Die Corona-Pandemie – Möge die Bio-Macht mit Dir sein

Sind Ihnen die Begriffe „Bio-Macht“ bzw. „Biopolitik“ bekannt? Und was haben diese Begriffe mit der Corona-Pandemie zu tun? Beim Versuch die Geschehnisse der letzten drei Jahre zu erklären, entdeckt man erstaunliche Zusammenhänge.

Erinnern Sie sich noch an die historischen Aussagen der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel?

„Die überwältigende Mehrheit der Menschen hat verstanden, dass es jetzt auf jeden und jede ankommt. Dass jeder und jede seinen Teil dazu beitragen kann, aber auch muss, das Virus aufzuhalten.“

„Bitte ziehen Sie alle mit. Tun sie jetzt das, was richtig ist für unser Land. Zeigen Sie Vernunft und Herz.“ „Ich bin überzeugt: Dieser Gemeinsinn, dieses „Wir treten füreinander ein“ wird uns alle gemeinsam durch diese schwere Zeit tragen.“ [Pressekonferenz]

„Die Pandemie wird nicht verschwinden, bis wir wirklich einen Impfstoff haben.“ [WELT]

„Niemand ist für sich allein geschützt… Ich sage allen, die noch unsicher sind, ob sie sich impfen lassen wollen: Eine Impfung schützt nicht nur Sie, sondern auch immer jemanden, dem Sie nahestehen, der Ihnen wichtig ist, den Sie lieben. Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir sein …“

Ist Ihnen das klare Statement von Bundeskanzler Olaf Scholz im Gedächtnis geblieben?

„Wir werden alles tun, was notwendig ist, es gibt da für die Bundesregierung keine roten Linien. Die Bundesregierung wird nicht einen einzigen Augenblick ruhen, und wir werden jeden nur möglichen Hebel bewegen, bis wir alle unser früheres Leben und alle unsere Freiheiten zurückbekommen haben.“ [yahoo!]

Mit welchen Assoziationen verbinden Sie Schlagzeilen wie:

„Impfen ist und bleibt der einzige Ausweg aus der Pandemie.”
Tim Szent-Ivanyi, Redakteur des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND)

„… dass die wichtigste und wirkungsvollste Maßnahme die Impfung ist und bleibt”
Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender Deutscher Hausärzteverband

„Es ist ganz einfach: Alle sechs Monate impfen”
Prof. Dr.Christoph Wenisch, Wiener Infektiologe

„Impf-Nebenwirkungen: Es gibt keine Alternative zur Impfung”
Peter Toussaint, Redakteur, NRZ

„Corona-Impfung ist eine Christen-Pflicht“
Manfred Lütz, Arzt und Theologe

„Der einfachste Weg ist, sich impfen zu lassen. Auch der gesündeste. Ich möchte schon alleine deshalb keine Impfpassfälscher als Mitarbeiter haben, weil ich nicht so gerne Spinner beschäftige. Wer weiß, an welchen Blödsinn die sonst noch alles glauben.”
Jürgen Kaube, Herausgeber FAZ, Journalist

„Impfgegner sind Staatsfeinde”
Udo Knapp, Politologe und Redakteur taz

„Coronaleugnerinnen und Coronaleugner müssten konsequent dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden”
Georg Maier (SPD), Thüringens Innenminister

„Kassenärzte fordern Ausschluss Ungeimpfter von Ärzten und Psychotherapie”
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg

„Der Zutritt in den Laden [Lebensmittelausgabe für Bedürftige] ist nur für nachweislich geimpfte oder genesene Personen (2G) erlaubt”
Tante Emma Rodgau e.V., Lebensmittelausgabe für Bedürftige

Teilen Sie die Ansichten der AUF1-Autoren in dem Beitrag:
Keine Pandemie-Amnestie“?

Stellen Sie sich auch die Frage, wie konnte das passieren? Könnte es sein, dass die Antwort die ganze Zeit vor unserer Nase lag?

