstreffen bestellt.
Governance und Smart Governance sind die Rahmen, durch die Macht ausgeübt, kontrolliert und legitimiert wird – wie der unsichtbare Zauberer hinter den Kulissen, der die politische Bühne beherrscht. Doch was bedeutet eigentlich Macht?
Macht ist eine faszinierende Kraft, die in den sozialen Beziehungen und Strukturen unserer Welt wirkt. Sie bezeichnet die Fähigkeit einer Person oder Gruppe, das Verhalten, die Entscheidungen oder die Handlungen anderer zu beeinflussen oder zu kontrollieren. Ob in der Politik, der Wirtschaft, der Gesellschaft oder auf persönlicher Ebene – Macht manifestiert sich auf vielfältige Weise und prägt unser tägliches Leben.
Von politischer Autorität über soziales Ansehen bis hin zu wirtschaftlichem Einfluss gibt es verschiedene Formen und Dimensionen von Macht, die miteinander verflochten sind und unsere Welt auf komplexe Weise gestalten. Sie kann sowohl offensichtlich und direkt als auch subtil und indirekt sein, und oft ist sie ungleich verteilt, was zu Spannungen, Ungerechtigkeit oder sogar Konflikten führen kann.
„Das Gefühl, über Menschen und Vorgänge keine Macht zu haben, ist uns allgemein unerträglich – wenn wir hilflos sind, fühlen wir uns elend. Niemand will Macht abgeben, alle wollen mehr. In der heutigen Welt ist es jedoch gefährlich, als zu machthungrig zu erscheinen, zu unverhohlen seine Machtspielchen zu treiben. Fairness und Anstand werden von uns erwartet, also müssen wir subtil vorgehen – schicklich, aber schlau, demokratisch, aber diabolisch.“
Robert Greene, POWER – Die 48 Gesetze der Macht
Der Drang nach Macht ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. In einer Welt, die von demokratischen Prinzipien und Menschenrechten geprägt ist, ist jedoch die direkte und offene Ausübung von Macht oft nicht akzeptabel. Stattdessen erfordert es subtile Strategien und Taktiken, um Macht zu erlangen und zu erhalten, während man gleichzeitig ein Image von Fairness und Anstand bewahrt. In einer Welt, die von zunehmender Transparenz und dem Streben nach Gerechtigkeit geprägt ist, ist die Fähigkeit, Macht auf intelligente und geschickte Weise auszuüben, von entscheidender Bedeutung, um langfristige Ziele zu erreichen und Veränderungen herbeizuführen. Dies bedeutet nicht, dass ‚Smart Governance‘ manipulativ oder unethisch sein sollte. Im Gegenteil, es erfordert ein ausgewogenes Verständnis der ethischen Grenzen und eine sorgfältige Abwägung zwischen Macht und Verantwortung.
Michel Foucault, ein bedeutender Denker in Bezug auf die Analyse von Machtstrukturen, betonte die Allgegenwart von Macht in den sozialen Strukturen und Interaktionen. Er argumentierte, dass Macht nicht nur von oben nach unten ausgeübt wird, sondern aus verschiedenen Richtungen und Ebenen kommt. Diese Perspektive betont die Komplexität und Vielschichtigkeit der Machtverhältnisse und erinnert uns daran, dass Macht nicht auf bestimmte Institutionen oder Individuen beschränkt ist, sondern in den kleinsten und alltäglichsten Interaktionen präsent ist.
„Macht ist überall: Nicht, dass sie alles verschlingt, sondern dass sie von überall herkommt.“
Michel Foucault, Geschichte der Sexualität
Foucaults Ideen unterstreichen die Bedeutung eines umfassenden Verständnisses von Macht und zeigen auf, dass Macht nicht nur durch offene Konfrontation oder offensichtliche Autorität ausgeübt wird, sondern auch durch subtile Mechanismen der Normalisierung, Disziplinierung und Überwachung. In einer Welt, in der Macht oft hinter den Kulissen wirkt, ist es entscheidend, diese verborgenen Dynamiken zu erkennen und kritisch zu hinterfragen, um ein gerechteres und ausgewogeneres Machtverhältnis zu erreichen.
In den kommenden Kapiteln werden wir uns zunächst den theoretischen Grundlagen der Macht in einer Gesellschaft zuwenden und deren Verhältnis zur Governance sowie zur Smart Governance analysieren. Dabei werden wir uns mit der Frage beschäftigen, wie Machtstrukturen sowohl formell als auch informell organisiert sind und wie sie durch verschiedene Mechanismen – politische, wirtschaftliche und soziale – ausgeübt werden.
Anschließend werden konkrete Beispiele wie die Corona-Politik und der One-Health-Ansatz untersucht, um verschiedene Formen der Governance zu veranschaulichen.
Des Weiteren werden einige wesentliche technologische Eckpfeiler der Smart Governance beleuchtet und ein Ausblick auf die Zukunft dieser Entwicklung gegeben.
Durch diese eingehende Analyse und Untersuchung möchten wir ein tieferes Verständnis für die Dynamik von Macht, Governance und Smart Governance fördern und die Leser dazu anregen, kritisch über die Wege nachzudenken, wie Macht in unserer modernen Welt ausgeübt und gelenkt wird.
1. Gouvernementalität - die sichtbaren und unsichtbaren Fäden der Macht
1.1. Verknüpfung von Wissen und Macht
1.2. Biopolitik
1.3. Dispositive der Macht
1.4. Disziplinarmacht
1.5. Technologien der Selbstführung
1.6. Widerstand und Gegenmacht
1.7. Fazit
2. Corona-Krise: Governance und Biopolitik im Ausnahmezustand
3. One-Health-Ansatz – Prävention durch kontinuierliche Governance
4. Die technologischen Eckpfeiler der Smart Governance
4.1. Die Europäische Digitale ID
4.2. Die technologische Selbstführung als Fundament der Smart Governance
4.3. Digital Twins als Grundlage für Smart Governance-Strategien
4.4. Das intelligente Geld – Smart Money und Smart Governance
5. Ein Blick in die Zukunft - Smart Governance in seiner besten Form
6. Smart Resistance
7. Epilog - Ist Smart Governance wirklich alternativlos?
1. Gouvernementalität – die sichtbaren und unsichtbaren Fäden der Macht
Bei seiner Analyse der Formen der Regierungsführung und des Regierens in modernen Gesellschaften führt Foucault den Begriff „Gouvernementalität“ ein. Dieser kombiniert die Wörter ‚Regierung‘ und ‚Mentalität‘ und verweist darauf, dass Regierungstechniken und -praktiken tief in das Denken und Verhalten der Menschen eingreifen.
Foucault argumentiert, dass Regierungsführung nicht nur eine Frage von politischen Institutionen oder staatlicher Autorität ist, sondern eine komplexe Netzwerkstruktur von Wissen, Maßnahmen und Techniken umfasst, die darauf abzielen, das Verhalten der Menschen zu steuern und zu lenken. Dabei geht es nicht nur um die direkte Ausübung von Zwang oder Kontrolle, sondern auch um die Konstruktion bestimmter Wissenssysteme, Normen und Verhaltensweisen, die die Menschen auf subtile Weise beeinflussen.
Die Gouvernementalität umgibt uns wie eine dreidimensionale Matrix. Sie hat verschiedene Gesichter und teilweise widersprüchliche Erscheinungsformen, sodass man häufig „vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht“. Eine einfache Orientierungshilfe in diesem ‚Macht-Dickicht‘ kann die folgende Klassifizierung ihrer wichtigsten Aspekte liefern.
1.1. Verknüpfung von Wissen und Macht
Der Ausdruck „Wissen ist Macht“ hat sich im Laufe der Jahrhunderte etabliert und wird oft so interpretiert, dass jemand, der viel weiß, auch großen Einfluss besitzt und anderen überlegen ist. Diese Vorstellung hat nicht immer eine positive Konnotation: Je mehr man über eine Person weiß, desto mehr Kontrolle kann man über sie ausüben und ihre Schwächen ausnutzen.
In Foucaults Analyse ist das Wissen selbst ein Instrument der Macht, sowohl auf Makro- als auch auf Mikroebene. Es ist nicht neutral, sondern immer auch mit Machtprozessen verknüpft, die gesellschaftliche Strukturen und individuelle Lebensläufe tiefgreifend beeinflussen. Diejenigen, die über Wissen verfügen oder die Kontrolle darüber ausüben, haben auch Macht über andere.
Wissen beinhaltet das Verstehen von Mustern, Zusammenhängen und Bedeutungen. Wissen entsteht, wenn Informationen analysiert, verknüpft und in einem verständlichen und nützlichen Rahmen interpretiert werden. Informationen entstehen aus Daten, wenn die letzten in einen Kontext gestellt und interpretiert werden. Daten wiederum sind Rohinformationen, die gesammelt werden können.
Die Menge der verfügbaren Daten kann sicherlich die Möglichkeiten zur Gewinnung von Wissen erweitern, jedoch führt nicht die bloße Vermehrung von Daten automatisch zu mehr Wissen. Vielmehr kommt es darauf an, wie Daten gesammelt, analysiert, interpretiert und in einen nützlichen Kontext gestellt werden. Die Qualität der Daten, die Methoden der Analyse und die Fähigkeit, Informationen sinnvoll zu synthetisieren und zu interpretieren, spielen eine entscheidende Rolle bei der Transformation von Daten zu Wissen.
Die Verknüpfung von Wissen und Macht ist eine zentrale treibende Kraft der Digitalisierung moderner Gesellschaften. Mit der Digitalisierung werden riesige Mengen an Daten (Big Data) generiert, gesammelt und analysiert. Big Data umfasst Informationen aus verschiedenen Quellen wie sozialen Medien, Sensoren, Transaktionen, medizinischen Aufzeichnungen und mehr. Regierungen und Unternehmen nutzen Big Data und fortschrittliche Analysetechniken, um umfangreiche Informationen über die Bevölkerung zu sammeln, zu analysieren und zu interpretieren. Diese Daten enthalten oft persönliche Informationen wie demografische Daten, Verhaltensmuster, Konsumverhalten, Gesundheitsdaten und soziale Interaktionen.
Um Erkenntnisse aus diesen Analysen zu gewinnen, wird zunehmend künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt. KI umfasst Technologien, die es Computern ermöglichen, Aufgaben zu erledigen, die normalerweise menschliche Intelligenz erfordern würden. Durch den Einsatz von Maschinellem Lernen (ML), einem Teilgebiet der KI, das sich auf Algorithmen und Modelle konzentriert, die es Computern ermöglichen, aus Daten zu lernen und Vorhersagen zu treffen, werden prädiktive Modelle entwickelt, die zukünftige Ereignisse prognostizieren können.
Die Kombination aus Big Data, künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen (ML) bietet Regierungen und Unternehmen neue Werkzeuge. Sie können damit Trends erkennen, Risikobewertungen und prädiktive (vorausschauende) Analysen durchführen, Überwachungsprogramme umsetzen, Interventionen planen, Ressourcen zuteilen, gesellschaftliche Prozesse steuern, fundierte Entscheidungen treffen und letztlich Macht ausüben.
Die „Verknüpfung von Wissen und Macht“ ist allgegenwärtig und omnipräsent.
Regierungen und Unternehmen nutzen die gewonnenen Daten, um Überwachungs- und Kontrollmechanismen zu implementieren. Dies reicht von der staatlichen Überwachung zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus bis hin zur Nutzung durch Unternehmen, um Konsumverhalten zu beeinflussen und Marktanteile zu sichern.
Durch Big-Data-Analyse und ML können prädiktive Analysen zur Bekämpfung von Epidemien, zur Steuerung von Verkehrsflüssen oder zur Planung städtischer Infrastruktur durchgeführt werden und auf dieser Basis politische Entscheidungen getroffen werden.
Durch die Sammlung und Analyse von Gesundheitsdaten (elektronische Patientenakten, Gesundheits-Apps, genetische Daten) können Gesundheitsbehörden und -institutionen präzisere und effektivere Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge und -versorgung ergreifen. Diese Maßnahmen können auch zur Kontrolle und Steuerung von Gesundheitsverhalten (z. B. Impfkampagnen, Quarantänemaßnahmen usw.) genutzt werden.
Im Bildungsbereich werden Daten über Schülerleistungen und -verhalten gesammelt und analysiert, um Bildungsstrategien zu entwickeln, die auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler zugeschnitten sind. Dies beeinflusst nicht nur die Bildungspolitik, sondern auch die zukünftigen Möglichkeiten und Chancen der Schüler.
Unternehmen nutzen Datenanalyse, um die Produktivität und Effizienz zu steigern, Arbeitsprozesse zu optimieren und das Verhalten der Arbeitnehmer zu überwachen und zu steuern.
Plattformen wie Facebook, Google und Amazon sammeln umfangreiche Daten über ihre Nutzer und nutzen diese, um personalisierte Inhalte und Werbung bereitzustellen, die das Verhalten der Nutzer beeinflussen und steuern. Diese Plattformen besitzen immense Macht, da sie über das Wissen verfügen, das aus den Daten ihrer Milliarden von Nutzern gewonnen wird. Sie können öffentliche Meinungen formen, Kaufentscheidungen beeinflussen und sogar politische Bewegungen fördern oder behindern. Als zentraler Aspekt der Gouvernementalität wird die Verknüpfung von Wissen und Macht durch Smart Governance in die Praxis umgesetzt.
1.2. Biopolitik
Ein wesentlicher Bestandteil der Gouvernementalität ist die Biopolitik, die sich mit der gesamten Verwaltung der Bevölkerung durch staatliche und andere Institutionen befasst. Sie umfasst daher viele Aspekte des menschlichen Verhaltens und sozialen Lebens. Dies schließt Maßnahmen zur Gesundheitsfürsorge, Sozialpolitik und Bevölkerungsstatistik und andere staatliche Interventionen ein, die das Leben und das Wohlbefinden der Bevölkerung betreffen. Die Biopolitik umfasst weiterhin wichtige Bereiche wie Reproduktion und Familienpolitik, Ernährung und Konsum, Bildung und Erziehung, Arbeit und Beschäftigung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit, Sicherheit und Überwachung, Migration und Staatsbürgerschaft, Sexualität und Geschlechterpolitik.
Durch die Einführung von Gesetzen, Richtlinien und Standards verwaltet und reguliert die Biopolitik das Leben der gesamten Bevölkerung in all seinen Aspekten. Mit diesen umfassenden Maßnahmen zielt die Biopolitik darauf ab, das Verhalten der Bevölkerung zu steuern und bestimmte gesellschaftliche Ziele zu erreichen.
Hier sind ein paar konkrete Beispiele:
Im Bereich der Gesundheitsführsorge gibt es in vielen Ländern Gesetze, die bestimmte Impfungen vorschreiben, um den Ausbruch und die Verbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern (z. B. das Masernschutzgesetz, das eine Masernimpfpflicht für Kinder in Kitas und Schulen sowie für Mitarbeiter in medizinischen Einrichtungen und Gemeinschaftseinrichtungen vorsieht.)
Andere Gesetze und Maßnahmen dienen der Kontrolle und Eindämmung von Epidemien (z. B. das Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Deutschland, das Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen regelt und Quarantänemaßnahmen sowie Meldepflichten festlegt).
Durch Schulpflicht, Lehrpläne und Bildungsstandards werden die Bildungssysteme genutzt, um Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln, aber auch, um soziale Normen und Werte zu fördern, die für die Stabilität und den Fortschritt der Gesellschaft als wichtig erachtet werden.
Durch Richtlinien zur Lebensmittelproduktion, Ernährungsstandards oder Programme zur Bekämpfung von Fettleibigkeit wird die Ernährung und des Konsums reguliert. Damit können Regierungen die Gesundheit und das Verhalten der Bevölkerung beeinflussen, um bestimmte gesundheitliche oder wirtschaftliche Ziele zu erreichen.
Durch Umweltgesetze und -standards können Regierungen das Verhalten von Individuen und Unternehmen steuern, um langfristige ökologische Ziele zu erreichen.
Durch Einwanderungsgesetze kann die Migration reguliert und die Bestimmung der Staatsbürgerschaft sowie die demografische Zusammensetzung und die kulturelle Dynamik innerhalb eines Staates beeinflusst werden.
Gesetze zur Gleichstellung, LGBT-Rechte und Sexualerziehung, die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität betreffen, haben tiefgreifende Auswirkungen auf die sozialen Normen in der Gesellschaft.
usw.
Durch die fortschreitende Digitalisierung von fast allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens werden immer neue Begriffe wie Smart Health, Smart Cities, Smart Economy usw. definiert. Die Macht, die durch Wissen entsteht, wird durch biopolitische Maßnahmen konkret und spürbar in der täglichen Regierungsführung und Verwaltung umgesetzt.
Die Verwirklichung der biopolitischen Strategien und Ziele erfordert entsprechende Infrastruktur und Mechanismen. Und so kommen wir zu den so genannten Dispositiven der Macht.
1.3. Dispositive der Macht
Dispositive sind Netzwerke aus verschiedenen Elementen wie Institutionen, Gesetzen, Vorschriften, administrativen Maßnahmen und wissenschaftlichen Diskursen, die zusammenarbeiten, um bestimmte gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Diese Netzwerke schaffen und implementieren die Rahmenbedingungen, innerhalb derer Macht ausgeübt wird.
Biopolitik operiert innerhalb und durch die Dispositive der Macht. Die Netzwerke, die die Dispositive bilden, sind die Strukturen, durch die biopolitische Strategien implementiert werden. Zum Beispiel nutzt die Biopolitik Institutionen wie Krankenhäuser, Sozialeinrichtungen, Schulen, Medien, Unternehmen in allen Industriebereichen, und Gefängnisse, die alle Teile von Dispositiven der Macht sind.
Dispositive der Macht stellen die Mittel und Mechanismen dar, durch die biopolitische Maßnahmen koordiniert und umgesetzt werden. Ein Dispositiv zur öffentlichen Gesundheit kann Krankenhäuser, Gesundheitsgesetze, Impfkampagnen und medizinische Forschung umfassen, die alle zusammenarbeiten, um die gesundheitlichen Ziele der Biopolitik zu erreichen.
Durch Dispositive der Macht wird die Normierung und Kontrolle von Bevölkerungen ermöglicht. Die Biopolitik zielt darauf ab, bestimmte Normen und Verhaltensweisen zu fördern, und die Dispositive schaffen die Rahmenbedingungen, innerhalb derer diese Normen und Verhaltensweisen als „normal“ und „wünschenswert“ etabliert werden. Dispositive integrieren verschiedene Elemente der Gesellschaft und schaffen eine Umgebung, in der bestimmte Verhaltensweisen gefördert und andere entmutigt werden.
Dadurch wird das Verhalten der Menschen auf subtile und oft unsichtbare Weise geformt und gelenkt. Anstatt offener Zwangsmaßnahmen nutzen die Dispositive Wissenssysteme, Diskurse und institutionelle Praktiken, um das Verhalten der Menschen zu beeinflussen.
Die praktische Umsetzung sieht meistens wie folgt aus:
Gezielt organisierte Sammlungen von Wissen und Informationen in Form von wissenschaftlichen Studien und Nachrichtenberichten können die Grundlagen liefern, auf denen Menschen ihre Ansichten und Entscheidungen aufbauen. (Wenn Menschen durch wissenschaftliche Studien informiert werden, dass Impfungen Krankheiten verhindern können, sind sie eher bereit, sich impfen zu lassen.)
Diese können mit Gesprächen und Diskussionen in der Gesellschaft über bestimmte Themen kombiniert werden. Diese Gespräche finden in den Medien, in der Politik und im Alltag statt. Diese Diskurse formen die Meinungen und Einstellungen der Menschen. (Die Art und Weise, wie Medien Themen darstellen, beeinflusst die öffentliche Meinung. Wenn Medien häufig über die Gefahren des Klimawandels berichten, steigt das Bewusstsein in der Bevölkerung und Menschen sind eher bereit, umweltfreundliche Entscheidungen zu treffen, wie das Reduzieren von Plastikmüll oder das Nutzen öffentlicher Verkehrsmittel.)
In den meisten Fällen führen diese Aktionen zu der Einführung von Regeln und Normen, an die sich Menschen halten müssen. (Durch die Implementierung von Impfprogrammen und präventiven Gesundheitsuntersuchungen in Krankenhäusern und Kliniken wird die Bevölkerung regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung und Impfung angehalten.)
Smart Governance kann als eine moderne Ausdrucksform der Dispositive der Macht betrachtet werden, die traditionelle Konzepte der Regulierung, Normierung und Überwachung durch modernste Technologien und Datenanalysen erweitert und vertieft.
Ein Dispositiv kann Disziplinarmacht als eine der Methoden der Machtausübung miteinbeziehen.
1.4. Disziplinarmacht
Während Biopolitik sich auf die Verwaltung von Bevölkerungen konzentriert, fokussiert sich die Disziplinarmacht auf die Regulierung von Individuen. Beide Machtformen haben das Ziel, das Verhalten der Menschen zu steuern und zu optimieren. Während Biopolitik auf der Makroebene agiert, indem sie die Bedingungen und Lebensumstände der gesamten Bevölkerung reguliert, greift die Disziplinarmacht auf der Mikroebene ein, indem sie die Körper und Verhaltensweisen von Individuen formt. Beide Formen der Macht ergänzen sich und schaffen ein umfassendes System der sozialen Kontrolle.
Disziplinarmacht wird durch Überwachung, Normsetzung, Bestrafung und Belohnung, Ausbildung und Training ausgeübt. Sie zielt darauf ab, Individuen zu disziplinieren, ihre Körper und Verhaltensweisen zu normieren und sie produktiv zu machen.
Die meisten von Ihnen werden sicherlich zunächst an Gefängnisse und Strafvollzug denken. In der Tat setzt das Strafrechtssystem in demokratischen Gesellschaften auf Disziplinarmacht, um normwidriges Verhalten zu sanktionieren und zu korrigieren. Gefängnisse und Strafanstalten sind Einrichtungen, in denen Überwachung, Bestrafung und Rehabilitation eine zentrale Rolle spielen.
Aber die meisten von uns werden mit der Disziplinarmacht wesentlich häufiger konfrontiert, als sie denken.
Schulen sind ein klassisches Beispiel für Institutionen, die Disziplinarmacht ausüben. Durch Lehrpläne, Klassenregeln, Prüfungen und Überwachungssysteme werden Schülerinnen und Schüler dazu angehalten, normkonformes Verhalten zu zeigen und bestimmte Leistungsstandards zu erreichen.
Arbeitgeber nutzen Disziplinarmacht, um das Verhalten ihrer Angestellten zu kontrollieren und zu lenken. Durch Arbeitsverträge, Mitarbeiterbewertungen, Überwachung am Arbeitsplatz und Belohnungs- bzw. Bestrafungssysteme können Arbeitgeber die Produktivität und Konformität ihrer Mitarbeiter beeinflussen.
In demokratischen Gesellschaften gibt es verschiedene soziale Kontrollmechanismen, die Disziplinarmacht ausüben. Dazu gehören soziale Normen, moralische Erwartungen, kulturelle Werte und Peer-Druck, die das Verhalten der Menschen beeinflussen und regulieren. Peer-Druck bezieht sich auf den Einfluss, den Gleichaltrige oder ‚Peers‘ auf das Verhalten, die Einstellungen oder die Entscheidungen einer Person ausüben können. Dieser Einfluss entsteht aus dem Wunsch, von der Gruppe akzeptiert, gemocht oder respektiert zu werden.
Auch hier spielen die Medien eine wichtige Rolle bei der Ausübung von Disziplinarmacht. Durch gezielte Berichterstattung, Werbung und Unterhaltungsformate können sie bestimmte Normen, Werte und Verhaltensweisen propagieren, fördern und unterstützen und dadurch moralische Erwartungen oder den Peer-Druck auf Individuen in die eine oder andere Richtung lenken.
Abschließend ist es wichtig zu erkennen, dass das Bestrafungs- und Belohnungssystem eine Wirkung auf das psychologische Verhalten hat. Es verändert die Regeln des Systems von etwas, das man befolgen muss, zu etwas, das man befolgen möchte, weil es im eigenen Interesse liegt, dies zu tun. Diese Philosophie bildet die Grundlage für die „Technologien der Selbstführung“, die auf Motivationssysteme setzen, um gewünschtes Verhalten zu fördern. Indem sie positive und negative Anreize geschickt kombinieren, unterstützen sie die Nutzer dabei, sich selbst zu steuern und persönliche sowie gesellschaftliche Ziele zu erreichen.
1.5. Technologien der Selbstführung
Technologien der Selbstführung, oder „Technologien des Selbst“, beziehen sich auf die Methoden und Praktiken, die Individuen anwenden, um sich selbst zu regulieren, zu formen und zu kontrollieren. Dies kann durch Selbstdisziplin, Reflexion, Selbstverbesserung und andere persönliche Strategien erfolgen mit dem Ziel, bestimmter Normen gerecht zu werden.
Die durch ‚Biopolitik‘ und ‚Dispositive der Macht‘ etablierten gesetzlichen und normativen Rahmenbedingungen für die Steuerung und Lenkung auf kollektiver Ebene beeinflussen das Verhalten und das Selbstbild des Individuums. Durch Technologien der Selbstführung verinnerlichen Menschen diese Normen. Dadurch passen sie ihr Verhalten freiwillig und bewusst an, weil sie die Regeln als nützlich und vorteilhaft für sich selbst empfinden.
Fitness-Apps setzen auf positive Verstärkung durch Belohnungen und Herausforderungen, um Nutzer zur regelmäßigen Bewegung zu motivieren. Lernplattformen bieten Belohnungen für abgeschlossene Module oder bestandene Tests, wodurch die Motivation gesteigert wird, kontinuierlich zu lernen. Finanz-Apps bieten Anreize für das Einhalten von Budgets und das Sparen von Geld, während sie gleichzeitig negative Konsequenzen für übermäßige Ausgaben aufzeigen. Selbstmanagement-Methoden wie das Eisenhower-Prinzip oder die Pomodoro-Technik regen die Menschen dazu an, ihre Zeit effizient zu nutzen und sich auf wichtige Aufgaben zu konzentrieren.
So werden externe Vorgaben zu internen Motivationen.
1.6. Widerstand und Gegenmacht
Manche von Ihnen könnten von der theoretischen Einteilung der wichtigsten Aspekte der Gouvernementalität irritiert oder beunruhigt sein. Aber nach Foucault sind Macht und Widerstand eng miteinander verbunden. Wo Macht existiert, besteht auch die Möglichkeit des Widerstands. Widerstand entsteht nicht von außerhalb oder unabhängig von der Macht, sondern ist Teil der Beziehung zwischen den Machtakteuren selbst.
„Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr gerade deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht.“
Michel Foucault und die Disziplinarmacht
Machtverhältnisse können nur bestehen, wenn es Widerstandspunkte gibt, die sich ihnen entgegenstellen. Widerstand ist immer Teil des Netzwerks der Macht und dient der Macht als Gegner, Zielscheibe, Unterstützung oder Einfallstor. Es gibt nicht nur einen einzigen großen Widerstandsort, sondern viele einzelne Widerstände, die jedoch nicht notwendigerweise die Macht insgesamt überwinden. Sobald es also Macht gibt, besteht die Möglichkeit des Widerstands. Widerstand kommt nicht vor oder nach der Macht, sondern beide existieren gleichzeitig und bedingen einander.
Diese Überlegungen widerspiegeln die Dynamik zwischen Konformität und Nonkonformität in der Gesellschaft. Sie verdeutlicht, dass eine kleine Gruppe von nonkonformen Individuen eine bedeutende Rolle in der Förderung von Veränderungen und Innovationen spielt, während die konforme Mehrheit zur Stabilität und Ordnung beiträgt.
Konformität und Nonkonformität sind keine starren Kategorien, sondern eher dynamische Konzepte, die stark vom sozialen Kontext und den individuellen Umständen abhängen. Was in einer Situation als konform oder nonkonform betrachtet wird, kann in einer anderen Situation anders sein. Diese Begriffe existieren auf einem Kontinuum, und das Verhalten eines Menschen kann sich je nach den Umständen zwischen diesen beiden Polen bewegen.
Foucault betrachtete den Widerstand als spezifische Kämpfe gegen die alltäglichen Ausübungen von Macht, nicht als Kampf gegen die Existenz von Macht insgesamt. Da Machtverhältnisse tief in den gesellschaftlichen Strukturen verankert sind und nicht einfach beseitigt werden können, können sie nicht radikal abgeschafft werden.
Die Interaktion zwischen Governance und Widerstand ist ein dynamischer und komplexer Prozess, der auf verschiedene Weisen abläuft.
Wenn Regierungen auf Widerstand stoßen, können sie Kompromisse eingehen oder Zugeständnisse machen, um ihre Maßnahmen akzeptabler zu machen und den Widerstand zu verringern. Indem sie die Anführer des Widerstands einbeziehen oder bestimmte Forderungen in ihre Programme aufnehmen, können Regierungen den Widerstand nicht nur abschwächen, sondern ihn auch in ihre eigene Strategie integrieren.
Durch bestimmte Diskurse können Regierungen ihre Maßnahmen als notwendig oder vorteilhaft darstellen, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen. Gleichzeitig können sie Widerstandsbewegungen als illegitim, irrational oder gefährlich darstellen, um deren Einfluss zu mindern.
Moderne Technologien wie Big Data, Künstliche Intelligenz (KI) und Maschinelles Lernen (ML) bieten Regierungen neue Möglichkeiten, Widerstand zu überwachen und zu analysieren. Durch die Datenanalyse können sie potenzielle Widerstandsbewegungen frühzeitig erkennen und entsprechend reagieren. Mithilfe prädiktiver Modelle können Regierungen mögliche Widerstandsmuster vorhersagen und proaktive Maßnahmen ergreifen.
Widerstand und Gegenmacht wirken als Feedback-Mechanismen innerhalb der Machtstrukturen. Sie zeigen Regierungen und Institutionen, wo Spannungen und Unzufriedenheiten bestehen, und können zu Anpassungen in den Regierungsstrategien führen. Wiederholter und bedeutender Widerstand kann Regierungen zwingen, politische Reformen durchzuführen oder bestehende Maßnahmen zu überdenken. Widerstandsbewegungen können wichtige öffentliche Debatten anstoßen, die zur Bildung neuer Normen und Werte beitragen, welche dann in die Regierungsstrategien einfließen.
Die ständige Interaktion zwischen Macht und Widerstand kann zur Entstehung neuer Machtverhältnisse sowie zur Weiterentwicklung und Veränderung der Regierungspraktiken und -technologien führen.
1.7. Fazit
Indem man Foucaults Idee der Gouvernementalität genauer betrachtet, kann man besser verstehen, wie Macht in einer Gesellschaft funktioniert und wie sie die Regierungsstrukturen beeinflusst. Das hilft dabei, die komplizierten und vielfältigen Mechanismen der Regierungsführung zu erkennen und genauer zu untersuchen.
Während die Gouvernementalität die theoretischen Aspekte der Macht in einer Gesellschaft analysiert, betrifft Governance die konkreten Methoden und Prozesse, die diese Macht in der Praxis anwenden und verwalten. Smart Governance ist eine Fortentwicklung von Governance, die moderne Technologien und digitale Möglichkeiten nutzt, um den aktuellen Anforderungen gerecht zu werden.
2. Corona-Krise: Governance und Biopolitik im Ausnahmezustand
Globale Krisen stellen Regierungen oft vor enorme Herausforderungen, die eine schnelle und gut koordinierte Reaktion erfordern. In solchen Situationen wird die Bedeutung von Smart Governance besonders deutlich.
Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Corona-Pandemie. Die Analyse der politischen Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 bietet ein konkretes Beispiel, wie Smart Governance-Prinzipien angewendet werden. Dabei werden die theoretischen Aspekte der Gouvernementalität in die Praxis umgesetzt und validiert.
Biopolitik verwaltet und reguliert das Leben der gesamten Bevölkerung in all seinen Aspekten. Deshalb wird Krankheit nicht mehr als ein individuelles Problem gesehen, sondern als eine Herausforderung für die Gemeinschaft. Beim Umgang mit dem Coronavirus geht es weniger um die Behandlung einzelner Personen, sondern um die Regulierung der gesamten Bevölkerung.
[Foucault II: Der Virus und die Biopolitik/-macht]
Dabei gilt es, Informationen und Statistiken zu erheben und zu zentralisieren, Relationen und Gefahrenabschätzungen zu definieren und daraus biopolitische Regelungen abzuleiten, so z. B. Hygienemaßnahmen, Quarantänemaßnahmen, Vorsorgeuntersuchungen, Medikation usw. Die Regelungen für den Einzelnen ergeben sich aus diesen umfassenderen Maßnahmen, die wissenschaftlich durch Experten, Wissenschaftler und Fachleute begründet werden. Sie stellen die Normen dar, an der sich jedes Individuum zu messen hat, um als integraler Bestandteil der Bevölkerung akzeptiert zu werden.
[Über die (Un)Möglichkeiten einer demokratischen Biopolitik]
Die biopolitische Fürsorge folgt einer Solidaritätsdoktrin. Dabei konzentriert man sich auf das Narrativ, dass die (hygienische oder biopsychosoziale) Sorge um den Anderen auch die eigene Sicherheit erhöht und das eigene Leben sowie das der gesamten Menschheit verbessert. Aus der Sicht des Individuums erscheint diese Regierungstechnologie „wie ein guter Hirte“, dessen Aufgabe es ist, „über die man wacht, Gutes zu tun“.
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 217]
Mit diesem Hintergrundwissen betrachten wir nun die historische Fernsehansprache der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am 18. März 2020 stattfand. In dieser Ansprache wandte sich Merkel an die deutsche Bevölkerung, um über die ernste Lage der COVID-19-Pandemie zu sprechen und die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung des Virus vorzustellen.