Die Suche nach der Antwort führt uns zu dem französischen Philosophen Michel Foucault (1926-1984). Von 1970 bis zu seinem Tod war Foucault der Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte der Denksysteme an der Prestigeuniversität Collège de France in Paris. In seinen Werken widmete er sich neben philosophischen auch historischen, psychologischen und später vermehrt politischen Fragen. Dabei fokussierte er sich auf Konzepte und Verfahren der Machtanalyse. Seine Arbeiten verstand er dabei als „Werkzeugkisten“.
[Wikipedia: Michel Foucault]

Zu diesen Werkzeugen gehört unter anderem das Konzept der modernen Gouvernementalität. Darunter versteht Foucault ein ganzes Bündel von Erscheinungsformen neuzeitlicher Regierungstechniken, die es gestatten, das Verhalten von Subjekten und Kollektiven als machtgesteuerte und machtdurchzogene Objekte zu überwachen und zu lenken. Er betrachtet die Gouvernementalität als Basis für das Überleben des Staates.
[Wikipedia: Gouvernementalität]

Weiterhin definiert Foucault den Begriff Bio-Macht, zunehmend auch Biopolitik genannt. Mit Bio-Macht bezeichnet er Machttechniken, die „nicht auf den Einzelnen, sondern auf die gesamte Bevölkerung abzielen“. Unter Bevölkerung versteht er „eine Gruppe, die nicht einfach nur aus vielen Menschen besteht, sondern aus Menschen, die von biologischen Prozessen und Gesetzen durchdrungen, beherrscht und gelenkt sind. Die Bevölkerung verbindet er mit verschiedenen Parametern wie „einer Geburtenrate, einer Alterskurve, einem Gesundheitszustand“, usw.
[Wikipedia: Bio-Macht]

“Das Ziel der Bio-Macht bei Foucault ist die Regulierung dieser so definierten Bevölkerung insbesondere durch die Regulierung ihrer Fortpflanzung, der Geburten- und Sterblichkeitsrate, des Gesundheitsniveaus, der Wohnverhältnisse, u.a.“
[Wikipedia: Bio-Macht]

Im biopolitischen Sinne wird die Bevölkerung in erster Linie als “Produktionsmaschine zur Erzeugung von Reichtum, Gütern und weiteren Individuen“ betrachtet. Die Bio-Macht sorgt für Rahmenbedingungen, die der Produktionsmaschine nützlich sind. Dabei wird das Individuum nach seiner Nützlichkeit vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Zustände bewertet. Zu diesem Zweck wird der Einzelne immer an einer Norm gemessen. Er wird an ihr ausgerichtet und muss vor ihr bestehen.
[Wikipedia: Bio-Macht]

Dafür braucht die Obrigkeit sehr viele Informationen, um alles über z.B. “Ressourcen, Einwohnerzahl, Reichtum, Wohnverhältnisse, Krankheitshäufigkeit und Gesundheit der Einwohner eines Staates zu erforschen“. Als Ergebnis der Auswertung von diesen Daten definiert die Bio-Macht verschiedene Regulierungsmechanismen (Normen), die sich z.B. “auf die Hygieneregeln, Kinderpflege, Alterssicherung, Krankenversicherung und die Schulpflicht konzentrieren“.
[Was ist Bio-Macht für Michel Foucault und Giorgio Agamben?, Kapitel 3. Techniken und Anwendungsgebiete der Biopolitik]

Die Bio-Macht begegnet uns täglich. “Ein bekanntes Phänomen moderner Gesellschaften ist das wachsende Dickicht an Regulierungsvorschriften im beruflichen und privaten Alltagsleben.“ Der Trend zu mehr Regulierung erscheint ungebrochen. Aus biopolitischer Perspektive sind “Form und Ausmaß der Regulierungsaktivitäten nur die unausweichliche und notwendige Konsequenz einer sich immer weiter ausdifferenzierenden, immer reicheren und immer komplexeren Wirtschaft und Gesellschaft“.
[Regulierungsdickicht – ein Problem?]

Da die Bio-Macht „die Bevölkerung als statistische Masse“ wahrnimmt, kontrolliert und regiert, wird die Krankheit im biopolitischen Sinne „nicht mehr als ein Problem eines einzelnen Körpers betrachtet, sondern auf die Problematik des kollektiven Gesamtkörpers gerechnet“.
[Foucault II: Der Virus und die Biopolitik/-macht]

Dabei gilt es, Informationen und Statistiken zu erheben und zu zentralisieren, Relationen und Gefahrenabschätzungen zu definieren und daraus biopolitische Regelungen abzuleiten, so z.B. Hygienemaßnahmen, Quarantänemaßnahmen, Vorsorgeuntersuchungen, Medikation usw. So betrachtet, stilisiert sich “der Umgang mit dem Coronavirus als ein Lehrbuchbeispiel von Biopolitik“.
[Über die (Un)Möglichkeiten einer demokratischen Biopolitik]

Aus der Sicht des Individuums erscheint diese Regierungstechnologie „wie ein «guter Hirte», deren Aufgabe es ist, «über die man wacht, Gutes zu tun». Der Zweck dieser Form der Macht liegt darin, «die Individuen dazu zu zwingen, ihre Arbeitsleistung, ihre Kräfte, ihre Fähigkeiten zu steigern, kurz, alles das zu erhöhen, was für ihre Verwendung im Produktionsapparat der Gesellschaft notwendig»“ ist.
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 217]

Auf der Basis dieser Regulierungsmechanismen (Normen) wird eine „Unterscheidung von «normal» und «anomal»“ vorgenommen. Man definiert „Korrekturinstrumente“, die zur „Transformation des Individuums“ und seines Verhaltens als integraler Bestandteil der Bevölkerung beitragen. (Anmerkung: von griechisch „anómalos“: „uneben, unregelmäßig“, sinnverwandte Wörter: abnorm, gesetzwidrig, regelwidrig, ungewöhnlich, unnormal, untypisch)
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 217]

Als Ergebnis erhält man „eine Hierarchie von Individuen mit mehr oder weniger großen Fähigkeiten. Der eine entspricht einer bestimmten Norm, der andere weicht davon ab. Den einen kann man bessern, den anderen nicht. Den einen kann man mit einem bestimmten Mittel bessern, beim anderen muss man andere Mittel einsetzen. Diese Einordnung der Individuen nach dem Grad ihrer Normalität ist eines der großen Machtinstrumente der heutigen Gesellschaft.“
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 218]

Bei der Normierung im biopolitischen Sinne verwendet man „zwei komplementäre Formen von Gerechtigkeitsmechanismen:
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 223]

  • die soziale Sorge basierend auf vereinbarten Gleichheits- und Solidaritätsdoktrinen
  • die „naturgesetzlich“ entstehende Gerechtigkeit durch „natürliche“ Mechanismen wie Konkurrenz und Wettbewerb.“

Während einer Extremsituation, wie bei einer Pandemie, rücken „zwei wesentliche biopolitische Regierungstechniken“ in den Vordergrund:

  • „biopolitische Sorge gemäß einer Solidaritätsdoktrin“
  • „Staatsrassismus“

Beide Regierungstechniken begründen Ihre Legitimation „in der Reaktion auf biologische Bedrohungen“ für das Leben des Einzelnen und der Bevölkerung.

Im ersten Fall fokussiert man auf das Narrativ, „dass die (hygienische oder biopsychosoziale) Sorge um den Anderen auch die eigene Sicherheit erhöht, das eigene Leben steigert, wie auch jenes der Gattung (Menschheit)“.