Die Rede der Bundeskanzlerin Angela Merkel kann als Lehrbuchbeispiel dienen, wie Dispositive der Macht, die Verknüpfung von Wissen und Macht sowie Biopolitik in der Praxis ineinandergreifen:
„Millionen von Ihnen können nicht zur Arbeit, Ihre Kinder können nicht zur Schule oder in die Kita, Theater und Kinos und Geschäfte sind geschlossen, und, was vielleicht das Schwerste ist: uns allen fehlen die Begegnungen, die sonst selbstverständlich sind. Natürlich ist jeder von uns in solch einer Situation voller Fragen und voller Sorgen, wie es weitergeht.“
„Ich wende mich heute auf diesem ungewöhnlichen Weg an Sie, weil ich Ihnen sagen will, was mich als Bundeskanzlerin und alle meine Kollegen in der Bundesregierung in dieser Situation leitet. Das gehört zu einer offenen Demokratie: dass wir die politischen Entscheidungen auch transparent machen und erläutern. Dass wir unser Handeln möglichst gut begründen und kommunizieren, damit es nachvollziehbar wird.“
„Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.“
„Ich möchte Ihnen erklären, wo wir aktuell stehen in der Epidemie, was die Bundesregierung und die staatlichen Ebenen tun, um alle in unserer Gemeinschaft zu schützen und den ökonomischen, sozialen, kulturellen Schaden zu begrenzen. Aber ich möchte Ihnen auch vermitteln, warum es Sie dafür braucht, und was jeder und jede Einzelne dazu beitragen kann.“
„Zur Epidemie – und alles was ich Ihnen dazu sage, kommt aus den ständigen Beratungen der Bundesregierung mit den Experten des Robert-Koch-Instituts und anderen Wissenschaftlern und Virologen: Es wird weltweit unter Hochdruck geforscht, aber noch gibt es weder eine Therapie gegen das Coronavirus noch einen Impfstoff.“
„Aber alles, was Menschen gefährden könnte, alles, was dem Einzelnen, aber auch der Gemeinschaft schaden könnte, das müssen wir jetzt reduzieren.“
„Jetzt zu dem, was mir heute das Dringendste ist: Alle staatlichen Maßnahmen gingen ins Leere, wenn wir nicht das wirksamste Mittel gegen die zu schnelle Ausbreitung des Virus einsetzen würden: Und das sind wir selbst. So wie unterschiedslos jeder von uns von dem Virus betroffen sein kann, so muss jetzt auch jede und jeder helfen. Zuallererst, indem wir ernst nehmen, worum es heute geht. Nicht in Panik verfallen, aber auch nicht einen Moment denken, auf ihn oder sie komme es doch nicht wirklich an. Niemand ist verzichtbar. Alle zählen, es braucht unser aller Anstrengung.“
„Der Rat der Virologen ist ja eindeutig: Kein Handschlag mehr, gründlich und oft die Hände waschen, mindestens eineinhalb Meter Abstand zum Nächsten und am besten kaum noch Kontakte zu den ganz Alten, weil sie eben besonders gefährdet sind.“
„Ich weiß, wie schwer das ist, was da von uns verlangt wird. Wir möchten, gerade in Zeiten der Not, einander nah sein. Wir kennen Zuwendung als körperliche Nähe oder Berührung. Doch im Augenblick ist leider das Gegenteil richtig. Und das müssen wirklich alle begreifen: Im Moment ist nur Abstand Ausdruck von Fürsorge.“
„Wer unnötige Begegnungen vermeidet, hilft allen, die sich in den Krankenhäusern um täglich mehr Fälle kümmern müssen. So retten wir Leben. Das wird für viele schwer, und auch darauf wird es ankommen: niemanden allein zu lassen, sich um die zu kümmern, die Zuspruch und Zuversicht brauchen. Wir werden als Familien und als Gesellschaft andere Formen finden, einander beizustehen.“
„Dies ist eine dynamische Situation, und wir werden in ihr lernfähig bleiben, um jederzeit umdenken und mit anderen Instrumenten reagieren zu können. Auch das werden wir dann erklären.“
„Deswegen bitte ich Sie: Glauben Sie keinen Gerüchten, sondern nur den offiziellen Mitteilungen, die wir immer auch in viele Sprachen übersetzen lassen.“
„Wir sind eine Demokratie. Wir leben nicht von Zwang, sondern von geteiltem Wissen und Mitwirkung. Dies ist eine historische Aufgabe und sie ist nur gemeinsam zu bewältigen.“ „Das heißt: Es wird nicht nur, aber auch, davon abhängen, wie diszipliniert jeder und jede die Regeln befolgt und umsetzt.“
Der Aufruf, den wissenschaftlich begründeten offiziellen Mitteilungen zu folgen und nicht auf Gerüchte zu hören, zeigt, dass man bei der Umsetzung der Solidaritätsdoktrin auch mit Widerstand rechnet. Merkels Rede verdeutlicht, wie die Regierung versucht, potenziellen Widerstand und die Verbreitung von Desinformation zu bekämpfen, indem sie die Kontrolle über den Informationsfluss übernimmt und das Vertrauen in offizielle Kanäle stärkt.
Die letzten zwei zitierten Absätze aktivieren die sozialen Kontrollmechanismen zur Ausübung von Disziplinarmacht in demokratischen Gesellschaften. Die in der Rede neu definierte soziale Norm, kombiniert mit moralischen Erwartungen und dem Druck durch Gleichaltrige (Peer-Druck), soll das Verhalten der Menschen beeinflussen und regulieren.
In den darauffolgenden Monaten werden die sogenannten AHA+A-Regeln nahtlos durch die 3G-Regeln ergänzt.


Als Ergebnis erhält man eine „Hierarchie“ von Individuen mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Der eine entspricht einer bestimmten Norm, der andere weicht davon ab. Den einen kann man bessern, den anderen nicht. Den einen kann man mit einem bestimmten Mittel bessern, beim anderen muss man andere Mittel einsetzen. Diese Einordnung der Individuen nach dem Grad ihrer Normalität ist eines der großen Machtinstrumente der heutigen Gesellschaft.
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 218]
Daraus ergeben sich zwei komplementäre biopolitische Maßnahmen:
a) die Förderung derjenigen, die als förderungswürdig gelten,
b) die Ausgrenzung derjenigen, die als nicht förderungswürdig angesehen werden.
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 223]
Während einer Extremsituation wie einer Pandemie treten zwei wesentliche biopolitische Regierungstechniken in den Vordergrund:
a) „biopolitische Fürsorge im Rahmen einer Solidaritätsdoktrin“
b) „Staatsrassismus“
Der „Staatsrassismus“ konzentriert sich auf die Beseitigung biologischer Gefahren, um die Bevölkerung zu stärken. Die implizite Logik besagt: Je mehr Individuen, die nicht der festgelegten Norm (in diesem Fall, geimpft zu sein) entsprechen, eliminiert werden, desto weniger Degenerierte gibt es in der Bevölkerung. Dadurch wird die gesamte Menschheit besser, stärker und widerstandsfähiger.
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 224]
Vor diesem Hintergrund erscheinen die unten aufgeführten Schlagzeilen in einem anderen Licht.
„Corona-Impfung ist eine Christen-Pflicht“
Manfred Lütz, Arzt und Theologe
„Der einfachste Weg ist, sich impfen zu lassen. Auch der gesündeste. Ich möchte schon alleine deshalb keine Impfpassfälscher als Mitarbeiter haben, weil ich nicht so gerne Spinner beschäftige. Wer weiß, an welchen Blödsinn die sonst noch alles glauben.”
Jürgen Kaube, Herausgeber FAZ, Journalist
„Impfgegner sind Staatsfeinde”
Udo Knapp, Politologe und Redakteur taz
„Coronaleugnerinnen und Coronaleugner müssten konsequent dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden”
Georg Maier (SPD), Thüringens Innenminister
„Kassenärzte fordern Ausschluss Ungeimpfter von Ärzten und Psychotherapie”
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg
„Der Zutritt in den Laden [Lebensmittelausgabe für Bedürftige] ist nur für nachweislich geimpfte oder genesene Personen (2G) erlaubt”
Tante Emma Rodgau e.V., Lebensmittelausgabe für Bedürftige
Es handelt sich nicht um zufällige und voneinander unabhängige Ereignisse, die auf inkompetente oder korrupte Individuen zurückzuführen sind. Vielmehr folgt dieses Szenario einem systematischen Plan, der wie nach einem Lehrbuch abläuft.
Unter diesen Bedingungen wird Moral gewissermaßen rechtlich verankert und folglich vom Staat übernommen. Das Recht verliert dabei seine rationale Grundlage und wird stattdessen auf Werthaltungen begründet. Man urteilt im Namen einer „Solidarität“.
In seinem Werk Geburt schreibt Foucault: „Mit einer Hand muss die Freiheit hergestellt werden, aber dieselbe Handlung impliziert, dass man mit der Anderen Einschränkungen, Kontrollen, Zwänge, auf Drohungen gestützte Verpflichtungen usw. einführt“.
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 231-232]
Die Governance im 20. und 21. Jahrhundert agiert zwischen zwei gegensätzlichen Polen: Auf der einen Seite stehen die dominierenden Machttechniken des Vorsorgestaates, auf der anderen Seite die passiven Machttechniken des Liberalismus. „Markt und Plan, unsichtbare oder sichtbare Hand, zentrale Steuerung oder Selbstorganisation“ – zwischen diesen Polen lassen sich die Versuche der Governance verorten, das menschliche Leben ökonomisch zu regieren.
In der Vor-Corona-Zeit lenkte die Governance die liberale westliche Gesellschaft weitestgehend diskret und mit „unsichtbarer“ Hand. Die Regulierungsmechanismen (Normen) waren vorwiegend auf Selbstorganisation ausgerichtet. Der größte Teil der Bevölkerung galt im Sinne der Governance als „normal“ und „förderungswürdig“. Man fühlte sich wohl in der „Wohlfühlgesellschaft“ und genoss die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Es sind dieselben Strukturen, Prozesse und Mechanismen, die die weltweite Pandemie ausriefen und in diesem Zusammenhang dominierende Machttechniken mehr oder weniger über Nacht zum Einsatz brachten. Die Regulierungsmechanismen (Normen) wurden um 180 Grad gedreht, und der Vorsorgestaat rückte in den Vordergrund. So wurde aus der Demokratie über Nacht eine „Demokratur“. Die Mehrheit der Bevölkerung passte sich den neuen Regulierungsnormen (The New Normal) an und galt nach wie vor als „normal“ und „förderungswürdig“.
Jedoch hatte eine nicht zu vernachlässigende Minderheit aus unterschiedlichen Gründen zunehmend Probleme, die neuen Normen zu befolgen, und wurde im Sinne der Governance als „nicht förderungswürdig“ betrachtet. Diese Gruppe der Bevölkerung erfuhr gesellschaftliche Ausgrenzung und begann langsam, die Situation zu hinterfragen. Der Widerstand formierte sich.
Mit dieser biopolitischen Denklogik wird verständlich, wie Politiker, die jahrzehntelang überzeugte Verfechter der Demokratie waren, plötzlich zu fanatischen Unterstützern freiheitsraubender Maßnahmen „ohne rote Linien“ werden konnten. Dies erklärt auch die tiefe Spaltung in der Gesellschaft, die sogar Familien, Freundes- und Bekanntenkreise betrifft.
Nachdem sich die Regulierungsnormen im Verlauf des Jahres 2023 im Zusammenhang mit der Pandemie verschoben hatten, wurden diejenigen, die zuvor ausgeschlossen waren, wieder als „normal“ eingestuft. Biopolitisch gesehen wechselt diese Gruppe vom „Ausgrenzungsmodus“ zum „Inklusionsmodus“. Es fühlt sich an, als würden verlorene Freiheiten und Rechte zurückkehren. Man hat das Gefühl, dass sich der Widerstand gelohnt hat und man seinen Platz in der Gesellschaft würdevoll zurückgewinnen kann. Um sicherzustellen, dass sich eine ähnliche Situation nie wiederholt, beginnt man, die Corona-Pandemie aufzuarbeiten, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Dabei verdienen die so genannten RKI-Files besondere Aufmerksamkeit. Der Begriff „RKI-Files“ bezieht sich auf eine Sammlung von rund 2000 Seiten interner Protokolle des Corona-Krisenstabs des Robert Koch-Instituts (RKI), die durch eine gerichtliche Anordnung veröffentlicht wurden. Diese Dokumente enthalten detaillierte Aufzeichnungen über die Sitzungen und Entscheidungen, die während der Corona-Pandemie getroffen wurden. Sie helfen, die Maßnahmen und Reaktionen während der Pandemie zu verstehen und bieten eine Grundlage für die Aufarbeitung und Analyse der getroffenen Entscheidungen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Einerseits illustrieren diese Akten die Verknüpfung von Wissen und Macht als essentieller Aspekt der Gouvernementalität und zeigen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse und politische Entscheidungen miteinander verflochten waren. Andererseits hat die Veröffentlichung dieser Protokolle für Aufsehen gesorgt, da sie deutlich zeigen, dass viele der Corona-Maßnahmen politisch und nicht wissenschaftlich motiviert waren.
Zu den besonders kritisierten Maßnahmen gehören die Lockdowns und die Maskenpflicht. Es wurde aufgedeckt, dass das Robert-Koch-Institut (RKI) bereits wusste, dass Lockdowns und Maskenpflicht mehr Schaden als Nutzen bringen und es keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz für eine generelle Maskenpflicht gab. Es wurde anerkannt, dass die Wirksamkeit dieser Maßnahmen überschätzt oder falsch dargestellt wurde. Die Dokumente legen nahe, dass Entscheidungen von politischen Agenden beeinflusst wurden anstatt rein wissenschaftlichen Bewertungen zu folgen. [What do the RKI-Files really show?]
Die Unterlagen zeigen, dass bereits im Februar 2021 Gesundheitsbehörden wussten, dass Impfungen im Gegensatz zu öffentlichen Aussagen zu dieser Zeit keine Infektionen verhindern. Der vorherrschende Narrativ legte nahe, dass Impfungen vor schwerer Erkrankung und Übertragung schützen würden, was sich später als fehlerhafte Annahme herausstellte. Trotz Kenntnis dieser Einschränkungen setzte die politische Erzählung weiterhin auf eine breite Impfkampagne mit Versprechungen umfassenden Schutzes.
Es gab weiterhin Bedenken hinsichtlich der Nebenwirkungen und langfristigen Risiken der Impfstoffe, die nicht vollständig an die Öffentlichkeit kommuniziert wurden. Die Unterlagen weisen darauf hin, dass die potenziellen Risiken heruntergespielt wurden und der Schwerpunkt auf der Impfung als Hauptinstrument zur Bewältigung der Pandemie lag, ohne ausreichende Transparenz über mögliche negative Auswirkungen.
Aus bisherigen Erfahrungen zu lernen und zukünftige Maßnahmen zu optimieren, ist ein zentrales Prinzip der Governance. Es zeigt die Bereitschaft, auf Kritik einzugehen, Prozesse zu hinterfragen und anzupassen. Dies stärkt nicht nur die Legitimität und das Vertrauen in staatliche Institutionen, sondern erhöht auch die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft gegenüber künftigen Krisen. Dies steht im Einklang mit Michel Foucaults Auffassung, dass Macht und Widerstand untrennbar miteinander verbunden sind.
Die Entscheidung der Gerichte, die Veröffentlichung der ungeschwärzten RKI-Akten zuzulassen, kann als Schritt zu mehr Transparenz gesehen werden, möglicherweise beeinflusst durch öffentlichen Druck und die Notwendigkeit, Skepsis und Misstrauen zu begegnen. Falls jedoch keine politischen, personellen und rechtlichen Konsequenzen folgen, könnte dies als Versuch gewertet werden, die bestehenden Machtverhältnisse zu stabilisieren. Durch Transparenz ohne echte Veränderungen wird der Widerstand kanalisiert und die bestehende Ordnung legitimiert.
Gleichzeitig könnte dies als Strategie betrachtet werden, den Widerstand zu neutralisieren, indem man ihn scheinbar ernst nimmt, jedoch seine Wirksamkeit untergräbt. Dies kann zu einer Resignation in bestimmten Bevölkerungsgruppen führen, da der Eindruck entsteht, dass Widerstand zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht wirklich berücksichtigt wird.
Bisherige Reaktionen von Medien wie dem ZDF, der Tagesschau oder Die WELT deuten darauf hin, dass primär versucht wird, Kritik und Widerstand zu kanalisieren und zu kontrollieren, indem Transparenz signalisiert wird, ohne jedoch substantielle Konsequenzen folgen zu lassen. Diese Vorgehensweise könnte als Taktik gesehen werden, das Vertrauen in die Governance zu bewahren, während die tatsächlichen Machtstrukturen unangetastet bleiben.
Inwieweit der Umgang der Governance-Strukturen mit „Widerstand und Gegenmacht“ zu einer Änderung des Status Quo führen wird, wird die nahe Zukunft zeigen.
Fazit:
Die Analyse der Ereignisse während der Corona-Pandemie stellt einen Governance-Crashkurs dar, der alle Facetten der Gouvernementalität umfasst – von der Verbindung von Wissen und Macht über Macht-Dispositive und Biopolitik bis hin zur Disziplinarmacht und dem Umgang mit Widerstand und Gegenmacht.
Die Pandemie hat auch verdeutlicht, wie entscheidend und vorteilhaft digitale Technologien für effektive Regierungsführung in Krisensituationen sind. Sie fungierte als Katalysator, indem sie die Einführung und Anwendung von Smart-Governance-Praktiken beschleunigte. Aus diesem Grund kann die Pandemie als Schlüsselmoment verstanden werden, der die Entwicklung und Umsetzung von Smart Governance weltweit vorangetrieben hat.
3. One-Health-Ansatz – Prävention durch kontinuierliche Governance
Während die Debatten rund um die RKI-Files noch andauern, bahnt sich langsam das nächste Krisenereignis aus der Rubrik „Disease X“ an – die Vogelgrippe, die einen zoonotischen Hintergrund hat und von der WHO als Krankheit mit „Pandemiepotential“ eingestuft wird.
Und dies bringt den sogenannten One-Health-Ansatz der WHO auf die Tagesordnung.
Der WHO One-Health-Ansatz, der die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt als untrennbar miteinander verbunden betrachtet, hat weitreichende Auswirkungen auf die Governance. Dieser Ansatz verändert die Art und Weise, wie Regierungen, Organisationen und Institutionen Gesundheitsfragen angehen und darauf reagieren.