Im zweiten Fall fokussiert man sich auf die Beseitigung der biologischen Gefahr und dadurch die Gattung selbst oder die Rasse direkt zu stärken. „Denn, so die implizite Logik, «je mehr anomale Individuen vernichtet werden, desto weniger Degenerierte gibt es in Bezug auf die Gattung, desto besser werde ich – nicht als Individuum, sondern als Gattung – leben, stark sein, kraftvoll sein und gedeihen»“.
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 228]

Unter diesen Bedingungen wird die Moral gewissermaßen verrechtlicht und in der Folge verstaatlicht. Das Recht verliert seine rationale Fundierung – es wird wertbegründet.
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 231]

Man urteilt im Namen einer „Solidarität“. In seinem Werk Geburt schreibt Foucault: „Mit einer Hand muss die Freiheit hergestellt werden, aber dieselbe Handlung impliziert, dass man mit der Anderen Einschränkungen, Kontrollen, Zwänge, auf Drohungen gestützte Verpflichtungen usw. einführt“.
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 232]

Es ist bemerkenswert, dass die oben beschriebenen Wesensmerkmale der Bio-Macht bzw. Biopolitik bereits in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts von Michel Foucault detailliert definiert und beschrieben wurden und als Vorlesungsmaterial am Lehrstuhl für Geschichte der Denksysteme an der Prestigeuniversität Collège de France in Paris dienten.

Mit diesem Hintergrund erscheinen die am Anfang des Artikels exemplarisch ausgewählten Regierungstatements und Schlagzeilen aus der Presse in einem anderen Licht. Es handelt sich nicht um zufällige und voneinander unabhängige Ereignisse von inkompetenten und/oder korrupten Individuen. Hier geht es um ein Szenario, dass nach einem Lehrbuch abläuft.

Biopolitik ist in der Regel „eine dauernd aktive unterschwellige Politik, die gar nicht zu viel ins Rampenlicht gerückt werden will. Biopolitik ist selten eine ganz große laute Politik, sondern vielmehr oftmals im kleinen Maße tätig, leise, nahezu unbemerkt“.
[Über die (Un)Möglichkeiten einer demokratischen Biopolitik]

Die Biopolitik im 20. und 21. Jahrhundert agiert zwischen zwei gegensätzlichen Polen – auf der einen Seite stehen die dominierenden Machttechniken des Vorsorgestaates, auf der anderen Seite sind die passiven Machttechniken des Liberalismus. „Markt und Plan, unsichtbare oder sichtbare Hand, zentrale Steuerung oder Selbstorganisation – zwischen diesen Polen lassen sich die Versuche der Bio-Macht verorten, das menschliche Leben ökonomisch zu regieren.“
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 232]

„Gefährliche Epidemien oder Pandemien besitzen folglich das Potential“, die biopolitische Transformation der Gesellschaft und „die von Foucault beschriebene Gouvernementalisierung des modernen Staates zu intensivieren, indem Maßnahmen gesetzt werden, die über infektionsepidemiologisch indizierte Schutzmaßnahmen mit dem Ziel der Eindämmung der epidemischen Krankheitsverbreitung klar hinausgehen“.
[Die Covid-19-Pandemie aus biopolitischer Perspektive nach Foucault, S. 233]

In seinen Arbeiten war es Foucault wichtig zu betonen, dass „die Machttransformationen, die sich z.B. in Extremsituationen“ wie Seuchen oder Pandemien „entwickeln und verfestigten, nicht als Ausnahmefälle“ zu betrachten sind, „sondern als die Geburten und In-Kraft-Setzungen neuer allgemeingültiger und auch nach der Seuche weiter geltender Verhältnisse“. Es geht um das Entstehen und Verfestigen der neuen Machtparadigma und dessen Normalisierung.
[Foucault: In der Seuche die Disziplinarmacht]

Es ist die Bio-Macht, die in der Vor-Corona-Zeit weitestgehend diskret und mit „unsichtbarer“ Hand die liberale westliche Gesellschaft lenkt. Die Regulierungsmechanismen (Normen) sind zu dieser Zeit vorwiegend auf Selbstorganisation gerichtet. Der größte Teil der Bevölkerung ist im biopolitischen Sinne „normal“ und „förderungswürdig“. Man fühlt sich wohl in der „Wohlfühlgesellschaft“ und genießt die freiheitlich demokratische Grundordnung.