Im Vergleich zu den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ist der One-Health-Ansatz viel breiter ausgelegt. Er setzt intersektorale Zusammenarbeit sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene voraus und erfordert koordinierte Governance-Strukturen aus den Bereichen Gesundheitswesen, Veterinärwesen, Landwirtschaft, Nahrungsmittelproduktion, Umwelt u.a., die es ermöglichen, dass verschiedene Behörden und Organisationen effektiv zusammenarbeiten. Durch die Globalisierung der Governance-Strukturen muss sichergestellt werden, dass internationale Richtlinien und Standards harmonisiert und effektiv umgesetzt werden.
Die Wissensbasis für die Definition von politischen Entscheidungen und Maßnahmen wird wesentlich komplexer und umfasst die Integration von Wissen und Methoden aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen (Epidemiologie, Tiermedizin, Agrar-, Lebensmittel-, Ernährungs-, Sozialwissenschaften u.a.).
Die Integration von Umweltgesundheit in Gesundheitsstrategien erfordert vonder Governance, dass die ökologische Nachhaltigkeit zu einem zentralen Bestandteil der Gesundheitsstrategien wird.
Der Fokus liegt auf Prävention statt Reaktion. Dies verändert die Governance, indem Ressourcen und Strategien stärker auf Prävention und Frühwarnsysteme ausgerichtet werden. Dies beinhaltet die Überwachung von Tier- und Umweltgesundheit sowie die Implementierung von Frühwarnsystemen in diesen Sektoren, um potenzielle Gesundheitsrisiken für Menschen frühzeitig zu identifizieren.
Für die Umsetzung des One-Health-Ansatzes sind die Anpassung und Entwicklung neuer regulatorischer Rahmenbedingungen erforderlich, die die Schnittstellen zwischen menschlicher, tierischer und ökologischer Gesundheit berücksichtigen. Regierungen müssen neue Gesetze und Vorschriften erlassen, die diese integrativen Gesundheitsansätze unterstützen und sicherstellen, dass alle relevanten Sektoren effektiv zusammenarbeiten.
Der One-Health-Ansatz wird stärker auf Smart Governance setzen als die Corona-Politik. Dies liegt daran, dass er eine umfassende, präventive und intersektorale Herangehensweise benötigt. Schlüsselkomponenten sind die kontinuierliche Sammlung und Analyse von Daten, die Integration verschiedener Governance-Strukturen sowie der Einsatz moderner Technologien zur Überwachung und Prävention. Diese Aspekte sind im One-Health-Ansatz besonders wichtig, da er von einer reaktiven Krisenreaktion zu einem stärker integrierten und präventiven Governance-Modell übergeht.
Der One-Health-Ansatz bietet dadurch eine erweiterte Perspektive und umfassende Werkzeuge für politische Entscheidungsträger, um auf Gesundheitskrisen (Mensch/Tier/Umwelt) zu reagieren und gegebenenfalls Notstandsmaßnahmen zu ergreifen. Durch die Betonung präventiver Maßnahmen, koordinierter Reaktionen und internationaler Zusammenarbeit trägt der Ansatz dazu bei, die Resilienz gegenüber Gesundheitsrisiken zu stärken und die Auswirkungen von Krisen auf die Gesellschaft zu minimieren.
Fazit:
„Gefährliche Epidemien oder Pandemien besitzen folglich das Potential“, die biopolitische Transformation der Gesellschaft und „die von Foucault beschriebene Gouvernementalisierung des modernen Staates zu intensivieren, indem Maßnahmen gesetzt werden, die über infektionsepidemiologisch indizierte Schutzmaßnahmen mit dem Ziel der Eindämmung der epidemischen Krankheitsverbreitung klar hinausgehen“.
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 233]
In seinen Arbeiten betont Foucault, dass „die Machttransformationen, die sich z. B. in Extremsituationen“ wie Seuchen oder Pandemien „entwickeln und verfestigten, nicht als Ausnahmefälle“ zu betrachten sind, „sondern als die Geburten und In-Kraft-Setzungen neuer allgemeingültiger und auch nach der Seuche weiter geltender Verhältnisse“. Es geht um das Entstehen und Verfestigen der neuen Machtparadigma und dessen Normalisierung.
[Foucault: In der Seuche die Disziplinarmacht]
Der One-Health-Ansatz kann als eine Evolution des Krisenmanagements gesehen werden, die durch ihre umfassende, präventive und technologiegestützte Natur die Grundlage für die Legitimierung und den dauerhaften Einsatz von Smart Governance bildet.
4. Die technologischen Eckpfeiler der Smart Governance
Auf der Suche nach einer einfachen Erklärung der grundlegenden Instrumente der Smart Governance stoßen wir unweigerlich auf eine Äußerung von Nandan Nilekani, CEO von Infosys Technologies:
„Was sind die Werkzeuge der neuen Welt? Jeder sollte einen digitalen Ausweis haben; jeder sollte ein Bankkonto haben; jeder sollte ein Smartphone haben. Dann kann man alles machen. Alles andere baut darauf auf.“
Nandan Nilekani
Es lohnt sich, die einzelnen Elemente seiner Aussage genauer zu betrachten.
4.1. Die Europäische Digitale ID
Im Februar 2024 hat das Europäische Parlament mit großer Mehrheit die eIDAS-Reform (electronic IDentification, Authentication, and trust Services) verabschiedet. Bis Herbst 2026 müssen alle EU-Mitgliedstaaten ihren Bürgern eine „European Digital Identity Wallet“ (ID-Wallet) anbieten. Diese Wallet ermöglicht es, sich sowohl online als auch offline in fast allen Lebensbereichen auszuweisen. Die EU-Kommission strebt an, dass bis 2030 mindestens 80 Prozent der EU-Bürger eine digitale Identität nutzen.
Ein Werbefilm des Europäischen Parlaments erklärt, dass die EU ID-Wallet wichtige Informationen wie amtliche Ausweise, Dokumente und Bankdaten sicher an einem Ort speichert. Die digitale Brieftasche der EU soll den Zugang zu öffentlichen und privaten Dienstleistungen in ganz Europa einfacher und effizienter machen. Die Nutzung der Wallet ist freiwillig und kostenfrei. Bürger, die sich gegen die digitale Brieftasche entscheiden, sollen keine Nachteile haben. Nutzer der Wallet können genau bestimmen, welche Daten an „vertrauenswürdige Parteien“ weitergegeben werden. Diese Parteien, wie Unternehmen oder öffentliche Einrichtungen, müssen sich in den EU-Mitgliedstaaten registrieren und angeben, welche Daten sie zu welchem Zweck anfordern.
Nach dem Motto „Traue keinem Politiker“ ist es sinnvoll, sich über die konkrete technologische Umsetzung der digitalen Identität zu informieren. Dabei stößt man schnell auf den französischen High-Tech-Konzern THALES, der weltweit eine Schlüsselrolle bei vielen staatlichen Digitalprojekten auf Regierungsebene spielt.
Die THALES Group mit Sitz in Paris ist ein börsennotierter Konzern, der sich auf folgende Geschäftsbereiche spezialisiert hat: Rüstungsindustrie, Luft- und Raumfahrttechnik sowie Digitale Identität und Sicherheit. Im Bereich Digitale Identität und Sicherheit verfügt THALES über Kernkompetenzen in den Technologiesegmenten Biometrie, Datensicherheit und Verschlüsselung.
Bis 2025 laufen mehrere große Pilotprojekte, um die EU-Brieftasche für digitale Identität zu testen und ihre sichere und reibungslose Einführung zu gewährleisten. An diesen Projekten sind etwa 360 Einrichtungen beteiligt, darunter private Unternehmen und Behörden aus 26 Mitgliedstaaten sowie Norwegen, Island und der Ukraine. Jedes Pilotprojekt ist als Konsortium organisiert und vereint Fachwissen aus dem öffentlichen und privaten Sektor innerhalb der EU. Die Pilotprojekte testen die EU-Brieftasche in verschiedenen Alltagsszenarien, denen Europäer täglich begegnen. Sie sammeln auch Feedback zur Referenzimplementierung der Wallet. Die gewonnenen Erkenntnisse werden genutzt, um die Sicherheit, Interoperabilität und das Gesamtdesign der EU-Brieftasche für digitale Identität zu verbessern.
Unter dem Link eIDAS 2: the countdown to a single European Digital ID Wallet has begun (eIDAS 2: Der Countdown für eine einheitliche europäische digitale ID-Geldbörse hat begonnen) lesen wir:
„Hier bei Thales sind wir ideal positioniert, um die Hauptakteure zu unterstützen, die für die Verwirklichung der EUDI-Wallet verantwortlich sind. Als weltweit führendes Unternehmen für vertrauenswürdige digitale Identitätssysteme haben unsere Teams seit der ersten Version von eIDAS im Jahr 2014 mit Regierungen, öffentlichen Diensten und Unternehmen zusammengearbeitet.
Daher verfügen wir über eine Reihe von bewährten, eIDAS-zertifizierten Lösungen. Jetzt arbeiten wir mit Dutzenden von Kunden in ganz Europa zusammen und helfen ihnen bei der Vorbereitung auf eIDAS 2.
Mit unserer Technologie und unserem Fachwissen unterstützen wir die EU und ihre Mitgliedstaaten, beschleunigen die Einführung und Annahme der Brieftasche und tragen dazu bei, Millionen von EU-Bürgern mehr Komfort und Sicherheit zu bieten.“
In diesem Werbevideo wird kurz und prägnant erklärt, wie die praktische Funktionsweise der eIDAS-zertifizierten „Digital ID-Wallet“-Systemlösung von THALES aussieht.
Was will uns diese Werbung subtil übermitteln?
Wir lernen die junge attraktive Frau mit dem Namen Lucy kennen. Der Name Lucy wird oft mit dem gleichnamigen Action- und Science-Fiction-Film aus dem Jahr 2014 in Verbindung gebracht. In dieser erfundenen Geschichte erhöht die 25-jährige Studentin Lucy ihre Gehirnleistung durch eine hohe Dosis einer Droge drastisch und beginnt, einen immer größeren Teil ihrer „Gehirnkapazität“ zu nutzen. Als sie schließlich 100 % erreicht, verschmilzt ihr Körper mit sämtlichen Geräten eines wissenschaftlichen Labors zu einem fortschrittlichen Supercomputer. Durch eine Zeitreise gelangt Lucy bis zu den Anfängen des Universums und trifft dabei auf ihre Namensvetterin Lucy, die vor etwa 3,2 Millionen Jahren lebte und in der menschlichen Evolution oft als Bindeglied zwischen Affe und Mensch betrachtet wird.
Die Wahl dieses Namens soll die Zuschauer ansprechen, indem sie die Vorstellung erweiterter Fähigkeiten sowie transformative und bahnbrechende Eigenschaften hervorruft. So wird die Einzigartigkeit und der innovative Charakter des beworbenen Produkts betont, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Lucy ist außerdem Psychologiestudentin. Psychologie, auch als Seelenkunde bekannt, ist eine empirische Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, menschliches Erleben und Verhalten zu beschreiben und zu erklären. Psychologen untersuchen das Erleben, Verhalten und Bewusstsein von Menschen. Dadurch möchte man dem Zuschauer nahelegen, dass diese „evolutionäre“ Technologie vertrauenswürdig ist.
Die Digitale Brieftasche übermittelt gleich zu Beginn ein klares Statement:
„Tatsächlich bin ich eine praktische Möglichkeit, ihre Identität sowohl online als auch Angesicht zu Angesicht nachzuweisen als auch zu schützen. Schauen wir uns genauer an, was ich tun kann. Ich kann Regierungen helfen, jetzt besser mit den Bürgern zu kommunizieren. Gerade jetzt erinnere ich Lucy an den Termin, den sie für ihre obligatorische Impfung vereinbaren muss.“
Das Individuum wird schnell und persönlich mit einer klassischen biopolitischen Maßnahme konfrontiert und diskret daran erinnert, sich an die vorgegebenen Normen zu halten. Die Aufgabe eines pflichtbewussten Bürgers ist es, diese Normen bestmöglich zu befolgen, abnormales Verhalten zu korrigieren und idealerweise ganz zu vermeiden.
Mit anderen Worten, das Digitale ID-Wallet zeigt, dass es ein effizientes und kostengünstiges Werkzeug für die Regierung ist, um uns zeitnah über Regulierungsmechanismen (Normen) zu informieren und uns an deren Einhaltung zu erinnern. Ein Beispiel dafür ist die Pflichtimpfung. Das setzt natürlich voraus, dass die Regierung genau über unsere elektronischen Patientenakten informiert ist. Dies wird demnächst durch das sogenannte Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG) sichergestellt.
Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach fasst den Gesetzentwurf in seinem X-Beitrag wie folgt zusammen:

Der Werbefilm von THALES veranschaulichte bereits im Jahr 2020 den Zusammenhang zwischen dem Digitalen ID-Wallet und der elektronischen Patientenakte beim Arztbesuch. Dies scheint wegweisend für einige Regierungsmaßnahmen im Jahr 2024 zu sein.
Die digitale Brieftasche steuert auch die Kommunikation mit allen staatlichen Behörden und ermöglicht den Zugang zu Finanz- und Mobilitätsdienstleistungen. Der Digital ID-Wallet wird nicht nur für den Zugang zum Staatsexamen genutzt, sondern auch für den Zutritt zur Kneipe.
„Ja, ich bin Lucys bester Begleiter. Ich beschütze Ihre Identität und amtliche Legitimation, wo immer sie ist. Ich garantiere den sicheren Zugang zu öffentlichen und privaten Dienstleistungen. Ich erlaube den richtigen Zugang zu den richtigen Daten an die richtige Person. Auch Regierungen vertrauen mir bei der Unterstützung der digitalen Transformation deren Länder.“
Für den Zuschauer erscheint das Digitale ID-Wallet als die digitale Form des „’guten Hirten‘, deren Aufgabe es ist, ‚über die man wacht, Gutes zu tun’“.
In Kombination mit der Europäischen Digitalen Identität verwandelt sich das Smartphone in ein spezifisches, technisches Instrument, um Regierungstechniken zur Überwachung und Lenkung sowohl von Kollektiven als auch von einzelnen Individuen umzusetzen. Diese Umsetzung hat zwei Dimensionen:
a) politische Dimension
Definierte Sicherheits- und Vorkehrungsregeln wirken dabei als Kontrollmechanismus der Bevölkerung, um Gefahren zu erkennen und so weitreichend wie möglich auf die Handlungsweisen der Bevölkerung und freien (kollektiven) Subjekte zu wirken (z. B. wird neben Pandemien der Klimawandel zunehmend als Gefahrensituation definiert).
b) unternehmerisch-wirtschaftliche Dimension
Das Smartphone ist zu einem alltäglichen Begleiter geworden und generiert dabei unzählige Daten. Unternehmen nutzen diese Daten, um Aspekte wie Kaufverhalten und Lebensgewohnheiten zu prognostizieren. Sie setzen umfassende Maßnahmen ein, um sowohl auf das Leben der Bevölkerung als auch auf das von Subjekten Einfluss zu nehmen.
Die politische Dimension der Überwachung und Kontrolle ist ’sichtbar‘. Meistens erfolgt sie auf die „harte Go-NoGo“ Weise. Bei fehlender Kompatibilität mit den vorgegebenen Normen folgen unmittelbar Konsequenzen (von Exklusion bis hin zu weitreichenderen Disziplinarmaßnahmen). Grob gesagt, durch die Verwendung des Digital ID-Wallets und dem damit verbundenen Zugriff auf seine biometrischen Merkmale ist man fälschungssicher transparent! Und wenn man den Normen, die vom ‚guten Hirten‘ festgelegt werden, nicht entspricht, könnte man – wenn es Hart-auf-Hart kommt – am Ende ganz nackt dastehen. Bei dem einen oder anderen Kritiker der Corona-Politik der Regierung werden dabei Erinnerungen wach.
Die unternehmerisch-wirtschaftliche Dimension wirkt eher subtil, ‚unsichtbar‘ und diskret. Dadurch werden Ideale und Normen propagiert, wobei die Förderung derjenigen im Vordergrund steht, die diesen Normen entsprechen.
THALES hat auch für diese Dimension das passende Werbevideo mit dem Titel „Vertrauenswürdige digitale Leben“ kreiert.
Die Werbestory suggeriert grenzenlosen Spaß und Bequemlichkeit, wenn man sein Leben digitalisiert. Der Schlüssel zu diesem Paradies ist die digitale Erfassung der biometrischen Daten und deren permanente Verbindung mit dem eigenen Bewegungs- und Verhaltensprofil.
Nach der Logik von Michel Foucault, dem Erfinder der Begriffe ‚Biopolitik‘ und ‚Gouvernementalität‘ ist das Ziel, neben dem Erhalt/Aufbau eines globalen Gleichgewichtszustandes, die Sicherheit des Ganzen und dessen Schutz vor inneren Gefahren. Da die Bevölkerung vielfältig ist, geht es zum einen darum, die Gefahren zu erkennen und zum anderen auch darum, eine Form der Regierung zu finden, die so weitreichend ist, dass sie bis in die verborgensten Winkel der Bevölkerung Wirksamkeit zeigt. „Die Bevölkerung zu führen heißt, ihrer globalen Befunde zu führen; die Bevölkerung zu führen heißt, sie gleichermaßen in der Tiefe, in der Feinheit und im Detail zu führen.“ [The (in)visible ‚friend‘, Seite 31]
Die Etablierung einer Kultur, in der das Smartphone als Erweiterung der eigenen Person genutzt wird, eröffnet völlig neue Möglichkeiten für die Organisation und Steuerung von Gesellschaften. Mit der Einführung der Europäischen Digitalen Identität kann jedes Individuum fälschungssicher identifiziert und in digitalen Systemen adressiert werden. Dadurch wird unser Verhalten auf logisch-mathematische Prozesse reduziert, die auf Grundlage der gewonnenen Daten kontinuierlich optimiert werden.
4.2. Die technologische Selbstführung als Fundament der Smart Governance
„Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen.“
Immanuel Kant (1724 – 1804), deutscher Philosoph
Bereits vor einem Jahrzehnt wurde vorausgesagt, dass die Ära des Personal Computings, repräsentiert durch Desktop-Computer und Laptops, in die Ära des Intimate Computings übergehen würde. Man prophezeite, dass „intime Geräte“, Umgebungen und Netzwerke noch vor 2020 sehr viel über uns wissen werden.
Ein anschauliches Beispiel für diese Entwicklung ist der Humane AI PIN von Humane, einem Start-up-Unternehmen, das von ehemaligen Apple-Mitarbeitern gegründet wurde und mittlerweile Unterstützung von prominenten Investoren wie Sam Altman, Microsoft, Qualcomm Ventures und anderen namhaften Geldgebern erhält.
Dieses innovative Gadget sorgte bereits wenige Tage nach dem Annoncieren in den Medien für Furore weltweit und wird bereits als der nächste „Game Changer“ nach dem Smartphone bezeichnet.
Die Werbung von dem Humane AI PIN wirkt auf dem ersten Blick sehr überzeugend.
Die Ära des Intimate Computings ist inzwischen Realität geworden, wie Imran Chaudhri, CEO von Humane, in seiner visionären Rede „The Disappearing Computer – Der verschwindende Computer“ während der TED-Konferenz im April 2023 erklärte. Es lohnt sich, diese Rede in voller Länge anzusehen.
Halten wir einige der Statements des kalifornischen Visionärs fest:
„In der Zukunft wird die Technologie sowohl ambient (Anm. an der Umgebung angepasst) als auch kontextbezogen (Anm. an der Situation angepasst) sein. Und das bedeutet, dass Sie KI nutzen müssen, um sich selbst und Ihre Umgebung wirklich zu verstehen und so die besten Ergebnisse zu erzielen.“
„Und diesen Kontext gewinnen wir durch maschinelles Lernen. Je häufiger Sie unser KI-gestütztes Gerät nutzen, desto besser können WIR Ihnen in jeder Notsituation helfen. Ihre KI wird effektiv zu einer sich ständig weiterentwickelnden, personalisierten Form des Gedächtnisses. Und WIR finden das großartig.“
„Ihre KI findet in Gedankengeschwindigkeit heraus, was Sie brauchen. Ein Gefühl, das sich mit der Weiterentwicklung der Technologie ständig weiter entwickeln wird. … Wenn die KI voranschreitet, werden WIR sehen, wie sie nahezu jeden Aspekt unseres Lebens verändern wird. Auf eine Weise, die im Moment unvorstellbar erscheint. Tatsächlich geht es Sam Altman von OpenAI so wie uns – KI wird stark unterschätzt. Und ich füge hinzu, solange wir es richtig machen. WIR glauben wirklich, dass WIR gerade erst anfangen, an der Oberfläche dessen zu kratzen, was möglich ist.“
„Humanere, intuitivere Interaktionen, die bildschirmlos, nahtlos und spürbar sind – das ist die Möglichkeit die Mensch-Technik-Beziehung, so wie WIR sie kennen, neu zu denken. Und das ist das Spannende. Es ist zweifellos eine große Herausforderung. Aber es ist die Welt in der WIR leben wollen. Eine Welt, in der Technologie uns nicht nur dabei hilft, wieder in die Welt zurückzukehren, sondern auch unsere Fähigkeiten dazu verbessert. Es ist in Reichweite.“
„Die Zukunft der Technologie könnte fast unsichtbar sein.“
Diese Statements spiegeln die Prinzipien der neoliberalen Gouvernementalität wider, indem sie die Verantwortung des Individuums zur Nutzung und Anpassung an neue Technologien betonen, eine Kultur der ständigen Selbstverbesserung fördern und technologische Kontrolle als Mittel zur Regulierung und Optimierung des Lebens darstellen. Es werden neue Normen und Werte durch technologische Innovationen geschaffen. In dieser Welt ist die Technologie nicht nur nützlich, sondern verbessert auch die menschlichen Fähigkeiten und setzt somit neue Standards für Leistung und Effizienz.
Die neoliberale Gouvernementalität beruht auf der digitalen Überwachung. Ohne die durch die digitale Surveillance erzeugten Daten würde das System zusammenbrechen, sie sind sein Rohstoff und seine Währung. Innovative Gadgets, wie der Humane AI PIN, präsentieren sich als effiziente Unterstützung bei den Bemühungen, das postmoderne Individuum zu disziplinieren, kontrollieren und optimieren. Sie richten ihre Aufmerksamkeit auf das Individuum mit all seinen Wünschen, Ambitionen, Potenzialen und Schwächen. Es scheint, als stünden sie dem Individuum zur Verfügung, um ihm dabei zu helfen, ein verbessertes und erfolgreicheres Selbst zu werden.
Dabei kommen subtil die von Foucault definierten „Technologien des Selbst“ zum Einsatz. Es handelt sich dabei um Vorgänge und Praktiken, durch die es dem Einzelnen ermöglicht wird, eigenständig oder mit Unterstützung anderer eine Vielzahl von Operationen an seinem Körper, seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise durchzuführen.
Nach Foucault erfordern die Technologien des Selbst immer die Beziehung zum Anderen: „Man kann sich nicht mit sich selbst befassen, ohne eine Beziehung zum anderen zu haben“. [Foucault, Michel: Die Regierung des Selbst und der anderen. Vorlesung am Collège de France 1982/83. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2009]
Die Funktion des Anderen besteht darin, die Wahrheit auszusprechen, insbesondere unangenehme Wahrheiten, die das Subjekt dazu anregen sollen, über sein Handeln nachzudenken und es gegebenenfalls zu modifizieren.
Folgende Dialogsequenz vom Humane-CEO mit der künstlichen Intelligenz veranschaulicht die praktische Anwendung dieser Machttechniken.
Die Technologien des Selbst basieren vor allem auf der freien Entscheidung des Individuums, selbstständig an sich zu arbeiten. Durch das Bekenntnis seiner „Sünden“ oder „Fehler“ öffnet es sich für spirituelle Führung und empfängt daraufhin Anweisungen oder Lehren.
In der Machtphilosophie von Foucault sind das unterworfene Subjekt und das autonome Selbst zwei Seiten derselben Medaille. Beim Umgang mit Wearables in der allgegenwärtigen Datenökonomie tritt das moderne, gleichgültige Subjekt hervor. Einerseits handelt es autonom, aktiv und kreativ und ist sich der Risiken und Gefahren des Data-Minings bewusst. Andererseits unterwirft es sich den Prinzipien der Datenproduktion und kümmert sich nicht um den Schutz der eigenen Privatsphäre. So führt die postmoderne, vermeintliche Sorge um sich selbst letztlich zur Selbstvernachlässigung.
Das Subjekt, das sich durch Wearables selbst vermisst, tut dies nicht aus Feigheit, sondern aus Bequemlichkeit, Desinteresse und der falschen Annahme, „nichts zu verbergen“ zu haben. Die Unterwerfung unter das Regime der Selbstoptimierung befreit es von eigenständigem Denken und der Sorge um sich selbst. Stattdessen erhält es kontinuierlich benutzerfreundliches Feedback und vorgefertigte Interpretationen, was es von der Pflicht zur Reflexion und zum Nachdenken entbindet. Durch die Selbsterkenntnis mittels Daten wird das Subjekt zunehmend datenabhängig – es gibt zu, ohne Wearables nicht in der Lage oder nicht bereit zu sein, selbstständig über sich nachzudenken und delegiert diese Selbstarbeit an ein Medium. Dabei entfremdet es sich von sich selbst, besonders von seinem eigenen Körper, der zu einem fremden Objekt wird, übersetzt in Datenströme. Trotz des Anspruchs auf Aufklärung und vermeintlicher Emanzipation führt dies zu einem flexiblen, sich selbst vermarktenden, im Grunde jedoch gleichgültigen Subjekt, das in den subtilen Verflechtungen der digitalen Pastoralmacht gefangen ist.
Smartphones und Wearables werden zu persönlichen Laboren und versprechen, uns alle zu ermächtigen. Diese Geräte entwickeln sich zu Beratern: Sie überwachen nicht nur unsere Aktivitäten, sondern geben auch konkrete Anweisungen und Empfehlungen. Das Design der Wearables beeinflusst unsere Entscheidungen, oft unbewusst, indem es verschiedene Optionen präsentiert. Durch gezielte Hinweise (Nudging) werden Nutzer zu bestimmten Verhaltensweisen geführt. Auf diese Weise tragen Wearables zur sozialen Kontrolle bei und vermitteln allgemeine Normen.
So betrachtet erscheint die visionäre Rede von dem HUMANE CEO, Imran Chaudhri, in einem etwas anderen Licht.
Der israelische Historiker, Yuval Harari, wird diesbezüglich konkreter. Bei seinem ‚pathetischen‘ Auftritt vor dem Frontiers Forum in Mai 2023 zum Thema „AI and the future of humanity“ skizziert er folgende Zukunftsvision:
„Aber je länger wir mit dem Bot sprechen, desto besser lernt er uns kennen und versteht, wie er seine Botschaften verfeinern kann, um unsere politischen oder unsere wirtschaftlichen Ansichten oder sonst etwas zu manipulieren. Wie ich sagte, kann die KI durch die Beherrschung der Sprache intime Beziehungen zu Menschen aufbauen und die Macht der Intimität nutzen, um unsere Meinungen zu beeinflussen.“
„Neue KI-Werkzeuge würden einen immensen Einfluss auf menschliche Meinungen und unser Weltbild haben. Die Menschen könnten zum Beispiel dazu kommen, einen einzigen KI-Berater als das One-Stop-Orakel und als Quelle für alle Informationen, die sie benötigen, zu verwenden.“
„Menschen und Unternehmen, die die neuen KI-Orakel kontrollieren, werden extrem mächtig sein.“
Technologische Selbstführung und Smart Governance verstärken sich gegenseitig, indem sie gemeinsame Prinzipien und Technologien nutzen, um sowohl individuelles Verhalten als auch die Verwaltung und Steuerung von Gesellschaften zu optimieren. Beide Konzepte fördern Effizienz, Transparenz und personalisierte Interaktionen durch datenbasierte Entscheidungsfindung und verhaltenssteuernde Techniken. Diese Symbiose ermöglicht gezielte Veränderungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene.
Smart Governance fördert die Dezentralisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Technologische Lösungen, die eine effizientere Verwaltung öffentlicher Dienstleistungen ermöglichen, werden häufig von privaten Akteuren bereitgestellt. Dies geschieht im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften oder durch die direkte Auslagerung von Dienstleistungen an private Unternehmen.
4.3. Digital Twins als Grundlage für Smart Governance-Strategien
Was würden Sie tun, wenn Sie eine digitale Kopie von sich selbst hätten? Einen digitalen Zwilling, der genau wie Sie ist und in einer exakten digitalen Darstellung Ihres Zuhauses, Arbeitsplatzes oder Ihrer Stadt lebt? Noch besser: Was wäre, wenn dieser digitale Zwilling keine Schmerzen oder Verletzungen empfinden könnte? Die Möglichkeiten wären unglaublich. Sie könnten Entscheidungen treffen, ohne Angst vor den Konsequenzen zu haben, und mit viel mehr Sicherheit über das Ergebnis.
Die Unternehmensberatung McKinsey beschreibt den Begriff „Digitaler Zwilling“ folgendermaßen:
„Ein digitaler Zwilling ist eine digitale Darstellung eines physischen Objekts, einer Person oder eines Prozesses, kontextualisiert in einer digitalen Version seiner Umgebung. Digitale Zwillinge können einem Unternehmen dabei helfen, reale Situationen und deren Ergebnisse zu simulieren, um letztlich bessere Entscheidungen treffen zu können.“
Ist es bereits möglich, eine virtuelle Kopie einer ganzen Stadt zu erstellen? Ja, das ist bereits machbar. Das Projekt Siemensstadt Square ist nur ein Beispiel dafür.
Digitale Zwillinge fungieren als zentrale Plattform zur Integration und Koordination verschiedener Smart-Technologien. Sie bündeln Daten aus IoT-Geräten, Sensoren und anderen digitalen Systemen, um ein umfassendes Bild der städtischen Umgebung zu erstellen. Dadurch können Planer verschiedene Szenarien testen und deren Ergebnisse messen, ohne die Stadt und ihre Bewohner zu beeinträchtigen. Funktionierende Lösungen können anschließend im physischen Raum umgesetzt werden.
Digitale Zwillinge sind ein unverzichtbares Werkzeug für Smart Governance, da sie zahlreiche Vorteile bieten und die Effizienz sowie Effektivität der Verwaltung signifikant verbessern können. Diese Technologie ermöglicht eine präzise Echtzeitdatenanalyse und die Simulation verschiedener Szenarien. Dadurch können potenzielle Probleme frühzeitig erkannt und geeignete Maßnahmen geplant werden, noch bevor sie sich in der realen Welt manifestieren. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig: von der Überwachung und Wartung von Infrastrukturen über die Analyse von Umweltdaten und sozialen Dynamiken bis hin zum Krisenmanagement bei Naturkatastrophen oder Pandemien.
Digitale Zwillinge sind detailgetreue Nachbildungen von Systemen, die auf einem wechselseitigen Informationsfluss mit dem realen Objekt ausgelegt sind. Sie ermöglichen einen bidirektionalen Austausch von Echtzeitdaten und tragen dazu bei, das aktuelle Geschehen besser zu verstehen. Dadurch können Probleme in Echtzeit behoben und die Leistung des realen Objekts optimiert werden.
Wenn ein digitaler Zwilling erfolgreich einen ganzen Stadtteil emulieren kann, könnte er dann auch auf die individuelle Ebene ausgeweitet werden, um als Personal Digital Twin zu fungieren?
Viele Experten sind überzeugt, dass diese Vision realisierbar ist, und tatsächlich arbeiten einige von ihnen bereits an äußerst ehrgeizigen Anwendungen. Die Einschätzung geht dahin, dass persönliche digitale Zwillinge bis zum Ende des Jahrzehnts zur alltäglichen Realität werden könnten – und dass dieser Fortschritt maßgeblich vom Gesundheitswesen vorangetrieben wird.
Der ehemalige CEO von General Electric, Bill Ruh, prognostiziert beispielsweise, dass jeder Mensch schon von Geburt an mit einem digitalen Zwilling ausgestattet sein wird. Dieser digitale Zwilling wird das individuelle Genom der Person nutzen, um personalisierte Behandlungsvorschläge zu unterbreiten, sobald Krankheiten auftreten.
Das der Personal Digital Twin mehr als nur eine Vision ist, beweist die Tatsache, dass im Jahr 2020 die Gemeinsame Forschungsstelle (Joint Research Centre – JRC) der Europäischen Kommission das Projekt „MyDigitalTwin: Trusted Personal Digital Twins in a Transformed Society“ ins Leben gerufen hat. Die im Internet verfügbaren Informationen zu diesem Projekt sind spärlich. Unter diesem Link erhält man folgende allgemeine Informationen:

„Das Projekt MyDigitalTwin (MyDT) zielt darauf ab, zu untersuchen, wie die schnell wachsende Generation persönlicher Daten über PDTs genutzt, überwacht und kontrolliert werden kann und welche Rolle PDTs beim Verständnis komplexer/schneller gesellschaftlicher Dynamiken spielen. Die Studie will die Herausforderungen im Zusammenhang mit Ethik und Datenschutz sowie die Möglichkeiten untersuchen, die bestehenden PDT-Rahmenwerke von einem Business-to-Customer (B2C)-Kontext auf einen Government-to-Citizen (G2C)-Kontext zu übertragen. Schließlich wird MyDT die Rolle der PDT für eine europäische e-Identität untersuchen.“
Weitere Informationen zum Projekt MyDigitalTwin (MyDT) der EU-Kommission finden sich im eBook von Prof. Roberto Saracco mit dem Titel „Personal Digital Twins – A third evolution step of humankind?“ (Persönliche digitale Zwillinge – Eine dritte Evolutionsstufe für die Menschheit?). Prof. Saracco ist nicht nur einer der Vorsitzenden der IEEE Digital Reality Initiative, sondern auch aktiver Teilnehmer in der Expertenarbeitsgruppe des MyDT-Projektes.
Inwieweit soll der Personal Digital Twin (PDT) die physische Person widerspiegeln?
Das hängt im Wesentlichen davon ab, was von dem PDT erwartet wird. Aktuell wird der Einsatz von PDTs im Gesundheitswesen propagiert. Ein PDT der so konzipiert ist, spiegelt physiologische Aspekte der Person mit einer Vielzahl von Details wider (Gewicht, Größe, Geschlecht, Herzschläge, Atemfrequenz, Stoffwechsel, usw.) und kann eine Vielzahl von weiteren gesundheitsbezogenen Daten enthalten (Genomsequenz, Allergien, Lebensumgebung, elterliche Pathologien, berufliche Risiken usw.).
Wie schnell dies in die Praxis mittlerweile umgesetzt werden kann, demonstriert dieses Werbevideo von dem „Forward CarePod™, the World’s First AI Doctor’s Office“ des US-Unternehmens GoForward.