Es ist dieselbe Bio-Macht, die die weltweite Pandemie ausruft und in diesem Zusammenhang dominierende Machttechniken mehr oder weniger über Nacht zum Einsatz bringt. Die Regulierungsmechanismen (Normen) werden um 180 Grad gedreht und der Vorsorgestaat enttarnt sich. So wird aus der Demokratie über Nacht eine „Demokratur“. Die Mehrheit der Bevölkerung adaptiert zu den neuen Regulierungsnormen (The New Normal) und gilt nach wie vor als „normal“ und „förderungswürdig“. Jedoch eine nicht zu vernachlässigende Minderheit hat aus unterschiedlichen Gründen zunehmend Probleme, die neuen Normen zu befolgen und wird im biopolitischen Sinne „anomal“. Diese Gruppe der Bevölkerung „genießt die Vorzüge“ der gesellschaftlichen Exklusion. In dieser Gruppe wacht man langsam auf.

Mit dieser biopolitischen Denklogik lässt sich die Tatsache erklären, wie aus Politikern, die seit Jahrzehnten eingeschworene Demokratieverfechter waren, plötzlich fanatische Propagandisten von freiheitsraubenden Maßnahmen „ohne rote Linien“ werden. Damit lässt sich die tiefe Zäsur in der Gesellschaft erklären, die bis in die einzelnen Familien und bis in Freundes- und Bekanntenkreise reicht.

Dieselbe Bio-Macht lässt nun die Corona-Pandemie ausklingen und erweckt den Anschein, dass man wieder zur Normalität zurückkehrt. Aber welche Normalität? Handelt es sich um die besagte „360 Grad Drehung“ und wir kehren zurück in die Vor-Corona-Ära? Wohl kaum!

Manch einer fragt sich – Aber warum denn nicht? Wir fangen doch gerade an, den Umgang mit der Corona-Pandemie aufzuarbeiten, so wie in dem anfangs gezeigten AUF1-Beitrag. Man wird die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen. Wir werden dafür sorgen, dass sich das NIE WIEDER wiederholt. Es kann zwar ein bisschen dauern, aber es wird die Zeit kommen, wo sich die „Normalen“ und „Anomalen“ aus der Pandemiezeit wieder die Hand reichen und nach vorn schauen. Ende gut – Alles gut.

Durch die „temporäre“ Verschiebung der Regulierungsnormen in Bezug auf die Pandemie wird zumindest ein Großteil der „Anomalen“ wieder als „Normal“ klassifiziert. Im biopolitischen Sinne wechselt diese Gruppe vom „Exklusions-Modus“ zum „Inklusions-Modus“. Man empfindet, dass man die geraubten Freiheiten bzw. Rechte wiedererlangt. Man hat das Gefühl, der Widerstand hat sich gelohnt und man kann seinen Platz in der Gesellschaft würdevoll zurückbekommen.

Diese Empfindung ist nicht fiktiv – sie spiegelt die Realität wider. Ich glaube, dass die meisten Leser mir zustimmen werden, wenn ich sage, dass wir seit Anfang 2023 diese Stufe im Umgang mit der Corona-Pandemie erreicht haben. 

Wie bereits beschrieben, betrachtet Foucault die Machttransformationen, die sich in Extremsituationen entwickeln und verfestigten, nicht als Ausnahmefälle, sondern als Basis für das Entstehen und Verfestigen der neuen Machtparadigma – der neuen Normalität.

Unter diesem Gesichtspunkt erscheint das berühmte Werk „COVID-19: The Great Reset“ vom geschäftsführenden Vorsitzenden des Weltwirtschaftsforums (WEF) Klaus Schwab als ein integraler Bestandteil der modernen Biopolitik und spiegelt in vollem Umfang die Bio-Macht-Denkansätze von Foucault wider.