Vor Kurzem stellte Google das MedLM vor, eine Reihe spezialisierter generativer KI-Modelle für das Gesundheitswesen. Laut Google entspricht die Leistungsfähigkeit dieser KI-Modelle dem Niveau eines Facharztes.
Mit dem Versprechen eines umfassenden 360-Grad-Gesundheitsschutzes rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr, wird die Mehrheit der Bevölkerung freiwillig den ersten Schritt in Richtung Personal Digital Twin (PDT) gehen.
Eine große Menge von persönlichen Datensätzen sind offensichtlich entscheidend für den Betrieb des PDT, ein PDT ohne Daten existiert nicht. Eine aktuelle Übersicht, wie diese Daten technologisch erhoben und weiterverarbeitet werden, liefert der Artikel „Die letzte Bastion – Der menschliche Körper als Technologieplattform“.
In dieser Situation ist das Vertrauen zwischen Personen und Institutionen, die persönliche Daten sammeln und verwalten, von entscheidender Bedeutung.
Aus diesem Grund hat die Europäische Union (EU) Richtlinien wie die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und den ‚EU Data Act‘ eingeführt. Während der ‚EU Data Act‘ darauf abzielt, mehr Daten für gesellschaftliche und wirtschaftliche Zwecke verfügbar zu machen, legt die DSGVO den Schwerpunkt auf den Schutz personenbezogener Daten und die Rechte der Betroffenen. Diese Verordnungen adressieren unterschiedliche Bedürfnisse: Datenschutz und Vertraulichkeit einerseits, Nutzung und gemeinsame Nutzung von Daten andererseits.
Hier ergibt sich ein mögliches Konfliktpotenzial. Eine harmonische Anpassung der Anforderungen beider Verordnungen erfordert sorgfältige Überlegungen, um sicherzustellen, dass die Ziele des freien Datenflusses und des Datenschutzes miteinander in Einklang gebracht werden. Und das ist eine echte Herausforderung für die Smart Governance.
Denken wir daran, dass Biopolitik als zentraler Aspekt der Gouvernementalität das Leben der gesamten Bevölkerung durch staatliche und andere Institutionen in all seinen Facetten verwaltet. Während einer Pandemie wird die Krankheit nicht mehr nur als individuelles Problem betrachtet, sondern als eine Herausforderung, die die gesamte Gemeinschaft betrifft.
Wie Personal Digital Twins bei der Bekämpfung einer Pandemie eingesetzt werden können und wie der Umgang mit persönlichen Daten aussieht, wird mit einfachen Worten von Prof. Saracco in diesem Videoausschnitt erklärt.
In diesem Szenario tauscht der Personal Digital Twin (PDT) gesundheitsrelevante Daten sowohl mit der physischen Person als auch mit den Gesundheitsbehörden, sprich der staatlichen Autorität, aus. Die staatliche Autorität legt fest, wie diese Daten im Kontext der aktuellen Pandemiesituation behandelt werden sollen und welche Konsequenzen dies für die physische Person hat. In der Regel werden bestimmte Verhaltensregeln vom Staat festgelegt. Solange sich die physische Person an diese Regeln hält, bleibt sie ‚anonym‘ und ihre Privatsphäre bleibt geschützt. Die Anonymität endet, wenn die Person die staatlich definierten Regeln nicht einhält (was einen Eingriff in die Privatsphäre darstellt). In dieser Konstellation wird die physische Person durch den PDT im 24/7-Modus überwacht und gegebenenfalls konditioniert.
Die Ambitionen, eine physische Person durch PDTs widerzuspiegeln, reichen weit über den Gesundheitssektor hinaus. Wie weit kann und will man gehen?
Die Diskussionen im Rahmen des MyDT-Projektes der EU-Kommission werden in erster Linie von der bereits verfügbaren und weiterwachsenden „Datenlandschaft“ der physischen Person gelenkt.

[Forum Virium Helsinki]
Bitte beachten Sie, dass nur ein kleiner Teil der Daten durch Selbstmessung von der Person selbst generiert und erfasst wird. Die meisten Daten entstehen durch die Interaktion der Person mit ihrer Umgebung und werden von verschiedenen Institutionen erfasst. Die Funktionsweise dieses Prozesses wurde bereits in den Kapiteln 4.1 und 4.2 veranschaulicht.
Inwiefern die entstehende digitale Spur für die Erstellung eines persönlichen digitalen Zwillings verwendet wird, hängt von der Komplexität der Analyseverfahren der vorhandenen Datensätze ab. Durch den Einsatz von KI-Modellen ist es bereits heute möglich, ein umfassendes Profil einer Person in nahezu allen Lebensbereichen im Hintergrund zu erstellen. Dieses Profil kann verwendet werden, um zukünftige Bedürfnisse vorherzusagen und/oder diese Bedürfnisse zu beeinflussen oder zu steuern. Die zunehmende Raffinesse bei der Analyse und Verwaltung persönlicher Daten bringt uns dem Konzept eines digitalen Zwillings immer näher. Es handelt sich um einen ‚persönlichen‘ digitalen Zwilling in dem Sinne, dass er unsere Person (Gewohnheiten, Geschichte, zukünftiges Verhalten) widerspiegelt, jedoch gehört er uns nicht ‚persönlich‘ – im Grunde hat man keine Kontrolle über diesen Pseudo-Digitalzwilling.
Eine Analyse des EU AI-ACT (EU-Verordnung zur Festlegung harmonisierter Regeln für künstliche Intelligenz) zeigt, dass die EU-Kommission den Einsatz von sogenannten Hochrisiko-KI-Systemen in nahezu allen Lebensbereichen plant. Diese Systeme sollen die Handlungen jedes Einzelnen engmaschig durch KI überwachen, überprüfen und bewerten. Letztlich könnte das ‚Schicksal‘ eines Individuums, einschließlich Bildung, berufliche Entwicklung, Zugang zu Dienstleistungen und finanziellen Mitteln, Bewegungsfreiheit, Rechtsschutz und Strafverfolgung, mehr oder weniger von diesen Systemen beeinflusst werden.

Damit sollte die Frage „Wie weit kann und will man gehen?“ beantwortet sein.
Laut Prof. Roberto Saracco hat die Expertengruppe des MyDT-Projektes viele Anwendungen im Blick. Es besteht Einigkeit darüber, dass eine europäische Maßnahme die Akzeptanz und Verbreitung von PDTs fördern und ihre Nutzung als Teil des Internets der Menschen (IoP) im Gesundheitswesen unterstützen kann, einschließlich der Überwachung und Kontrolle von Epidemien. Dieser Bereich soll den Weg für Anwendungen in intelligenten Städten, E-Government usw. bereiten.
Durch öffentlich-private Partnerschaften fördert Smart Governance die Entwicklung eines Ökosystems, in dem private Unternehmen eine Kultur etablieren, die die Nutzung von Smartphones und Wearables als grundlegendes Instrument voraussetzt. Diese Unternehmen bieten Dienste über Personal Digital Twins an und ermutigen andere Unternehmen, ähnliche Dienstleistungen über einen Personal Digital Twin anzubieten.
Auf der einen Seite führt diese Entwicklung dazu, dass es möglicherweise viele verschiedene Personal Digital Twins (PDTs) gibt, was potenziell Verwirrung stiften kann. Auf der anderen Seite könnte dies Unternehmen dazu motivieren, einen integrierten PDT anzubieten, der bestehende, sektorenspezifische PDTs für einzelne Personen zusammenfasst.
Prof. Saracco äußert sich zu dem Thema wie folgt:
„Ich besitze keine Glaskugel, aber wenn ich eine Vorhersage treffen müsste, denke ich, dass die Entwicklung eher von unten nach oben erfolgen wird als umgekehrt. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Institution (wie die EU) die Evolution von PDTs vorschreiben und steuern wird. Es ist viel wahrscheinlicher, dass mehrere Unternehmen Dienstleistungen anbieten werden, die zur Schaffung/Annahme von PDTs für Menschen führen. Andere Unternehmen werden Werkzeuge bereitstellen, um fragmentierte PDTs in eine einzige Einheit zu integrieren, die mit einem allgemeinen Rahmen konform sein kann (dies könnte durch die Arbeit auf internationaler Standardisierungsebene entstehen), der einige Merkmale haben kann, die von einer Organisation wie der EU reguliert werden.“ [Personal Digital Twins]
Perspektivisch ist anzunehmen, dass die zahlreichen PDTs, die im Laufe der Zeit erstellt werden, um spezifische Aspekte einer Person darzustellen, sich zu einem aggregierten PDT vereinen werden. Professor Saracco prognostiziert, dass in den nächsten zehn Jahren und darüber hinaus jede Person einen persönlichen digitalen Zwilling haben wird. Dieser Personal Digital Twin wird bereits während der Schwangerschaft ‚geboren‘, indem Daten aus den Untersuchungen der Mutter gesammelt werden, und er wird sich während des gesamten Lebens der Person weiterentwickeln. Der PDT wird die gesamte digitale Persönlichkeit repräsentieren und kann verwendet werden, um zu einem bestimmten Zeitpunkt Daten zu teilen, jedoch nur mit vorab autorisierten Institutionen, die die Erlaubnis und Notwendigkeit zum Zugriff haben, stets unter Kontrolle der physischen Person.
Erinnern wir uns daran, dass der digitale Zwilling auf einen wechselseitigen Informationsfluss mit dem zu emulierenden Objekt ausgelegt ist. Es erfolgt ein bidirektionaler Austausch von Daten. Er kann als eine Schnittstelle zwischen der physischen Person und diversen KI-Systemen betrachtet werden, die wiederum von privaten bzw. staatlichen Institutionen betrieben bzw. kontrolliert werden. Einerseits werden die Daten, die zu der Generierung von PDTs erfasst werden, auch zum Trainieren und zur weiteren Entwicklung von KI-Systemen verwendet. Andererseits können KI-Systeme durch die Analyse und Verarbeitung dieser digitalen Repräsentation personalisierte Empfehlungen, Assistenz oder sogar Vorhersagen bereitstellen, die auf den individuellen Merkmalen und Verhaltensweisen einer Person basieren.
In Krisensituationen können PDTs zur „passiven Überwachung“ sowie zur „aktiven Konditionierung“ der physischen Person beitragen. Ein Beispiel diesbezüglich wurde in dem Videobeitrag von Prof. Saracco allgemeinverständlich veranschaulicht. Wenn einmal die Infrastruktur etabliert ist, kann sie der jeweiligen Krisensituation mit allen für das Individuum resultierenden Restriktionen und Konsequenzen zeitnah angepasst werden. Vergessen wir nicht, dass die nächste Dekade voller globaler Risiken ist.
4.4. Das intelligente Geld – Smart Money und Smart Governance
Die fortschreitende globale Vernetzung durch Technologien wie 5G und das Internet der Dinge (IoT), unterstützt durch leistungsfähige KI-Algorithmen treibt die Entwicklung der sogenannten ‚Smart Economy‘ voran. Diese bezeichnet eine Wirtschaft, die durch digitale Technologien und datengesteuerte Prozesse effizienter, nachhaltiger und innovativer wird. Schlüsseltechnologien wie Internet der Dinge, künstliche Intelligenz, Big Data und Blockchain spielen dabei eine zentrale Rolle, indem sie Unternehmen helfen, Abläufe zu optimieren, ihre Produktion effizienter zu gestalten, den Energieverbrauch zu senken, ihre Ressourcen besser zu nutzen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und besser auf Kundenbedürfnisse einzugehen.
In einer Smart Economy werden kontinuierlich Daten gesammelt und analysiert, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Dabei spielt die Vernetzung mit dem Finanzsektor eine entscheidende Rolle. Diese Verbindung ermöglicht es, finanzielle Transaktionen effizienter, sicherer und transparenter zu gestalten. Die nahtlose Integration von Finanzdienstleistungen in die digitale Wirtschaft stellt neue Anforderungen an die digitale Form des Geldes und führt zwangsläufig zu ihrer weiteren Entwicklung.
Im Rahmen dieser evolutionären Entwicklung werden digitale Währungen erweiterte Funktionen anbieten, die über die einfachen Zahlungs- und Wertaufbewahrungsrollen traditioneller Währungen hinausgehen. Man spricht von der sogenannten ‚tokenisierten‘ Form des Geldes. Sehr detaillierte und umfangreiche Informationen zu diesem Thema findet man in dem Artikel CBDC – Eine Liebesgeschichte mit Vorbehalten.
An der Stelle reicht es zu sagen, dass man unter „Tokenisierung“ den Vorgang versteht, bei dem Vermögenswerte aus der realen Welt in die digitale Welt übertragen werden, indem sie in digitale Tokens umgewandelt werden. Diese Tokens fungieren als digitale Repräsentationen der realen Vermögenswerte und werden in einer Datenbank gespeichert.

Ein Vermögenswert (auch Asset genannt) ist ein wirtschaftlicher Wert oder eine Ressource, die einem Unternehmen, einer Person oder einer Organisation einen Nutzen oder einen Anspruch auf zukünftigen Nutzen bietet. Dazu können materielle Assets (Grundstücke, Gebäuden, Maschinen, Fahrzeuge, Ausrüstung, Inventar), immaterielle Assets (Patente, Lizenzen, Urheberrechte, Software), natürliche Assets (Land, Wasser, Bodenschätze) und finanzielle Assets (Bargeld, Bankguthaben, Aktien und andere Finanzinstrumente) gehören.
Die Datenbank, auch Ledger genannt, dient dazu, den aktuellen Stand von Vermögenswerten, Verbindlichkeiten und Kapital eines Unternehmens oder einer Organisation festzuhalten. Traditionell hat eine zentrale Autorität die Kontrolle über die Daten und steuert den Zugriff zentral. In einer Smart Economy wird zunehmend eine dezentrale Datenbank, auch Distributed Ledger genannt, verwendet. Im Gegensatz zu zentralisierten Ledgern, die von einer einzigen zentralen Stelle verwaltet werden, befinden sich die Daten in einem Distributed Ledger auf vielen verteilten Knoten oder Computern, die über ein Netzwerk miteinander verbunden sind. Diese dezentrale Natur gewährleistet eine höhere Sicherheit, da die Daten auf mehreren Knoten gespeichert sind und Änderungen kryptografisch gesichert werden. Blockchain ist eine spezifische technologische Implementierung eines Distributed Ledgers.
Dabei beinhaltet ein Token neben den Informationen über den Vermögenswert (z. B. eindeutige Identifizierung, Eigentümer, Verwahrstelle, Herkunft, Wert, etc.) auch Regeln, die festlegen, was der Vermögenswert tun kann und was nicht.

Dies erleichtert die Einbindung der Tokens in sogenannte intelligente Verträge, auch Smart Contracts genannt. Ein Smart Contract ist ein Softwareprogramm, das einen selbstausführenden Vertrag repräsentiert, dessen Bedingungen direkt im Code enthalten sind. Diese Codes laufen auf einer Blockchain und führen automatisch Aktionen aus, wenn vordefinierte Bedingungen erfüllt sind, ohne dass eine Zwischeninstanz erforderlich ist.
Ein Smart Contract deckt alle Schlüsselbereiche eines Vertrags ab: von der Identifizierung der Vertragsparteien über den Vertragsgegenstand bis hin zu Leistungen, Pflichten, Konditionen und Laufzeit, sowie der Verwaltung und Durchsetzung. Ein Smart Contract ist absolut präzise. Er folgt der vorprogrammierten Logik bis ins kleinste Detail und wird deterministisch ausgeführt. Diese Logik legt fest, wie die Tokens funktionieren und welche Regeln sie einhalten müssen.
Im neuen Geldsystem erhalten alle heute verfügbaren Geldformen einen digitalen Zwilling.

In diesem technologischen Konstrukt lassen sich alle Geldtransaktionen nicht nur eindeutig identifizieren und nachverfolgen, sondern auch in komplexe, automatisch ablaufende Prozesse einbinden. Neben dem Zahlungsverkehr können selbst Geldfunktionen programmiert werden, was als „Smart Money“ bezeichnet wird. Die traditionelle Geldbörse, in der man Bargeld und Karten aufbewahrt, verwandelt sich in ein Digital Wallet – eine App auf dem Smartphone oder Computer, die es dem Anwender ermöglicht, seine digitalen Tokens aufzubewahren, Geld zu senden und zu empfangen, Einkäufe zu tätigen und seine Transaktionen zu verwalten.
Die Vorteile der neuen Geldformen sind nicht von der Hand zu weisen. Durch ihre Integration in Smart Contracts können Transaktionen schneller und kostengünstiger abgewickelt werden als herkömmliche Banküberweisungen, die oft mehrere Tage dauern. In einer Smart Economy lassen sich so die Ströme von Gütern, Geld und Informationen automatisieren und synchronisieren, was zu einer weiteren Effizienzsteigerung führt.
Die Transparenz und Rückverfolgbarkeit von Transaktionen, die auf einer Blockchain durchgeführt werden, reduziert das Risiko von Betrug und erleichtert die Einhaltung von Vorschriften. Ein weiterer Vorteil von Smart Money ist die finanzielle Inklusion, da es den Zugang zu Finanzdienstleistungen für Menschen verbessern kann, die bisher vom traditionellen Bankensystem ausgeschlossen waren, was besonders in Entwicklungsländern von Vorteil ist.
Interoperabilität ist ein weiterer wichtiger Faktor. Tokenisiertes Geld kann in verschiedenen digitalen Ökosystemen verwendet werden und ermöglicht eine nahtlose Integration mit anderen digitalen Diensten und Plattformen. Schließlich bieten diese digitalen Währungen durch den Einsatz fortschrittlicher Verschlüsselungstechniken und dezentraler Netzwerke ein hohes Maß an Sicherheit gegen Cyberangriffe und Manipulation.
Die so entstandenen intelligenten und flexiblen Finanzinstrumente können die Wirkung von Smart Governance auf das Leben der Bürger nicht nur erheblich verbessern, sondern auch vertiefen.
Bei Transaktionen von der Regierung zum Bürger (Government-to-Citizen) als auch von Bürgern zur Regierung (Citizen-to-Government) eröffnen sich ganz neue Perspektiven. Regierungen können sicherstellen, dass öffentliche Mittel direkt und ohne Verzögerung dort ankommen, wo sie benötigt werden. Bürger können schneller und sicherer Zugang zu Sozialhilfen, Renten oder Subventionen erhalten. Auch im Steuersystem zeigt Smart Money seine Vorteile, indem es Steuerzahlungen automatisch und in Echtzeit ermöglicht. Dies reduziert den Verwaltungsaufwand, minimiert Fehler und erhöht die Effizienz des Steuersystems. Durch die automatisierten Steuerzahlungen wird der Prozess einfacher und transparenter, was die Steuerehrlichkeit fördern kann.
Die Kombination aus Digital ID, Smart Phone und Digital Wallet ermöglicht den Zugang zu Finanzdienstleistungen für Menschen ohne Bankkonto oder mit begrenztem Zugang zu traditionellen Finanzinstituten. Diese finanzielle Inklusion fördert nicht nur die wirtschaftliche Teilhabe und hilft, soziale Ungleichheiten zu verringern, sondern maximiert den Wirkungsradius der Smart Governance so, dass sie bis in die verborgensten Winkel der Bevölkerung Wirksamkeit zeigt.
Intelligentes Geld erleichtert die effektivere Umsetzung spezifischer politischer Agenden, wie zum Beispiel die Förderung nachhaltiger Entwicklung. Regierungen können umweltfreundliches Verhalten und nachhaltige Investitionen fördern, indem sie digitale Währungen und Smart Contracts nutzen, um umweltbezogene Subventionen und Steuervergünstigungen effizient zu verwalten.
Und das ist nicht alles. Wie im Artikel CBDC – Eine Liebesgeschichte mit Vorbehalten beschrieben, bildet die tokenisierte Form des Geldes die technologische Grundlage für zahlreiche neue, innovative Finanzdienstleistungen im privaten Industrie- und Finanzsektor. Mit immer leistungsfähigeren Technologien, die zunehmend auf KI-Algorithmen basieren, verwandeln sich Städte in ‚Smart Cities‘, Gebäuden in ‚Smart Buildings‘ oder ‚Smart Homes‘ und Autos in ‚Smart Cars‘. Diese umfassende Vernetzung ermöglicht es, immer mehr Informationen aus unserem Alltag zu extrahieren und in digitalen Plattformen zu verarbeiten. Das Motto ’schneller, weiter, höher‘ treibt die Integration persönlicher finanzieller Daten, Mobilitätsprofilen, Details der Lebens- und Arbeitsumgebung sowie des körperlichen Wohlbefindens in algorithmisch gesteuerte Regeln voran, die in Smart Contracts festgehalten werden können.
Dabei legt die „Smart Governance“ die Regeln, Transparenzanforderungen, Effizienzziele, Sicherheitsstandards, Beteiligungsmechanismen und Datenschutzrichtlinien fest, die sicherstellen, dass Smart Contracts in einem rechtlichen und regulatorischen Rahmen operieren. Dadurch können wesentliche Aspekte des Lebens einer Person indirekt durch die „Smart Governance“ beeinflusst werden.
Die Integration von Smart Money in die Smart Governance bringt viele Vorteile, aber auch erhebliche Herausforderungen in Bezug auf Kontrolle und Überwachung mit sich. Diese Aspekte müssen kritisch betrachtet werden, um die Balance zwischen Effizienz und persönlicher Freiheit zu wahren. Durch den Einsatz von Smart Money können Regierungen und Finanzinstitutionen detaillierte Transaktionsdaten in Echtzeit verfolgen. Dies ermöglicht eine genauere Überwachung des finanziellen Verhaltens der Bürger, da jede Transaktion zurückverfolgt und analysiert werden kann. Ein recht eindringlicher Kommentar dazu stammt von Augustin Carstens, dem Generaldirektor der Bank for International Settlements (BIS):
Smart Money gibt Regierungen die Möglichkeit, finanzielle Aktivitäten zu kontrollieren. Zahlungen für bestimmte Waren und Dienstleistungen könnten eingeschränkt oder blockiert werden, um illegale Aktivitäten zu bekämpfen oder politisch unerwünschtes Verhalten zu regulieren.
Die Speicherung und Verarbeitung großer Mengen persönlicher Finanzdaten birgt erhebliche Datenschutzrisiken. In autoritären Regimen besteht die Gefahr, dass Smart Money als Werkzeug zur politischen Unterdrückung missbraucht wird. Regierungen könnten finanzielle Sanktionen gegen politische Gegner verhängen oder den Zugang zu finanziellen Ressourcen für bestimmte Bevölkerungsgruppen einschränken.
Um Bedenken hinsichtlich staatlicher Überwachung zu mildern, ist es die Aufgabe der Behörden, der Öffentlichkeit zu versichern, dass angemessene Vorschriften und Kontrollen vorhanden sind. In diesem Zusammenhang spielen internationale Organisationen wie die OECD eine wichtige Rolle. Das Dokument der OECD mit dem Titel „Central Bank Digital Currencies (CBDCs) and democratic values“ enthält einige relevante Aussagen zu diesem Thema.
„Eines der Risiken, die CBDCs für die Gesellschaft mit sich bringen, ist ihr potenzieller Einsatz als Überwachungsinstrumente, da sie potenziell Zugang zu einem höheren Maß an Informationen über die Nutzer haben, einschließlich Informationen auf Transaktions- und Kontoebene. Im Extremfall könnten die CBDCs den Regierungen die Möglichkeit geben, alle Transaktions- und sonstigen Finanzaktivitäten der Nutzer zu überwachen und zu verfolgen, und auch die Möglichkeit, eine größere Kontrolle über private Transaktionen auszuüben. Die Behörden könnten Nutzer und Transaktionen ungerechtfertigterweise zensieren, ohne dass ein ordnungsgemäßes Verfahren oder ein Rechtsbehelf vorgesehen ist.
In einem Szenario, in dem CBDC für die groß angelegte Kontrolle von Geldtransaktionen eingesetzt werden, könnten CBDC zudem zu einem Instrument der Kontrolle und der sozialen Profilierung, der voreingenommenen und diskriminierenden Behandlung von Nutzern und möglichen Menschenrechtsverletzungen werden.“
Die OECD ist eine internationale Organisation mit 38 Mitgliedstaaten, die sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet fühlen. Zu ihren Mitgliedern gehören viele EU-Staaten, die USA, Kanada, Großbritannien, Japan sowie Australien. Das Dokument betont, dass nicht nur die Risiken bei der Einführung von CBDC verstanden werden, sondern auch klare Richtlinien festgelegt werden, um sicherzustellen, dass demokratische Werte bei der Gestaltung und Umsetzung von CBDCs berücksichtigt werden. Es gibt vier Hauptbereiche, auf die besonders geachtet wird: (i) bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte; (ii) Gleichbehandlung: Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Erschwinglichkeit; (iii) Privatsphäre und Integrität; (iv) Vertrauen: Sicherheit, Transparenz, betriebliche Widerstandsfähigkeit sowie Schutz der genannten Werte.

Die OECD betrachtet den Datenschutz wie folgt:
„Was die Datenschutzoptionen betrifft, so würde der niedrigste Grad an Datenschutz ein Design beinhalten, bei dem alle Onboarding/KYC- und Transaktionsdaten für die Zentralbank sichtbar sind. Der zweitniedrigste Grad des Datenschutzes würde Transparenz und Sichtbarkeit der oben genannten Daten nur für den Intermediär bedeuten. Am anderen Ende des Spektrums sind keine Daten für Dritte oder die Zentralbank selbst sichtbar, d.h. vollständige Anonymität, was nicht wünschenswert ist, da dies die Kontrolle des Umlaufs und die Verhinderung von Geldwäsche unmöglich machen würde. Außerdem würde dies Regulierungs- und Durchsetzungsmaßnahmen erschweren. Stattdessen sieht ein Modell des „selektiven Datenschutzes“ ein höheres Maß an Datenschutz für Zahlungen mit geringem Wert bzw. geringem Risiko vor, das vereinfachte Kontrollen beinhaltet (z.B. eine spezielle Brieftasche mit geringeren Anforderungen bei der Anmeldung). Bei diesem Modell würden Transaktionen mit höheren Beträgen weiterhin den Standardkontrollen unterliegen.“
Unabhängig davon, ob Begriffe wie „selektiver Datenschutz“ oder „Pseudonymität“ verwendet werden, wird die vollständige Anonymität des physischen Bargelds nicht erreicht werden können.
„Ein genehmigungspflichtiges CBDC-System, bei dem die Teilnahme von einer vertrauenswürdigen Stelle oder einer Reihe von vertrauenswürdigen Stellen verwaltet wird, könnte bessere Ergebnisse im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre sensibler Finanzdaten erzielen: Die Transaktionshistorie ist in der Regel nur für eine kleine Anzahl von vertrauenswürdigen Stellen einsehbar und wird gegenüber anderen geheim gehalten.“ [OECD]
Im Wesentlichen wird eine Art asymmetrischer Schutz der Privatsphäre angewendet. Während die Mehrheit die wahre Identität einer Person hinter einem Pseudonym (z. B. öffentliche Adresse/Schlüssel) nicht kennt und somit die Privatsphäre (z. B. private Adresse/Schlüssel) gewahrt bleibt, besteht die Möglichkeit für eine ausgewählte Gruppe von Personen oder Institutionen, die wahre Identität durch spezielle Kenntnisse und den Zugriff auf entsprechende Technologien zu ermitteln. Daher bietet die Pseudonymität keine vollständige Anonymität, sondern gewährt eine gewisse Privatsphäre gegenüber der breiten Öffentlichkeit, während sie gleichzeitig die Rückverfolgbarkeit für bestimmte autorisierte Parteien ermöglicht.
Das ist ein wichtiger Punkt. Die Möglichkeit, die Identität einer Person hinter einem Pseudonym zu ermitteln, trägt in gewisser Weise zur weiteren Konzentration von Wissen und Macht bei. Personen oder Organisationen, die über die Ressourcen und die technischen Fähigkeiten verfügen, die Identität zu entschlüsseln, können dadurch eine erhöhte Kontrolle über die Informationen und die Handlungen derjenigen ausüben, die Pseudonyme verwenden. Dies kann insbesondere dann problematisch sein, wenn diese Macht in den Händen weniger, mächtiger Institutionen oder Regierungen liegt, was zu einem Ungleichgewicht in Bezug auf Datenschutz und individuelle Freiheit führen kann.
In diesem Sinne ist es wichtig, dass der Einsatz von Pseudonymität in der Gesellschaft und in technologischen Systemen mit entsprechenden Schutzmechanismen und Datenschutzbestimmungen einhergeht, um den Missbrauch von Wissen und Macht zu verhindern und die individuelle Privatsphäre zu wahren. In den meisten Fällen sind staatliche oder behördliche Institutionen für die Festlegung und Durchsetzung von Datenschutzbestimmungen und Schutzmechanismen gegen Datenmissbrauch verantwortlich. Diese Institutionen werden oft von den jeweiligen Regierungen eingerichtet.
Und diese Konstellation enthält einen impliziten Widerspruch. Der Widerspruch ergibt sich daraus, dass die Institutionen, die für den Schutz der Privatsphäre verantwortlich sind, von Regierungen gebildet werden, die gleichzeitig auch ein Interesse daran haben, mehr Daten zu sammeln und zu nutzen. In gewisser Weise ist Smart Governance die Instanz, die sich selbst regulieren muss.
Neben dem Datenschutz der Privatsphäre der Bürger ist die Programmierbarkeit der tokenisierten Geldformen ein weiterer Aspekt, das besondere vertrauensbildende Maßnahmen erfordert. In dem Dokument „Central Bank Digital Currencies (CBDCs) and democratic values“ äußert sich die OECD zu diesem Thema wie folgt:
„Die Programmierbarkeit könnte zwar staatlich oder von der Zentralbank initiiertes programmierbares Geld ermöglichen, das nur auf bestimmte Weise funktioniert, doch würde dies den politischen Zielen zuwiderlaufen, den Bürgern einheitliche CBDCs zur Verfügung zu stellen und das Vertrauen der Nutzer zu fördern. Die Programmierbarkeit von Zahlungen hingegen, die von den Nutzern kontrolliert wird, könnte den Nutzern erweiterte Funktionen bieten, um Regeln für ihre Zahlungen festzulegen. In einigen Fällen ist vorgesehen, dass Anbieter von Zahlungsschnittstellen und Anbieter von Schnittstellen zu externen Diensten solche programmierbaren Funktionen selbst implementieren könnten, aber sie würden die Zustimmung der Nutzer erfordern und nicht auf Anweisung des Emittenten erfolgen.“
Die Europäische Zentralbank EZB hat programmierbares Geld ausdrücklich ausgeschlossen, befürwortet jedoch programmierbare Zahlungen. Während programmierbares Geld einen direkten Eingriff in die finanzielle Freiheit der Bürger darstellt, da es die Verwendung von Geld durch festgelegte Regeln und Bedingungen einschränken kann, ist der Einfluss der programmierbaren Zahlungen nicht sofort erkennbar. Im Kontext von Smart Contracts kann der programmierbare Zahlungsverkehr auf vielfältige Weise das Verhalten der Bürger beeinflussen, indem er automatisierte Anreize, bedingte Zahlungen, regulierungskonforme Transaktionen, Vertragsmanagement und dynamische Preisanpassungen ermöglicht. Diese Mechanismen sind darauf ausgelegt, Effizienz und Vertrauen zu erhöhen, während sie gleichzeitig das Verhalten der Beteiligten subtil und indirekt steuern.
Smart Money wird auf jeden Fall ein leistungsfähiges Instrument der Smart Governance in modernen Gesellschaften sein, da es die Koordination aller Marktteilnehmer im Einklang mit wirtschaftlichen und politischen Zielen verbessert.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Bürger ein hohes Maß an Vertrauen in die Regierung und Finanzinstitute haben. Wenn sie das Gefühl haben, dass ihre finanzielle Privatsphäre und Freiheit bedroht sind, könnte das zu Widerstand und Ablehnung der neuen Technologien führen. Daher wird sich Smart Governance darum kümmern, dass die Bürger sich sicher fühlen. Dabei spielt es eine weniger wichtige Rolle, ob die Privatsphäre und finanzielle Freiheit tatsächlich gefährdet sind; entscheidend ist, dass die Bürger glauben, ihre Daten seien sicher und ihre Freiheit unangetastet. Dieses Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens ist daher ein wesentlicher Faktor für den Erfolg von Smart Governance und Smart Money.
5. Ein Blick in die Zukunft – Smart Governance in ihrer besten Form
Wenn Sie sich über die mögliche Entwicklung der Gesellschaft unter der Ägide von Smart Governance noch unsicher sind, lohnt sich ein genauerer Blick auf die Zukunftsvision der Initiative „Tokenise Europe 2025“. Diese von der Europäischen Kommission und dem Bundesverband deutscher Banken ins Leben gerufene Initiative wird von der Unternehmensberatung Roland Berger sowie über 20 Mitgliedsorganisationen aus verschiedenen Ländern und Branchen unterstützt, um die Tokenisierung Europas voranzutreiben.
Die Zukunft Europas wird wie folgt beschrieben:
Im Jahr 2030 gehen wir nicht mehr „online“, denn das Online-Sein ist ein fester Bestandteil des Lebens. Technologie und digitale Dienste sind in unsere täglichen Abläufe, unsere Arbeit und unseren Lebensstil eingebettet, und das 24 Stunden am Tag.
EIN TAG IM LEBEN EINES TOKENISIERTEN EUROPAS IM JAHR 2030
07:00
Draußen wird es warm. Simon ist europäischer Staatsbürger und hat einen eindeutigen digitalen Identitäts-Token in seiner Smartwatch gespeichert. Simons digitaler Personal Trainer empfängt Fitnessdaten von seiner Smartwatch, während er schläft. Simons Token-basierter digitaler Zwilling errechnet immer die beste Aktion, die er als Nächstes durchführen sollte. Der Trainer erstellt einen Tagesplan, der auf Simons Vorlieben und Fitnesszustand abgestimmt ist. Der Plan für den heutigen Tag wird bereits vor dem Weckerklingeln an alle seine elektronischen Geräte gesendet. Eine Mikrozahlung an seinen digitalen Personal Trainer wurde automatisch getätigt, noch bevor Simon aufwachte. Da auch die Wetterdaten an sein Smart Home gesendet und von seinem lokalen Sensor angepasst wurden, wird die Klimaanlage aktiviert. Simon erhält einige Münzen für die von seinem lokalen Sensor gesammelten Daten.
07:30
Zeit für das Frühstück! Der Kühlschrank, der das Wetter und Simons Fitnesszustand kennt, wird ihm empfehlen, heute eine leichte Mahlzeit zu sich zu nehmen. Der Kühlschrank weiß, was in ihm gelagert wird, und kennt auch Simons Vorlieben (z. B. für Bio-Lebensmittel, die vom Hersteller über einen digitalen Token mit allen Informationen über Produktion, Transport und Lieferung digital zertifiziert sind). Durch die Kombination dieser Informationen mit Simons digitaler ID und seinen Zahlungsdaten kann der Kühlschrank fehlende Lebensmittel nachbestellen. Simons Lebensmittellieferant liefert ihm die Lebensmittel innerhalb von 20 Minuten nach Hause.