Auf der Homepage von dem WEF ist folgendes zu lesen:

Die Covid-19-Krise und die dadurch verursachten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen verändern den traditionellen Kontext der Entscheidungsfindung grundlegend. Die Ungereimtheiten, Unzulänglichkeiten und Widersprüche mehrerer Systeme – von Gesundheit und Finanzen bis hin zu Energie und Bildung – sind in einem globalen Kontext der Sorge um Leben, Lebensgrundlagen und den Planeten mehr denn je offengelegt. Führungskräfte befinden sich an einem historischen Scheideweg und bewältigen kurzfristigen Druck gegen mittel- und langfristige Unsicherheiten.

Da wir in eine einzigartige Gelegenheit eintreten, den Aufschwung zu gestalten, wird diese Initiative Einblicke bieten, um all diejenigen zu informieren, die den zukünftigen Zustand der globalen Beziehungen, die Richtung der Volkswirtschaften, die Prioritäten der Gesellschaften, die Art der Geschäftsmodelle und das Management eines globalen Gemeinguts bestimmen.

Die Great Reset-Initiative basiert auf der Vision und dem umfassenden Fachwissen der in den Gemeinschaften des Forums engagierten Führungskräfte und hat eine Reihe von Dimensionen, um einen neuen Gesellschaftsvertrag aufzubauen, der die Würde jedes Menschen ehrt.

und weiter:

Die COVID-19-Sperren mögen allmählich gelockert werden, aber die Besorgnis über die sozialen und wirtschaftlichen Aussichten der Welt nimmt nur zu. Es gibt guten Grund zur Sorge: Ein scharfer Wirtschaftsabschwung hat bereits begonnen, und wir könnten vor der schlimmsten Depression seit den 1930er Jahren stehen. Aber obwohl dieses Ergebnis wahrscheinlich ist, ist es nicht unvermeidlich.

Um ein besseres Ergebnis zu erzielen, muss die Welt gemeinsam und schnell handeln, um alle Aspekte unserer Gesellschaften und Volkswirtschaften neu zu gestalten, von der Bildung bis hin zu Sozialverträgen und Arbeitsbedingungen. Jedes Land, von den Vereinigten Staaten bis China, muss sich beteiligen, und jede Branche, von Öl und Gas bis hin zu Technologie, muss transformiert werden. Kurz gesagt, wir brauchen einen „Great Reset“ des Kapitalismus.

Somit ist es auch nicht überraschend, auf der Homepage des WEF im Kapitel, dass der 4. Industriellen Revolution gewidmet ist, das folgende Zitat zu finden:

„Macht ist überall: Nicht, dass sie alles verschlingt,
sondern dass sie von überall herkommt.“

Michel Foucault, Geschichte der Sexualität

Die sichtbare und unsichtbare Hand der Bio-Macht ist allgegenwärtig. Und auch, wenn Sie sich nicht für die Bio-Macht interessieren, interessiert sie sich für Sie.

Egal ob man momentan biopolitisch gesehen „normal“ oder „anomal“ ist, die Bio-Macht ist bereits dabei, uns alle mit den nächsten Extremsituationen zu konfrontieren. Und ihre Auswahl ist reichlich groß. Ein Vorgeschmack auf die unmittelbare Zukunft erhält man in den Artikeln:

Die Bio-Macht funktioniert wie ein Uhrwerk.

  • TIC – du entsprichst der Regulierungsnorm, du bist „normal“ und wirst gefördert.
  • TAC – du entsprichst nicht der Regulierungsnorm, du bist „anomal“ und wirst „exkludiert“.

Beachten Sie, die Regulierungsnormen bleiben volatil.

Diese Volatilität wird uns wohl bis 2030 und darüber hinaus begleiten und unseren Alltag bestimmen.

Der Bio-Macht sei Dank.


Quellen (Stand vom 01.09.2023)