08:00
Simon erhält einen Vorschlag von seinem Anbieter von Elektrofahrzeugen: „Simon, Sie sollten bei heißem Wetter nicht den langen Weg ins Büro laufen. Wir empfehlen, eine umweltfreundliche Fahrgemeinschaft zu nutzen. Bitte bestätigen Sie die Vorbuchung, die wir vorgenommen haben.“ Im Jahr 2030 werden alle digitalen Identitäten – die von Menschen und Maschinen gleichermaßen – in digitalen Brieftaschen gespeichert. Diese Geldbörsen enthalten auch digitales Geld, Führerscheine, Versicherungspolicen und Angaben zur registrierten Adresse usw. – in Simons Fall alles nach seinen persönlichen Vorlieben und den Regeln, die er als Eigentümer der Daten selbst festgelegt hat. Das Elektroauto, das sich über Nacht auf dem Parkplatz aufgeladen hat, steht bereit und wartet auf ihn.
08:15
Um eine optimale Verteilung der Autos innerhalb der Stadt zu gewährleisten, berechnen dynamische Preismodule die Nutzungsgebühren auf der Grundlage des Standorts und/oder nahe gelegener Ereignisse. Nachdem der Autoschlüssel als digitaler Zwilling an Simons Smartphone gesendet wurde, wird die Nutzungsgebühr zusätzlich zum dynamischen Preis pro Kilowattstunde anhand des Verbrauchs berechnet. Die Versicherungsgebühr ist über einen separaten Versicherungs-Token und abhängig von seinem Fahrstil zu zahlen. Heute hat er einen Rabatt erhalten, weil er auch Inhaber eines Sicherheitstokens des Carsharing-Unternehmens ist, das heute eine Dividende ausschüttet.
08:30
Simon arbeitet in der Logistikabteilung eines Textilunternehmens, das seine Produkte außerhalb Europas herstellt und eine globale Lieferkette hat. In der Zeit vor der Tokenisierung war die Verwaltung globaler Lieferketten eine Herausforderung, da viele Lieferanten, Zwischenhändler und Behörden in vielen verschiedenen Ländern involviert waren – eine Komplexität, die zu den nicht-digitalen bzw. papiergestützten Prozessen, Sprachbarrieren, rechtlichen Unterschieden und Zeitzonenunterschieden hinzukam. In Kombination mit digitalen Verträgen und Transaktionen hat die Tokenisierung die Transparenz, Sicherheit und Effizienz solcher Transaktionen erheblich verbessert.
09:00-17:00
Von seinem Büro in Berlin aus kann Simon jedes Glied der Produktionskette verfolgen. Frau Jin pflückt die Baumwolle auf einem Feld in der Region Huang-Huai-Hai, und Herr Xiao liefert die Baumwolle an die Fabrik. Ein eingebetteter Token enthält Informationen darüber, welche Arbeiter an dem Produkt gearbeitet haben und am Transport per Lkw zum Hafen und zum Schiff usw. beteiligt waren. Dies ist besonders nützlich, um sicherzustellen, dass bei jedem Schritt nachhaltige und ethische Produktions- und Transportstandards eingehalten wurden. Da die Verträge mit den Lieferanten als intelligente Verträge in einem Netzwerk mit verteilter Ledger-Technologie definiert sind, erfolgen alle Zahlungen automatisch. Wenn die vertraglichen Anforderungen erfüllt sind, wird die Zahlung automatisch von der Geldbörse des Unternehmens abgebucht, während Simon im Büro einen Kaffee trinkt. Nachdem er sich vergewissert hat, dass mit der Transaktion alles in Ordnung ist, nimmt Simon an seinem Geschäftstermin teil, der in einer Metaverse-Anwendung stattfindet.
17:00
Am Ende seines Arbeitstages erinnert Simons digitaler Personal Trainer ihn an seinen Sportkurs, der sich ebenfalls im Metaversum befindet. Sein Trainer, der in den USA lebt, wird auf ihn warten, so dass beide ein digitales Training absolvieren können, als ob sie sich am selben Ort befänden.
20:00
Nach dem Training geht Simon mit Zeynep essen. Die Rechnung für das köstliche Abendessen wird direkt an Simons Brieftasche geschickt, wo er den Trinkgeldbetrag auswählt und in digitalen Euro bezahlt. Der Anbieter der Brieftasche – seine Bank – schickt ihm jedes Mal eine Benachrichtigung, wenn eine Zahlung oder eine andere Änderung in der Brieftasche vorgenommen wird. Darüber hinaus besteht seine persönliche elektronische Brieftasche nicht nur aus Zahlungsmitteln, sondern auch aus einer Vielzahl von tokenisierten Vermögenswerten: Aktien, Stablecoins, börsengehandelte Fonds (ETFs) und Unternehmensanleihen. Einige seiner Freunde besitzen auf die gleiche Weise sogar Teile von Oldtimern, Kunstwerken, Häusern und anderen Gegenständen. Dies ist möglich, weil früher illiquide Anlageklassen, hochpreisige Vermögenswerte und teure Transaktionen heute in kleinen Bruchteilen digital und fast ohne Transaktionskosten erworben und verarbeitet werden können.
Zu Hause angekommen, sieht sich Simon ein letztes Mal die neuesten Nachrichten im Metaversum an, die auf seinen selbst definierten Vorlieben basieren. Dann macht er Schluss für heute.
6. Smart Resistance
Entspricht diese Zukunftsvision, die von der Europäischen Kommission und dem Bundesverband deutscher Banken entwickelt wurde, Ihren Vorstellungen? Möchten Sie einen vergleichbaren Alltag wie Simon führen?
Wenn ja, dann herzlichen Glückwunsch! Sie werden wahrscheinlich eine vorbehaltlose Liebesgeschichte mit der vernetzten und kooperativen Umgebung erleben, in der öffentliche und private Akteure zusammenarbeiten, um eine nachhaltige und lebenswerte Gesellschaft zu fördern.
Wenn diese Vision bei Ihnen gemischte Gefühle auslöst, könnte Ihre Beziehung zum Smart Governance System eher eine Liebesgeschichte mit Vorbehalten sein. Trotz der wahrgenommenen Vorteile des neuen Systems hoffen Sie möglicherweise darauf, dass die Regierung ein starkes Demokratieverständnis zeigt und die potenziellen Nachteile des Systems abmildert oder zumindest berücksichtigt.
Die Geschichte hat uns jedoch gelehrt, dass sich das Demokratieverständnis im Laufe der Zeit verändern kann. Es wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, darunter gesellschaftliche Entwicklungen, politische Ereignisse, kulturelle Veränderungen und individuelle Erfahrungen. Zum Beispiel können sich technologische Fortschritte, wirtschaftliche Bedingungen oder politische Krisen auf die Wahrnehmung und Interpretation von Demokratie auswirken. Medien und politische Diskurse können dazu beitragen, dass sich die Vorstellungen und Erwartungen bezüglich Demokratie im Laufe der Zeit ändern.
Wenn Sie die Vision ablehnen, vergessen Sie nicht, dass Michel Foucaults Theorie besagt, dass Macht und Widerstand untrennbar miteinander verbunden sind. In einer Welt, die zunehmend von Technologie und Daten geprägt ist, werden sich auch die Formen des Widerstands weiterentwickeln. Diese werden sich ebenfalls moderner Technologien bedienen, um gegen die Machtstrukturen der Smart Governance vorzugehen. Diese Bewegung kann als Smart Resistance bezeichnet werden.
Der intelligente Widerstand könnte auf fortschrittliche Technologien wie Verschlüsselung, anonymisierende Netzwerke (z. B. Tor), dezentrale Plattformen und Blockchain zurückgreifen, um den Datenschutz zu wahren und Überwachung zu umgehen. Aktivisten könnten sich sozialer Medien, Online-Petitionen und digitaler Kampagnen bedienen, um Aufmerksamkeit zu erregen, Bewusstsein zu schaffen und politische Veränderungen zu fordern. Hackergruppen könnten Schwachstellen in den Systemen der Smart Governance aufdecken, um Missbrauch und Korruption zu enthüllen oder die Funktionsweise der Überwachungssysteme zu stören. Whistleblower innerhalb der Organisationen könnten interne Informationen an die Öffentlichkeit bringen, um Missstände und Übergriffe zu enthüllen.
Rechts- und Lobbyarbeit werden ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, indem Gruppen und Einzelpersonen rechtliche Mittel nutzen, um gegen unfaire oder illegale Praktiken vorzugehen und durch Lobbyarbeit Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Bildung und Aufklärung der Öffentlichkeit über die Risiken und Herausforderungen von Smart Governance wird es Bürgern ermöglichen, besser informiert und kritischer zu denken sowie sich aktiv zu engagieren. Kulturelle Ausdrucksformen wie Kunst und Literatur können zudem eine Plattform für Kritik und alternative Perspektiven bieten. Schließlich wird die Entwicklung und Nutzung alternativer Technologien, wie Open-Source-Software, dezentrale soziale Netzwerke und sichere Kommunikationsplattformen, mehr Autonomie und Datenschutz fördern.
Michel Foucault betrachtete Widerstand als spezifische Kämpfe gegen die alltäglichen Ausübungen von Macht, nicht als Kampf gegen die Existenz von Macht insgesamt. Machtverhältnisse sind tief in den gesellschaftlichen Strukturen verankert und können nicht einfach beseitigt werden; sie können nicht radikal abgeschafft werden. Dies bedeutet, dass Smart Resistance die Smart Governance nicht vollständig beseitigen wird, sondern vielmehr bestätigt und formt.
Smart Resistance agiert innerhalb der bestehenden Machtstrukturen, nutzt ähnliche Technologien und Methoden, um gegen spezifische Auswüchse von Macht zu kämpfen. Diese Form des Widerstands hinterfragt und transformiert die Praktiken der Smart Governance, aber sie beseitigt nicht die grundlegende Existenz von Smart Governance. Stattdessen trägt Smart Resistance dazu bei, diese Machtverhältnisse zu überprüfen, zu balancieren und möglicherweise gerechter und transparenter zu gestalten. In diesem dynamischen Wechselspiel zwischen Macht und Widerstand wird Smart Governance nicht abgeschafft, sondern weiterentwickelt und angepasst, um den sich ständig verändernden Anforderungen und Herausforderungen gerecht zu werden.
In einfachen Worten kann die Smart Resistance dafür sorgen, dass aus Smart Governance keine „Smeart“ Governance wird.
7. Epilog – Ist Smart Governance wirklich alternativlos?
Die Welt selbst ist in ihrer physischen, natürlichen Form analog.
Die meisten natürlichen Phänomene sind kontinuierlich und nicht diskret. Temperatur, Lichtintensität und Klangwellen ändern sich kontinuierlich über Zeit und Raum, was typisch für analoge Signale ist. Die physische Realität besteht aus Materie und Energie in einem stetigen Fluss. Objekte bewegen sich auf kontinuierlichen Pfaden, und Größen wie Geschwindigkeit und Beschleunigung sind ebenfalls kontinuierlich. Lebensprozesse wie Herzschlag, neuronale Aktivitäten und Photosynthese sind Beispiele für analoge Systeme in der Natur. Auch unsere Sinne arbeiten analog: Augen nehmen Licht als kontinuierliches Spektrum wahr, Ohren erfassen Schallwellen stetig, und Hautsensoren reagieren auf Temperatur- und Druckveränderungen.
Digitale Technologien beruhen auf der Diskretisierung von Informationen, wobei analoge Signale in binäre Codes umgewandelt werden. Diese Digitalisierung ermöglicht präzise Verarbeitung, Speicherung und Übertragung von Daten, was in vielen modernen Anwendungen vorteilhaft ist. Die digitale Welt bietet enorme Vorteile in Bezug auf Effizienz, Genauigkeit und Zugänglichkeit. Die Koexistenz von analog und digital schafft eine hybride Realität, in der wir leben und arbeiten. Die Herausforderung besteht darin, diese beiden Welten harmonisch zu integrieren, um die Vorteile beider Ansätze zu nutzen.
Der technologische Fortschritt ist eine natürliche Folge menschlicher Neugier, Forschung und Innovation. Wirtschaftliche Anreize und Wettbewerbsfähigkeit treiben oft diese Innovationen voran, wodurch es praktisch unmöglich ist, den technologischen Fortschritt aufzuhalten. Die Herausforderung für die Gesellschaft besteht darin, diesen Fortschritt so zu gestalten, dass er die Bedürfnisse und Werte der Menschen respektiert und fördert. Dazu sind angemessene Regulierung und Governance erforderlich, um Risiken zu minimieren und sicherzustellen, dass neue Technologien im Einklang mit gesellschaftlichen Werten eingesetzt werden.
Die Smart Governance ist nicht nur eine Reaktion auf den technologischen Fortschritt, sondern nutzt diesen aktiv für die Umsetzung ihrer Ziele. In der modernen Welt, die zunehmend von Technologie und Daten bestimmt wird, erscheint sie oft als unvermeidlicher Schritt in der Evolution von Governance-Modellen.
Smart Governance basiert in der Regel auf der Analyse und Nutzung großer Datenmengen, um Entscheidungen zu treffen und Prozesse zu optimieren. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass diese Entscheidungen von Weisheit geleitet werden.
‚Wissen‘ bezieht sich auf die Kenntnis und das Verständnis von Fakten, Informationen und Zusammenhängen. Es basiert auf objektiven Daten und empirischen Erkenntnissen. Im Gegensatz dazu bezieht sich ‚Weisheit‘ auf eine tiefere Ebene des Verständnisses und der Einsicht. Sie umfasst die Fähigkeit, Wissen anzuwenden, um moralische Urteile zu fällen, komplexe Situationen zu verstehen und die Auswirkungen von Entscheidungen auf Menschen und Gesellschaft zu berücksichtigen.
Wissen ist messbar und oft objektiv, erlangt durch Datenanalyse, Forschung und Erfahrung. Weisheit hingegen ist subjektiver und umfasst emotionale Intelligenz und moralische Einsichten. Während Wissen häufig zur Lösung praktischer Probleme und zur Förderung technologischer Fortschritte angewendet wird, konzentriert sich Weisheit eher auf ethische Orientierung und langfristige Auswirkungen von Entscheidungen. Wissen kann sich schnell ändern und weiterentwickeln, während Weisheit durch Lebenserfahrung und Reflexion über längere Zeit entsteht. Wissen ist das Ergebnis intellektuellen Lernens und Ausbildung, während Weisheit mit Reife und dem Verständnis sozialer und emotionaler Dynamiken verbunden ist.
Weisheit erfordert die Fähigkeit, Balance und Harmonie in komplexen Situationen zu finden. Sie beinhaltet Empathie und Respekt vor den Bedürfnissen und Wünschen anderer sowie die Berücksichtigung langfristiger Auswirkungen und Konsequenzen. Weisheit bedeutet auch, Gerechtigkeit und Fairness zu gewährleisten. Eine weise Führung erkennt an, dass sich technologische Entwicklungen und gesellschaftliche Bedürfnisse ständig weiterentwickeln. Die Fähigkeit, flexibel auf diese Veränderungen zu reagieren und dabei die Grundprinzipien von Balance und Respekt beizubehalten, ist ein Zeichen von Weisheit.
In Bezug auf Smart Governance bedeutet dies, dass Daten und technologische Lösungen allein nicht ausreichen, um komplexe soziale und politische Probleme zu lösen. Die Integration von Weisheit ist entscheidend, um sicherzustellen, dass Entscheidungen gerecht, nachhaltig und im besten Interesse der Gesellschaft getroffen werden. Smart Governance sollte daher nicht nur auf das Sammeln und Analysieren von Daten setzen, sondern auch auf die Förderung weiser Führung und ethischer Verantwortung, um eine harmonische und menschliche Entwicklung zu unterstützen.
Sie sollte die Vielfalt der Lebensstile anerkennen und respektieren, indem es sowohl digitale als auch analoge Optionen für den Zugang zu Dienstleistungen und die Teilnahme am öffentlichen Leben bereitstellt. Bürger sollten die Wahlfreiheit haben, in welchem Maße sie digitale Technologien nutzen möchten, ohne dazu gezwungen zu werden. Ein Recht auf analoges Leben erfordert, dass analoge Systeme barrierefrei und benutzerfreundlich bleiben, einschließlich physischer Behörden und papierbasierter Formulare. Unterstützungsdienste sollten angeboten werden, um Menschen zu helfen, die Schwierigkeiten mit digitalen Technologien haben.
Der Schutz der Privatsphäre ist besonders wichtig, unabhängig davon, ob Bürger digitale oder analoge Lebensstile bevorzugen. Bildungsprogramme sollten Bürger darin unterstützen, fundierte Entscheidungen über die Nutzung digitaler Technologien zu treffen, während sie die Möglichkeiten eines analogen Lebensstils betonen. Gesetzliche Rahmenbedingungen müssen das Recht auf ein analoges Leben schützen und sicherstellen, dass analoge Optionen in öffentlichen und privaten Dienstleistungen erhalten bleiben. Die Koexistenz von Smart Governance und dem Recht auf ein analoges Leben erfordert eine Balance zwischen technologischem Fortschritt und dem Respekt vor individuellen Lebensstilen. Durch die Integration dieser Prinzipien kann eine weise Führung sicherstellen, dass technologische Innovationen allen zugutekommen, ohne die Vielfalt menschlicher Lebensweisen zu gefährden.
Quellen (Stand vom 16.07.2024)
